Matriarchat verhindert Nazis im Parlament

■ Alte Frauen entscheiden die Wahl: Nein zu den Nazis, Treue zu Deichgraf Helmut Schmidt, Lob für die nette Krista Sager, Schimpf und Schande für die CDU   Von Florian Marten

1.430 Stimmen fehlten den Republikanern zum Einzug in die Bürgerschaft. Hamburgs wählende Schwanzträger wollten ihren Schönhuber schon feiern: 9,5 Prozent der Männer wählten Nazis, die Reps wären satt ins Parlament marschiert. Die Frauen hielten dagegen: Nur 4,8 Stimmen erhielten die Nazi-Parteien von der größeren, weiblichen Hälfte: 54 Prozent der Wahlberechtigten sind weiblich. Der braune Geschlechterkampf erreichte jenseits der 60 seinen Höhepunkt: 13,5 Prozent der Männer über 60 votierten braun, nur 4,8 der Frauen.

Eine besondere Bastion des Wahlmatriarchats sind die Frauen über 60: Doppelt so zahlreich wie ihre männlichen Altersgenossen, stellen sie urnenfleißige 20 Prozent der Wahlberechtigten. Diesmal retteten sie Henning Voscherau: 49 Prozent votierten für ihn, fast genausoviel wie 1991 (50%). Die dramatischen SPD-Einbrüche bei den 18- bis 45jährigen WählerInnen (11 bis 14 Prozent) wurden so deutlich abgemildert. Dirk Fischer kam nicht so gut davon: Seine Einbrüche bei den über 45jährigen Frauen liegen weit über den Verlusten bei jüngeren Wählerinnen.

Während die GAL bei den unter 45jährigen nach der SPD schon zweitstärkste Partei ist, langte es bei den über 60jährigen gerade für 2,7 Prozent. Der Charming-Krista-Sager-Effekt hat es dennoch in sich: Bei den ganz Alten vervierfachte sich der GAL-Anteil (von 0,7 auf 2,7), bei den jungen Alten (45-60) gabs immerhin eine Verdreifachung (von 3,4 auf 9,4 Prozent).

Der Newcomer STATT-Partei ist eine Partei mit jungen, reichen WählerInnen, die in den Stadtteilen an der Elbe, in Allermöhe, Harvestehude und in den Walddörfern an der Oberalster wohnen. Umgekehrt hat die FDP in ihren, mit CDU und STATT-Partei deckungsgleichen Hochburgen, besonders bluten müssen. Sie ist – einschließlich der Bezirksversammlungen – hamburgweit zur Splitterpartei degeneriert.

Die alte CDU hat flächendeckend eine brutale Schlappe eingesteckt, besonders herbe in ihren Hochburgen (deckungsgleich mit STATT-Partei) an Elbe und Oberalster. Ihr bestes Ergebnis erzielte die CDU mit 48,8 Prozent in Tatenberg im Wahllokal G. Meier. Bei den unter 45jährigen ist sie mit 11 bis 15 Prozent der WählerInnen von GAL (24 bis 29%) und SPD (34 bis 39%) dramatisch abgehängt worden. Auch in vielen Stadtteilen ist die CDU zur Bedeutungslosigkeit verkümmert. Beispiel St.Pauli: 9,6% CDU, 33,8% SPD, 34,5% GAL. In vielen Altbauvierteln hat die GAL die CDU weit überholt, die nur noch in den Reihenhauswüsteneien der Außenbezirke etwas hermacht.

Ganz anders die GAL: Sie hat erstmals bei den Älteren Fuß gefaßt, die Jungwähler in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß mobilisiert und ein spannendes Mix von Hochburgen: Neben Ottensen (47,1 grüne Prozente im Wahllokal der katholischen Schule in der Eulenstraße 68) sind es alle innerstädtischen Altbauviertel, der gesamte Hamburger Norden sowie Blankenese und die nordöstlichen Walddörfer. Die GAL hat in großem Umfang Nichtwähler mobilisiert und bei der SPD Stimmen getankt. Besonders deutlich wird dies auch bei den Wahlen zu den Bezirksversammlungen, wo die GAL im Durchschnitt auf 16,3 Prozent, die SPD nur auf 38,3 Prozent der Stimmen kommt. Auch im Parlament ist die GAL mit einem Altersdurchschnitt von 40 Jahren die jüngste Partei – SPD und CDU gönnten sich, kleine Reverenz vor ihrer WählerInnenschaft, ein Durchschnittsalter von über 50 Jahren. Schwach ist die GAL nur in den Vierlanden, Wilhelmsburg und im tristen grünarmen Nordosten: Billbrook, Horn, Billstedt.

Die SPD hat flächendeckend sehr deutlich verloren – nur in ihren schwachen Gebieten, den Elbvororten und den Walddörfern, stellte diesmal auch der eine oder andere CDU-Fan seinen Wahlscheck auf den Namen Voscherau aus. Ihre Hochburgen in den klassischen Arbeiterquartieren hat sie gehalten, wenngleich die Nazi-Parteien genau auch hier reiche Beute machten. Für die SPD-Strategen müssen neben den direkten Verlusten an die Braunen vor allem die deutlichen Einbrüche bei den Jungwählern, die Überalterung ihrer Wählerschaft und die niedrige Wahlbeteiligung in ihren Stammvierteln für erhebliche Unruhe sorgen. Noch immer gilt: je alt und reich, desto wahlfleißig.

Eigentliche Wahlsieger und größte Partei – mithin auch vorschlagsberechtigt für die künftige Erste BürgermeisterIn – waren erneut die NichtwählerInnen. Mißt man die von den Parteien erreichten Prozente an der Zahl der Wahlberechtigten – und nicht an der Zahl der abgegeben Stimmen – so lautet das Wahlergebnis: 33% für Nichtwähler und ungültige Stimmen, 27,5 SPD, 17,1 CDU, 9,2 GAL, 3,8 Statt, 5,2 Nazis, 2,9 FDP.