Rauher Winter, vielleicht auch rot

„Ixil, ixilik dago“?: Die Band Negu Gorriak kommt uns mit baskischem Polit-Crossover  ■ Von Thomas Bohnet

Einmal im Jahr verwandelt sich das kleine Vorarlberger Kaff Hohenems in der Nähe von Bregenz zum Mekka der Rockfans im Dreiländereck. Österreicher, Schweizer und Deutsche versammeln sich dort beim „Transmitter“-Festival im zur Rockarena umfunktionierten Bierzelt, wo das von der Decke hängende und kaum zu übersehende Spruchband „Ihr Mißgeburten“ Gruß und Ausdruck alpenländischen Humors zugleich ist.

Headliner des Events, neben dem seit Jahren in New York lebenden „verlorenen Sohn“ der österreichischen Rockszene Hans Platzgumer (mit seiner Band HP Zinker) und den US-amerikanischen Jesus Lizard: die baskische Rockband Negu Gorriak. Für die fünf Basken ist dies der Auftakt zu einer zweimonatigen Tournee mit 35 Konzerten quer durch halb Europa. Endstation wird, am 30.Oktober, das heimische Bilbao sein.

Schwer vorstellbar, daß die – nach heftigen Regengüssen – im Schlamm versinkende Menge versteht, was Sänger Fermin Mugurza ins Mikro... nennen wir es singt. Wer spricht auch schon Euskerra, die für unsere Ohren so fremde Sprache der Basken, angeblich, so Experten, die einzige noch lebende nicht-indogermanische Sprache Westeuropas. Geschrieben sieht sie noch seltsamer aus, als sie sich gesprochen anhört. Kostprobe: „Ixil, ixilik dago“ („still, ganz still“), oder „Borreroak Baditu Milaka Aurpegi“ („Der Henker mit den tausend Gesichtern“), wie das jüngste dritte Album der Gruppe um die Gebrüder Fermin und Inigof Mugurza heißt.

Sind die Texte auch live nicht verständlich, Gebärden und Musik sind international, bedienen sich der bekannten Codes: in die Luft wirbelnde Fäuste, Luftsprünge der offensiven Viererkette (zweimal Gitarre, einmal Baß und ein Gesang) an der Rampe und gelegentliche Aufforderungen („Jump“) werden vom Publikum genauso verstanden wie die Mixtur aus Hardcore, Hard Rock und gelegentlichen Ausflügen in Ska und Reggae sowie das Andeuten von HipHop-Einflüssen, gerappten Passagen und genre-üblichen Rhythmusbreaks. Man widmet sich, wie so viele Gleichaltrige in der westlichen Rockszene, dem mehr oder weniger lustvollen „Crossover“, dem Überqueren einstmals eherner Grenzen zwischen den härteren cores auf der einen, Funk, Rap und HipHop auf der anderen Seite. Vielleicht ein bißchen energiegeladener als andere Bands, gelegentlich verspielter, manchmal aber auch, aufgrund gelegentlicher Riffs aus dem Fundus des Schweinerock, etwas abgeschmackter. Ansonsten gilt: musikalisch nichts wesentlich Neues unter der Sonne.

Das Besondere an Negu Gorriak (baskisch für „rauher“ oder auch „roter Winter“) sind Texte und, wie sagt man? – Haltung der Gruppe. In den englischen und auch deutschen Textübersetzungen des Booklets läßt sich das ebenso nachlesen wie in der bei den Konzerten umsonst verteilten achtseitigen Zeitung zur Tour, Titel: „Stop Hipocrisy“ („Stoppt die Heuchelei“). Dort finden sich neben Artikeln zur Band auch solche zur Geschichte des Baskenlandes und zur Situation der derzeit rund 550 politischen Gefangenen auf der iberischen Halbinsel.

