Die „Angst vor der Überdosis“

Die Fremden in den deutschen Medien / Sie sind entweder eine Bedrohung, ein problematischer Fall oder aber eine folkloristische Dreingabe im trüben deutschen Alltag  ■ Ciner Firtina

Das Interesse der deutschen Medien an Ausländern ist kein selbstverständliches. Sie tauchen zumeist dann auf, wenn sie Opfer eines Krieges oder einer Naturkatastrophe werden. Menschen, die wie die Fliegen wegsterben, nackt und hungrig, mit leerem Blick in die Kamera schauen und um ein Stück Brot betteln – Kreaturen, denen oft keine Menschenwürde bleibt. Zum Thema werden sie auch, wenn sie kulturelle Eigenarten besitzen, die im Vergleich zur europäischen Lebensweise besonders außergewöhnlich oder exotisch erscheinen.

Die Berichterstattung über Ausländer in Deutschland ist in aller Regel problemorientiert. Sprachprobleme von „Gastarbeitern“, die Schulprobleme ihrer Kinder, die Integrationsprobleme ihrer Frauen, waren oft – teils wohlmeinend, teils bösartig – einen Beitrag wert. Es wurde auch schon immer gerne mit erhobenem Finger über kriminelle Ausländer berichtet. Der „messerstechende Türke“, der klauende Roma sind Paradebeispiele dafür.

Das Bild des Ausländers, das insbesondere seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Vereinigung Deutschlands von den deutschen Medien gezeichnet wurde, ist an Bösartigkeit oft nicht weit entfernt von der Propaganda gegen Juden und „Zigeuner“ während des Dritten Reiches. Dieses Bild wird deutlich, wenn die am häufigsten benutzten Stereotypen und Klischees im Zusammenhang mit ihrer vermeintlichen Wirkung auf Deutschland und die Deutschen zusammenfassend dargestellt werden. Dabei kann getrost auf die Quelle der Zitate verzichtet werden, denn kaum eine lokale, regionale oder überregionale Tages- oder Wochenzeitung, auch nicht einige als seriös eingestufte Nachrichtenmagazine – von den Boulevardzeitungen ganz zu schweigen – haben sich aus dieser Art des Journalismus herausgehalten.

Folgende Szenerie wurde gezeichnet: Deutschland ist einem „Ansturm der Armen“ ausgesetzt. Der Ruf nach „Soldaten an die Grenze“ wird gehört, doch die „Armada der Armen“ und die „illegalen Einwanderer“ sind stärker. Die „Asylantenflut“ rückt bis an die Grenzen vor und droht die „Asylantenkatastrophe“ auszulösen. Es wird Zeit, die „Schotten dicht“ zu machen, sonst droht Deutschland „überschwemmt“ zu werden. Der „breite Strom aus dem Balkan“ und anderswo, der über die „grünen Grenzen“ aus dem „Hinterland“ einfällt, ist nicht zu stoppen. Das „Boot“ Deutschland ist „voll“, die Menschen- „Flut“ steigt an, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann das „Boot kentert“. „Fast jede Minute“ kommt ein „neuer Asylant“. Die „Masse jener Fremden“ steigt über die „Rekordmarke“. Die „Angst vor der Überdosis“ an „nicht kompatiblen Fremden“ und „aidsinfizierten“ „Chaos-Asylanten“ wird groß.

Die „Scheinasylanten“ sind „gefährliche Eindringlinge“, ein regelrechter „Sprengsatz“. Deutsche drohen zu „Fremden im eigenen Land“ zu werden, die in der bedrohlichen, „durchrassten Gesellschaft“ leben müssen. Statistiken belegen, daß die „Kriminalität bei Ausländern wächst“. „Asylanten kassieren mehrfach ab“ und leben auf „Kosten der deutschen Steuerzahler“. Nicht einmal mehr den „Gastarbeitern“ ist zu trauen. Jahrelang kassieren sie „unrechtmäßig Kindergeld und Sozialhilfe“ und nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze, Wohnungen und Frauen weg. Es wird klar, daß Italiener Mafiosi sind, Türken Drogenhändler, Kurden Terroristen, Polen Autodiebe und Roma Diebe und Bettler.

