„Für eine Wiedererrichtung der Sowjetunion“

■ Weitere Runde im Moskauer Machtkampf / Jelzin will sich Neuwahlen stellen

Moskau (dpa/taz) – Einen „heißen Herbst“ im Moskauer Machtkampf hatte Boris Jelzin schon im August angekündigt – das vergangene Wochenende brachte nun den Auftakt. Denn gleich zweimal forderte der russische Präsident seine Gegenspieler, die Abgeordenten des Obersten Sowjet, heraus. So machte er bereits am Freitag deutlich, daß er sich ihren Forderungen nicht länger beugen will und hat den Radikalreformer Jegor Gaidar ins Kabinett zurückgeholt. Noch im Dezember 92 hatte Jelzin den damaligen Premier nach scharfer Kritik der Konservativen dem Voksdeputiertenkongreß geopfert und durch den als gemäßigt geltenden Tschernomyrdin ersetzt.

Die zweite Entscheidung folgte dann am Samstagmittag: Jelzin erklärte sich bereit, die für 1996 geplante Neuwahl des Präsidenten vorzuverlegen. Dieses von vielen als „Einlenken“ Jelzins gewertetes Angebot, setzt in Wirklichkeit seine Gegner unter Druck.

Denn Boris Jelzin verband seinen Vorschlag mit der Bedingung, sechs Monate vor einer solchen Abstimmung auch das Parlament neu zu wählen. Und auch am Samstag abend war von einer immer wieder diagnostizierten Krankheit Jelzins nicht zu spüren: Mit einem Erlaß schränkte er die Rechte von Vizepräsident Ruzkoi weiter ein. Nun kann der Vize den Präsidenten lediglich dann vertreten, wenn dieser es ausdrücklich anordnet.

Kein Wunder also, daß die Herausgeforderten mit wortgewaltigen Attacken reagierten. So verkündete Ruzkoi, daß allein in der Wiedererrichtung der Sowjetunion die Chance bestünde, Rußland zu retten. Parlamentschef Ruslan Chasbulatow warf vor rund 1.400 Abgeordneten aus allen Regionen Rußlands Jelzin vor, eine sogenannte direkte Präsidentenverwaltung – eine Art Ausnahmezustand – einführen zu wollen. Dies gelte es zu verhindern: „Der Oberste Sowjet ist die größte und letzte Festung der Demokratie und der Volksmacht.“ Zum Thema Neuwahlen äußerte sich Chasbulatow jedoch nicht.

Daß Gaidar den Gegnern des wirtschaftlichen Umbaus wenig Freude bereiten dürfte, wurde bereits kurz nach seiner Ernennung deutlich: So forderte er zur Rettung der russischen Volkswirtschaft eine rigorose Sparpolitik und den dauerhaften Schutz der Rechte der Eigentümer. „Selbst wenn es uns gelingt, die Geldmasse zu begrenzen, riskieren wir eine monatliche Inflation von 65 Prozent.“ Gaidar löst Oleg Lobow ab, der von Jelzin zum Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates ernannt wurde. Lobow übernimmt den Posten von Marschall Schaposchnikow, der Anfang August nach einem Monat im Amt zurückgetreten war.

Verschoben wurde die für Samstag geplante formelle Konstituierung des Föderationsrates. Zwar waren die Vertreter der Teilrepubliken sowie autonomen Regionen und Gebiete grundsätzlich zur Unterschrift bereit, sie wollten sich vorher jedoch „Rechtsklarheit“ verschaffen. So sind viele Regionen unsicher, wann und wie die neue Verfassung oder ein Übergangsgesetz angenommen werden könnten, und welche Rolle letztlich der Föderationsrat spielen wird. her