Schwere Schlappe für beide großen Parteien

■ Die „Statt Partei“ des CDU-Dissidenten Markus Wegner und die Grünen sind die großen Gewinner der Hamburger Bürgerschaftswahl vom Sonntag

Hamburg (taz) – Markus Wegner, Ex-CDU-Mitglied, Gründer und Spitzenkandidat der Hamburger „Statt Partei“, hatte am Morgen noch ein ungutes Gefühl: „Alles über drei Prozent wäre ein Super-Ergebnis“, erklärte jener Mann, dessen Verfassungsklage gegen seine alte Partei die Neuwahlen erst erzwungen hatte. Um 18 Uhr dann die Sensation per TV: mehr als fünf Prozent für die „Statt Partei“. Jubel bei Markus Wegner.

Auch die zweite Siegerin des Abends, die grüne Spitzenkandidatin Krista Sager, stieß am Wahltag zunächst nicht ins Optimismus- Horn, sondern versuchte den Vorwahloptimismus ihrer ParteifreundInnen zu dämpfen, denen die Meinungsumfragen im Vorfeld der Wahl bis zu 15 Prozent prognostiziert hatten. Wenn es denn überhaupt zweistellig werde, meinte Sager, dann sei sie schon zufrieden.

Am Abend war sie dann sehr, sehr zufrieden. Die Grünen bei 14 Prozent, Krista Sager am Ziel. Fast schadenfroh kündigte sie dann auch „harte Koalitionsverhandlungen“ an. Dagegen waren gerade jene PolitikerInnen optimistisch in diesen Wahltag gestartet, die am Abend ziemlich bedröppelt dastanden. CDU-Spitzenkandidat Dirk Fischer bemühte sich trotz der desolaten Wahlprognosen für seine Partei, locker zu bleiben, scherzte mit den Wahlhelfern, „daß sie jetzt nur nicht die Urne umschmeißen“, und setzte seine Hoffnung auf Petrus. Der erste Sonnentag seit Wochen an der Elbe werde „bestimmt zu einem positiven Wahlergebnis“ beitragen.

Bürgermeister Henning Voscherau hatte alle Bedenken vorerst verdrängt. Aufgeräumt berichtete der Senatschef den Reportern in seinem Wellingsbütteler Wahllokal von einem Privatbesuch in seiner alten Studienstadt Marburg, den er am Tag vor der Wahl zur Entspannung eingelegt hatte. Schon um 5.30 Uhr sei er aufgestanden, um ja seine Stimme pünktlich abgeben zu können. Das böse Erwachen kam spätestens mit der ZDF-Hochrechnung um 18.40 Uhr. Minus acht Prozent.

Selbst die im Wahlkampf so unglücklich agierende Polit-Newcomerin, FDP-Spitzenkandidatin Gisela Wild, ließ sich ein trotziges „ich hab' ein gutes Gefühl“ entlocken. Doch das trog. Die Partei mit den drei Punkten flog gestern aus der Hamburger Bürgerschaft – nur rund vier Prozent der Wähler mochten sich für sie entscheiden. FDP-Chef Vogel nahm noch am Abend seinen Hut.

Ob es dagegen für die rechtsradikalen „Republikaner“ gereicht hat, war bei Redaktionsschluß dieser Ausgabe noch unklar. Da lag der Schönhuber-Verein in den Hochrechnungen bei 4,9 Prozent der Stimmen. Abgeschlagen dagegen die DVU: Sie kam „nur“ auf rund drei Prozent der Wählerstimmen. Insgesamt legten die rechtsradikalen Parteien in Hamburg freilich um rund sechs Prozent zu.

Den ganzen Tag über meldeten die Moderatoren der lokalen Rundfunksender mit wachsender Begeisterung, daß die Nichtwählerquote nach den ersten Trends doch nicht ganz so hoch liegen würde, wie bei den Hamburg- Wahlen 1991: „...48,8 schon um 14 Uhr...“, „um 17 Uhr schon so hoch wie vor zwei Jahren“. Damals hatten nur 66 Prozent der WählerInnen ein Kreuzchen gemacht. Eine noch geringere Beteiligung, so hatten die WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen in den vergangenen Wochen unermüdlich gemahnt, werde die Chancen der rechtsextremistischen Parteien verbessern.

Die Gründe für die herbe Niederlage der beiden großen Parteien hatte bereits am Samstag eine im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks durchgeführte Infas- Untersuchung geliefert. In Sachen Lösungskompetenz haben danach sowohl CDU als auch SPD enorm an Vertrauen verloren. Zweistellige Minusergebnisse in fast allen Sachgebieten.

Die Umfrage lieferte auch einen Hinweis für den Wahlerfolg der Grünen. 53 Prozent der HamburgerInnen betrachten die GAL inzwischen als „etablierte Partei“, und nur noch ein gutes Drittel möchte das Etikett „alternativ“ vergeben. Einbruch ins bürgerliche Lager. Uli Exner