Gier nach Regenmänteln

■ Gesichter der Großstadt: Der ehemalige Lehrer Sebastian Teuber hat achthundert Regenmäntel gesammelt

Jute statt Plastik – für Sebastian Teuber eine Horrorvorstellung. Mit dem kratzigen Öko-Stoff kann er gar nichts anfangen, der 53jährige steht auf elastisches, glattes, rutschiges Material. Und das schon seit er als Kleinkind auf einer sogenannten „Gummibetteinlage“ schlafen mußte, um die Matratze des Kinderbettchens zu schonen. Die hat er heute immer noch, sorgfältig aufeinandergestapelt liegen sie in einer Ecke seiner Zweizimmerwohnung – knatschrosafarbige, himmelblaue und wiesengrüne. Liebevoll streichelt Sebastian Teuber immer wieder über das Waffelmuster der Matratzenschoner: „Schon als ganz kleines Kind hat mir dieses weiche Material total gut gefallen.“

Gummi, Latex und Plastik prägen seit seiner frühkindlichen Begegnung mit der Gummimatte das Leben des Sebastian Teuber: Mit drei Jahren zieht er mit seinen Eltern, der Vater ist Kunstmaler, die Mutter Innenarchitektin, aus Berlin an den Niederrhein. Dort bekommt er sein erstes gelb-transparentes Regencape, mit vier eine schwarze Plastikschürze mit rotem Rand. Stolz ist der kleine Sebastian auf beide Kleidungsstücke, aber „absolutes Aufsehen“ erregt bei ihm 1947 das Carepaket einer Verwandten aus den USA. Inhalt: schwarze Gummistiefel („die gab's damals in Deutschland noch gar nicht“) und ein transparentes Gummihöschen für die frischgeborene Schwester. Oft schaut er jetzt den Frauen auf dem Bauernhof zu, die mangels Waschmaschinen die Kleidung in grünen Gummischürzen im Zuber waschen. Sogar an Details kann sich Sebastian Teuber fast fünfzig Jahre später noch ganz genau erinnern: „Das Gummi der Frauen roch wie frischgeschleuderter Bienenhonig.“

Heute riecht seine Schöneberger Wohnung zwar nicht nach Honig, aber nach Gummi. Kein Wunder, denn jeder Zentimeter ist mit Gummi und Plastik vollgestopft: Das Sofa ist mit einer roten Folie überzogen, aufblasbare lila Plastikkissen schmücken das Ambiente. Puppen in Regenmänteln und unzählige Latex- und Plastikkleidungsstücke liegen herum. Am meisten Platz nehmen die Kleiderständer in Bad und Wohnzimmer ein: Sebastian Teuber sammelt seit rund 20 Jahren Regenmäntel. Über neunhundert hat er schon, alle sorfältig nach Alter, Farbe und Muster mit kleinen Schildchen katalogisiert. Die ältesten sind aus den dreißiger und vierziger Jahren – steife, meist braune oder tarngrüne Mäntel. „Einen Regenmantel-Boom gab es dann in den sechziger Jahren“, erzählt der ehemalige Gymnasiallehrer. Da wurden PVC-Mäntel mit Leopardenmuster, Sternchen, überdimensionalen Blumen oder Capes im eleganten Krokodil-Look zuhauf auf den Markt geworfen.

Sebastian Teuber ist nicht der einzige Gummifetischist in Deutschland. Er kenne achtzehn Sammler – ausschließlich Männer –, erzählt er, jeder hätte sich spezialisiert. Einer sammle beispielsweise Gummistiefel, aber nur in der eigenen Schuhgröße. Die meisten seiner Prachtstücke hat Sebastian Teuber in den siebziger Jahren, wo seine Sammelwut sich immer mehr steigerte, auf den Berliner Flohmärkten gefunden. Zwischen zehn und hundert Mark zahlt der „Rainman“ für einen Mantel und restauriert mit Spezialkleister diese dann in seiner Wohnung: Oft sind neue Knöpfe nötig, oder die Mäntel müssen mit Spiritus gereinigt werden. Heute ist Ostdeutschland seine Hauptquelle. Über Anzeigen in den verschiedenen Provinzblättern sucht er nach Mänteln und hat damit großen Erfolg. Er scheut keine Kosten und Mühen – sogar nach Rostock ist er neulich gefahren, um ein besonders schönes Prachtexemplar eigenhändig abzuholen.

Regenmäntel sind für Sebastian Teuber, der gerne geheiratet und Kinder aufgezogen hätte, ein Full- time-Job geworden. Nachdem er seinen Lehrer-Job geschmissen hatte, verdiente er sich sein Geld mit Bildhauerei. Aber auch das ist jetzt immer mehr in den Hintergrund gerückt, er arbeitet gerade an einem Buch („das erste dieser Art“) über, na was schon, die Geschichte und die Kultur von Regenmänteln.

Warum Sebastian Teuber gerade Regenmäntel so anziehend findet („schon als Junge habe ich oft mit meinem Mäntelchen im Bett gekuschelt“), kann er auch nicht so genau sagen. Er habe oft nach Erklärungen gesucht, aber keine eindeutige gefunden. Nur eine vage Theorie hat Sebastian Teuber unabhängig von zwei verschiedenen Bekannten gehört: „Meine Vorliebe kommt aus dem Unterbewußtsein. Schon im Bauch der Mutter sind die Sinnesorgane ausgeprägt. Sie spüren die Fruchtblase, diese elastische Haut, die das Baby ganz umschließt.“ Die Sehnsucht, beschützt in einer Gummiblase zu leben, hätte sich, so glaubt er, auch auf das Leben nach der Geburt übertragen. Julia Naumann