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Konsortium zur Vermarktung einer guten Idee

■ Interview mit dem Berliner Sportwissenschaftler Gunter Gebauer über die positiven Aspekte von Olympia, über das IOC und die Verzahnung von Sport mit Industrie und Medien

taz: Herr Gebauer, als Berlin noch eine geteilte Stadt war, wurde die Vorstellung von einer „sanften Olympiade“ geboren: Die Weltspiele sollten die Mauer durchlässig machen, Frieden stiften und Völker verbinden. Heute ist die Realität eine andere. Kommt es Ihnen nicht auch so vor, als gingen die Berliner Olympiamacher dennoch mit jenen – heute inhaltsleeren – Argumenten hausieren?

Gebauer: Olympische Spiele haben noch nie Frieden gestiftet, auch in der Antike nicht. Die olympische Waffenruhe galt nur, weil die Spiele als eine Art Fortsetzung des kriegerischen Wettstreits angesehen wurden. Der Sport braucht den Frieden, er stiftet keinen. Er ist höchstens ein Element, das den Frieden verstärkt. Genausowenig kann er Völker verbinden, er setzt ein gewisses Grundverständnis für einander voraus. Aber der Ansatz in Berlin war ein positiver. Die Stadt schickte sich an, ihre Rolle, die sie künftig in der Welt spielen wollte, neu zu überlegen. Nur ist etwas völlig anderes daraus geworden. Die offizielle Seite betreibt eine Politik, die nur auf Marketing-Gesichtspunkten basiert.

Welches sind die vernachlässigten positiven Aspekte?

Die Spiele sind mehr als ein gigantischer Werbeträger. Man hätte in der Darstellung der Spiele eine andere Symbolik wählen sollen. Sich zum Beispiel die antiklerikale Tendenz der Stadt zunutze machen; der Olympismus hatte ursprünglich die gleiche Tendenz. Berlin hat immer eine große Offenheit für Minderheiten demonstriert. Toleranz und die Idee der Verwandtschaft der Menschen wäre im Grunde genau die Grundlage für eine sinnvolle Ebene der Völkerverständigung.

Sie haben vor kurzem (taz vom 21.8.93) den Sport als „kleinsten Nenner der nationalen Vereinigung“ bezeichnet ...

In Deutschland ist Sport zum Schauplatz von Nationalismen verkommen. Das ist eine ganz heikle Geschichte, gerade in Berlin.

Sie denken an die Spiele 1936?

Ja, die Planer denken nur ans Verkaufen der Spiele. Aber man hätte zeigen müssen, daß hier ein Deutschland antritt, das nicht wieder nur Stärke demonstrieren will.

Berlin mobilisiert aber das Großkapital ...

Vor allem seit Mercedes-Benz ins Geschehen eingriff, wird man diesen Eindruck nicht los.

Die Berliner Olympiaplaner hofieren die IOC-Fürsten, und die Gegner setzen Autos und Gebäude in Brand. Der Sport, ein Nebenkriegsschauplatz?

Es prallen zwei völlig unterschiedliche Vorstellungen von Sport aufeinander. Die Olympiagegner sehen den Sport als Terrorveranstaltung, als kriegerisches Feld. Sie reduzieren den Sport auf den Kommerz und ignorieren, daß nur die wenigsten wirklich absahnen. Zudem wird die Leidenschaft, mit der SportlerInnen auch heute noch ihren Sport betreiben, gar nicht mehr wahrgenommen.

Aber die Befürworter setzen doch alles daran, das Bild einer korrupten Sportwelt zu bestätigen.

Leider, sie führen schäbige Argumente an: Sportler sind wohlfeil, allseits bereit, als Werbeträger zu fungieren. Nur stimmt das so nicht. Natürlich wollen und sollen sie Geld im Sport verdienen. Aber das ist längst nicht alles. Die Olympiabefürworter nutzen Spitzensportler aus, zeigen sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Man wird nicht mehr gegenwärtig, wie hart sie trainieren müssen und wie wenig sie sozial abgesichert sind.

Und die olympische Bewegung?

Es sieht düster aus, denn es fehlt ein Korrektiv. Heute ist das IOC ein Konsortium zur Vermarktung einer urprünglich guten Idee. Der Sport ist dabei auf unglückselige Weise mit den Einflüssen der Großindustrie und der Medien verzahnt. Der Sport entwickelt sich weg von der Lebenswirklichkeit der Menschen. Der Zuschauer sieht immer mehr unnatürliche, weil gedopte, Körper. Aber viel mehr noch führt die Fernsehübertragung in eine Scheinwelt: Die Sportberichterstattung wird zur künstlichen Dramaturgie.

Ist dieser Prozeß unumkehrbar?

Ich hoffe nicht. Sonst wird das Produkt Sport wertlos. Es wird zum Simulationsfilm, einem Comic strip gleich, und verliert seine menschliche Basis. Interview: Cornelia Heim

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