Unterstützt wird diese Szenerie von suggestiven Karikaturen, Fotos und Fotomontagen, mangelhaft erklärten und aus dem Zusammenhang gerissenen Diagrammen und Statistiken, die die Wirkung der Worte verstärken und einen pseudowissenschaftlichen Hintergrund liefern.

So wird durch die konsequente Verwendung von Militär-, Flut-, Naturkatastrophen- und Kriminalitätssymbolik, besonders in Schlagzeilen, eine bedrohliche Stimmung erzeugt. Während die Aussagen gemäßigter Politiker und ihre Aufrufe zum „friedlichen Miteinander“ allenfalls nur kurze Erwähnung finden, werden der Verlautbarung rassistischer Aussagen und direkt oder indirekt zur Gewalt aufrufenden „Lösungsvorschlägen“ die Schlagzeilen gewidmet.

Die Abwehr der „Gefahr“ durch Gewalt erscheint als Notwehr und wird gerechtfertigt. Die Medien haben die Macht, durch Selektion und Art der Präsentation von Themen, die Wahrnehmung der Rezipienten zu lenken. Das Wahrnehmungsraster für „Ausländer“ läßt für eine objektiv- sachliche und ideologiefreie Betrachtung keinen Platz. Der Zusammenhang zwischen der Darstellungsweise von „Ausländern“ in den Medien und der brutalen Gewalt von Rechts ist unübersehbar. Täter wurden zu Opfern stilisiert und die eigentlichen Opfer, sofern es sich um die verhaßten „Asylanten“ handelte, regelrecht verdrängt.

Bei den Morden von Mölln und Solingen waren die Opfer „wehrlose“ Frauen und Kinder. Die große Empörungswelle machte besonders kraß deutlich, daß auch Mordopfer in Klassen eingeteilt werden.

Das jähe Aufwachen derjenigen Journalisten, die unbewußt und ungewollt, unreflektiert und unsensibel auf diesen auflagensteigernden Zug aufgesprungen waren, sorgte für eine Welle von „positiver“ Berichterstattung. Mehr als über die Opfer von Mölln und Solingen wurde ausgiebig über die Täter selbst, ihre Motive und ihre Ideologien berichtet. Die Gradwanderung zwischen der Informationspflicht auf der einen Seite und einer Berichterstattung, die zur Propaganda für neonazistische Ideologien zu werden drohte, ging selten gut.

Auf die Gewaltwellen folgte die Stigmatisierung von Schwarzen und Türken zu ängstlichen Opfern von Diskriminierung und Gewalt. Dies steht sicherlich in Zusammenhang mit der Zunahme der Gewalttaten. Auf erste Anzeichen der Gegenwehr folgte die Drohung mit der Ausweisung. Nun wurde massiv, wie zuvor, über Ausländer berichtet – diesmal über die gewaltbereiten ausländischen Jugendlichen – und wieder wurde mit anderem Maß gemessen als bei den Neonazis und Skins.

Eine weitere Art der „positiven“ Berichterstattung ist die Vorführung von „netten“ Ausländern, die willkommen sind und gegen die niemand etwas hat. Beispielhaft für „Gastarbeiter“ kann da die seit über zwanzig Jahren in Deutschland lebende Familie aus Anatolien genannt werden, Vater Arbeiter, Mutter Hausfrau, idealerweise zwei Kinder, wobei der Sohn Kfz- Mechaniker lernt und die Tochter auf einem Gymnasium glänzt. Auch dem jungen Ärzte-Ehepaar aus dem Iran, das vor den Fundamentalisten geflohen ist, wird Verständnis entgegengebracht. Ausländische Akademiker und Künstler werden gerne gesehen, denn sie bereichern das Leben.

Diese Positivbeispiele, auch wenn sie wohlmeinend präsentiert werden, zeigen, daß Menschen auf sehr unterschiedliche Akzeptanz stoßen. Obwohl die Medienmacher um ihre Macht wissen, machen sie weiter wie bisher. Momentan sind Statistiken sehr beliebt, die den Erfolg der Asylrechtsänderung belegen sollen. Doch bis eine wirkliche Lösung für die wirtschaftlichen Probleme gefunden wird, werden die „Ausländer“ in dieser Gesellschaft sicherlich ihre Sündenbockrolle nicht los.