Die Ängste des Doktor Henning Voscherau

■ Für den Stadtchef ist Rot-Grün eine Gefahr: für sich, für die SPD und für Hamburg

Dr. Henning Voscherau macht sich Sorgen. Große Sorgen. Er sieht Hamburg am Rande des Abgrunds. Und in dem, so glaubt er, kennt er sich aus: Die Breughelschen Gestalten der Politik-Verdrossenheit identifiziert er als „die Ängste der kleinen Leute“. Woher genau diese Ängste kommen, weiß Voscherau zwar nicht, eins aber steht für ihn fest: Die Angstseuche grassiert international. Und noch eines hat er erkannt: Er selbst, Bürgermeister Henning Voscherau, ist unschuldig.

Für den Verlauf der nächsten Polit-Wochen weit bedeutsamer als jene Unschuldsvermutung sind jedoch die Antworten, die Voscherau den kleinen Leuten am liebsten geben würde: hartes, schnelles und energisches politisches Handeln. Durchgreifen. Wohnungen und Straßen bauen, dem Stadtchef per Verfassungsänderung mehr Macht geben, Zentralisieren, Wirtschaft ansiedeln. Die Krise der SPD-Politik in Hamburg besteht für ihn allenfalls in mangelnder Durchsetzungsfähigkeit. An der Richtigkeit seines Konzepts zweifelt er nicht. Hat nicht ein Helmut Schmidt persönlich ihm den Kurs bestätigt?!

Daß die Grünen vielleicht neue und bessere Antworten auf die Krise haben als die SPD, kommt ihm nicht in den Sinn. Er sieht ökologisches Stirnrunzeln und linksalternatives Gehabe als Markenzeichen einer satten Oberschicht, die sich von den einfachen Leuten und den sozialen Problemen weit entfernt hat. Daß arbeitslose Jugendliche nicht nur Reps, sondern gerade auch GAL wählen, daß neue Konzepte für die Bewältigung sozialer Brennpunkte vonnöten sind, die der Sozi-Filz aus Sozialbehörde und ABM-Trägern niemals hinkriegt, daß Verkehrsprobleme auch mit Autofahrern gegen das Autofahren gelöst werden können – böhmische Dörfer für Henning. Daß Politikfrust außer verwirrten Kleinbürgern auch Intellektuelle, Künstler, Kinder und Geschäftsleute umtreibt, nimmt er nicht wahr.

Dabei treibt Voscherau ausnahmsweise nicht die Lust am Taktieren. Ihn frißt die Angst vor den Motiven der Rep-Wähler förmlich auf, und dem Kleinbürgerfrust will er mit 50er-Jahre-Politik begegnen. Andere Politikmodelle kennt er nicht, will er nicht kennenlernen.

Eine Koalition mit der Grünen begreift er somit als echte Gefahr für Hamburg. Verkehrspolitische Experimente, sozialpolitischer Klimbim, wirtschaftsfeindliche Verhinderungsstrategien. Wenn schon, dann, so Voscherau, dürfen die Grünen möglichst wenig Schaden anrichten, sprich möglichst keine eigene Politik gestalten.

Ein so angelegter rot-grüner Senat wäre allerdings von vorneherein auf Mißerfolg programmiert. Nur wenn SPD und GAL etwas riskieren, sich selbst zum politischen Erfolg und damit zu wirklichen Veränderungen der Verhältnisse verdammen, kann eine Bresche in den tatsächlich gefährlichen Wählerfrust geschlagen werden. fm