Vor vier Jahren entstanden Negu Gorriak aus der populären baskischen Punkband Kortatu heraus, einer Agit-Politcombo, die auf ihrem letzten regulären Album den Schritt zur baskisch singenden Gruppe hin vollzog. Den ersten Auftritt gab man damals vor 12.000 Besuchern anläßlich des jährlichen Marsches der baskischen Separatisten nach Herrera de la Mancha, dem größten Sicherheitsgefängnis Spaniens. In diesem im Jahr 1983 nach dem deutschen Vorbild Stammheim gebauten Knast sitzen die meisten politischen Gefangenen des bewaffneten militärischen Arms der baskischen Befreiungsbewegung, der ETA („Euskadi ta Askatasuna“ – „Baskenland und Freiheit“). Der Befreiungskampf, die Situation der politischen Gefangenen, die Machenschaften der Guardia Civil, der Sondereinheit der spanischen Polizei in Euskadi, die von vielen Basken als Besatzungsarmee angesehen wird, sind von Anfang an Themen der Gruppe. Doch auch die Kulturindustrie, die Vermarktungsstrategien der Unterhaltungskonzerne – Stichwort „Rock 'n' Roll Schwindel“ – sind wiederkehrende Themen in den Songs der Basken – Themen, die auch die beiden anderen bekannten europäischen Agit- Politbands gerne ansprechen: die holländischen The Ex und die britischen Chumbawamba, befreundete Gruppen der Basken, mit denen man, so Sänger Fermin im Interview, „inhaltlich auf derselben Ebene liegt“.

Während die Gruppe sowohl bei der baskischen als auch bei der spanischen Jugend sehr beliebt ist – in Spanien füllt man locker größere Hallen –, gibt es mit den spanischen Medien, der Texte und der generellen Haltung zur ETA wegen, große Probleme. Obwohl ihr zweites Album „Gure Jarrera“ („Unsere Haltung“) 1991 von etlichen Rockmedien Spaniens zum Album des Jahres erkoren wurde, werden die Songs kaum im Radio gespielt. „Das ist die totale Zensur“, meint Fermin. „Trotz unserer Popularität wirst du uns in Spanien nie in den wichtigen Radiosendungen hören können. Auch unser jüngster Videoclip kam nicht im Fernsehen und wird dort wohl auch nie laufen.“

Immerhin finden Negu Gorriak in uniformierten Kreisen aufmerksame Zuhörer – hat doch Rodriguez Galindo, seines Zeiches Oberst einer Einheit der Guardia Civil, jüngst Klage gegen die Gruppe eingereicht. Dem bekannten Scharfmacher gegen die ETA, der 1990 in mehreren Verfahren wegen mutmaßlichen Drogenhandels verwickelt war, allerdings nie verurteilt wurde, hat der vor zwei Jahren entstandene Song „Ustelkeria“ überhaupt nicht gefallen. In diesem Lied (deutscher Titel: „Es stinkt“) hatte die Band damals in der Presse veröffentlichte Vermutungen über die angebliche Verwicklung von Galindo in Drogengeschäfte thematisiert. Konkret ging es um eine von der Guardia Civil (unter Führung von Galindo) beschlagnahmte Tonne Kokain, bei der auf rätselhafte Weise 150 Kilogramm nach Beschlagnahmung verschwunden sind.

Der schwer in seiner Ehre verletzte Galindo fordert nun unter anderem als Wiedergutmachungssumme 15 Millionen Peseten (rund 230.000 Mark). Die Band fragt sich manches dazu, unter anderem, warum die Klage erst jetzt, zwei Jahre nach Erscheinen des Songs, eingereicht wird.

Negu Gorriak: Borreroak Baditu Milaka Aurpegi (RecRec/EfA)

Negu Gorriak live:

20.9. München, Flughafen Riem

21.9. Berlin, TU Mensa

23.9. Kopenhagen, Ungodhumset

25.9. Rostock, Mau

27.9. Hannover, Weltspiele

28.9. Köln, Rhenania