■ Heitmann will Stimme des Volksempfindens sein
: Der Stammtisch-Kandidat

Gelegentlich mußten auch die schärfsten Kritiker Helmut Kohls dem Bundeskanzler zumindest ein Plus zugestehen: die Kunst, die seiner Meinung nach richtigen Leute auf die richtigen Sessel zu hieven. Seit Kohl Steffen Heitmann als Nachfolger Richard von Weizsäckers vorgeschlagen hat, scheint der Dauerkanzler auch diese Fähigkeit eingebüßt zu haben. Obwohl der neue Bundespräsident erst am 23. Mai in Berlin gewählt werden wird, erweist sich Heitmann für die CDU schon jetzt als schwere Hypothek für das „Superwahljahr“ 1994. Bei seinem ersten größeren Auftritt auf dem CDU-Parteitag ähnelte sein gedankliches wie gestisches Repertoire dem eines bigotten Pfaffen aus Wilhelm Buschs Karikaturenalbum. Heitmann durfte in Berlin das Wort ergreifen, sagte aber nichts.

Inzwischen hat er auch etwas gesagt, und zwar zu Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung in einem großen Interview. Als ein mit seiner Naivität kokettierender Biedermann präsentierte sich Kohls Kandidat da als kommender Anwalt der „deutschen Normalbürger“. Bei den Themen Frauen, Ausländer und des Umgangs mit der NS-Vergangenheit konstatiert er eine Differenz zwischen der „intellektuellen Debattenlage“ und dem „Empfinden der Mehrheit der Bürger“. Die Debatten über diese „tabuisierten“ Bereiche müsse man aufbrechen und dem „Normalbüger“ eine Stimme verleihen. Tabubrüche in Ehren. Allerdings – das einzig Erfreuliche an der angeblich unterdrückten, schweigenden Mehrheit um die deutschen Stammtische ist – ihr Schweigen.

Heitman hingegen redet über die Vergangenheitsbewältigung. Wie jeder anständige Rechte fordert er ein Ende der deutschen Sonderrolle. Dies unterscheidet sich zwar nicht prinzipiell von Helmut Kohls Projekt der „Normalisierung“. Doch die gespielte Arglosigkeit, mit der er die Historisierung der NS-Verbrechen proklamiert, war zuviel des Guten. Offenbar haben ihm die diversen Mißgeschicke seiner Parteifreunde beim Umgang mit der deutschen Geschichte nicht zur Warnung gedient. Er stellt sich die Fettnäpfchen selbst hin, um dann mit beiden Füßen hineinzuspringen.

Der Kohl-Kandidat bewegt sich nicht nur weit unter dem Mindestniveau der westdeutschen Politik, er wäre als Präsident gemeingefährlich. Stellen wir ihn uns vor, wie er nach Amtsantritt bei fortgesetzten Angriffen auf Ausländer tabubrechend darüber zu räsonieren beginnt, ob denn nicht doch zu viele Nichtarier in Deutschland lebten. Ignatz Bubis hat Heitmanns Eignung in Fage gestellt, die FDP geht auf Distanz, lediglich die CSU erklärt den sächsischen Justizminister nach seinen Ausfällen um so erfreuter zu einem der Ihren. Es ist für alle Beteiligten besser, wenn Heitmann sofort zum Rücktritt von seiner Kandidatur gebracht wird und nicht wie Kohls letzter Alibi-Ostler Günther Krause nach einer Kette von Skandalen. Michael Sontheimer