„Menschen sind keine Möbel“

Ein Stadtteil kämpft um „seine“ Asylbewerber / Initiativkreis in Ludwigshafen kritisiert Zwangsumzüge  ■ Von Heide Platen

Nein, eine Schönheit unter den deutschen Städten ist Ludwigshafen wirklich nicht. Schon am Bahnhof stürzt der geballte Beton der Brücken, Hauptverkehrsstraßen und Häuserschluchten zartbesaitete BesucherInnen in tiefe Depressionen. Das Rathaus blinkt spöttisch mit seiner verspiegelten Fassade, Baujahr 1979. Es heißt „Rathaus- Center“. Oben regiert, wie seit Jahrzehnten mit absoluter Mehrheit, die SPD. Unten bietet ein Kaufhauskonzern Unterwäsche im Sonderangebot an. Für die freundliche Dame im Fremdenverkehrszentrum sind Fußgänger wundersame Wesen. Material über die Stadt, ja doch, hat sie, aber vor allem: „Hier ist das Verzeichnis mit den Parkhäusern!“

„Ludwigshafen – überraschend anders“ nennt sich stolz „Industriestadt im Grünen“. Die sozialdemokratische Arbeiterhochburg lebt von und mit der Chemieindustrie. 1865 eröffnete die Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF) hier ihre Niederlassung, und „die Anilin“ ist bis heute der größte Arbeitgeber der Region. Eine eigene Gemeinde ist Ludwigshafen erst 1853 geworden. Der ehemalige Brückenkopf „Rheinschanze“ der rechtsrheinischen Schwesterstadt Mannheim wuchs nach der napoleonischen Besetzung, der Rhein, seit 1803 politische Grenze, trennt heute Rheinland-Pfalz von Baden- Württemberg. Dem Rhein, so steht es im Stadtführer, verdankt Ludwigshafen also „gleich in mehrfacher Hinsicht“ seine Existenz.

Das Wasser des Flusses klatscht schwarz und ölig gegen die Pontons der beiden dreistöckigen Containerschiffe. Sie liegen vertäut an der Kaimauer des Kaiserwörthhafens und gehören der Firma Aquatel aus Hamburg. Die Stadt hat hier seit Anfang 1992 Asylbewerber untergebracht. Die Schiffe leuchten in schmuckem blau-weißem Anstrich. „Bella Ludwiga“ steht in großen Buchstaben über der Anlage mitten im Gewerbe- und Industriegebiet, in dem die Straßen nach Aral und Shell benannt sind. Ein schmaler Weg unterhalb des Drahtzaunes, der die Bahngleise abtrennt, zwei lange, schräge Gangways, ein Kind, eingezwängt zwischen Eingang und Reling, die christliche Seefahrt auf Altvater Rhein wird zum Menschenpferch. Innen sind die Schiffe so alptraumartig genormt eingerichtet wie die zur Menschenstapelung üblichen Container auf dem Festland anderswo auch. Für Kinderspielplätze ist zwischen Kaimauer, Bahngleisen und Zufahrtsstraßen kein Platz. Am anderen Ufer türmen sich um die ganztägig kreischenden Schreddern Autowracks und Schrottberge. Kritiker nennen die schwimmende Unterkunft ein „Kindergefängnis“.

Die Schiffe sind ein Problem für die Stadt geworden. Die Boote sind nicht etwa zu voll, sondern, ebenso wie die Container und Plattenbauten der Sammellager der städtischen Tochtergesellschaft Lubege, zu leer. Der Flüchtlingsstrom ist versiegt. Leere Betten aber kosten die Kommune Geld, denn für sie gibt es keine Kostenerstattung von Land und Bund. Die Eigner der „Bella Ludwiga“ bekommen per Vertrag pro Tag 53 Mark pro bereitgestelltem Bett, das Land zahlt diese Kosten aber nur für belegte Betten. Anerkannte Flüchtlinge, in Not geratene Sozialhilfeempfänger und Obdachlose müssen aus der Stadtkasse finanziert werden. Dies, so vermutet der Grünen-Stadtrat Elmar Strifler, sei der Grund dafür, daß Flüchtlinge aus städtischen Wohnungen zurück in die Container an den Stadträndern verschoben werden sollen. Sozialdezernent Fritz Heiser bestärkte diesen Verdacht. Zuerst einmal müßten die extra für sie geschaffenen Einrichtungen auch mit Asylbewerbern belegt werden. Frei werdende städtische Wohnungen seien dann für die rund 2.000 Obdachlosen bestimmt, von denen einige jetzt noch in Pensionen untergebracht wären. Heiser: „Die Bevölkerung würde ein anderes Vorgehen nicht verstehen.“

Ludwigshafen ist stolz auf den Hemshof mit seiner buntgemischten Bevölkerung. Das ehemalige Arbeiterviertel am Rande der BASF ist gemütlich, übersichtlich und mit seinen von bescheidenem Wohlstand zeugenden Straßenzügen eine bauliche Oase in der Unwirtlichkeit der Stadt. Hier praktiziert die Ärztin Marianne Speck. Sie ist eine derjenigen, ein Novum in der Bundesrepublik, die sich mit anderen Gruppen und Einzelpersonen zu einem rührigen Initiativkreis gegen das städtische Rechenexempel und seine „menschenverachtenden Folgen“ zusammengetan hat. Sie kämpft vehement für den Verbleib der AsylbewerberInnen in ihrem Stadtteil im Haus Welserstraße 24.

In der Initiative für die Welserstraße haben sich, ebenfalls ein Novum, zahlreiche Gruppen zusammengeschlossen, die sonst durchaus nicht immer harmonieren. Da wirft Michaela Sauter vom „Politischen Arbeitskreis der Freien Schule Vorderpfalz“ (Pack) ihrem Gesprächspartner vom „Verein zur Unterstützung der Flüchtlinge“, Hans Rudolf Schuh, schon mal vor, der Stadt gegenüber „zu sehr auf Schmusekurs“ zu gehen. Schuh stellt, fast entschuldigend, fest: „Wir sind eben verschieden.“

Gemeinsam aber werfen sie dem seit diesem Sommer amtierenden Oberbürgermeister Wolfgang Schulte und Sozialdezernent Heiser eine „Rambo-Politik“ vor. Dabei werde „eine Minderheit gegen die andere ausgespielt“. Selbst jugendliche Obdachlose, die sich in einem Park eingerichtet hatten, wehrten sich öffentlich bei einem Fest dagegen, als Argument gegen die Asylsuchenden benutzt zu werden. Sie seien von der Stadt „demonstrativ“ geräumt worden, um zu suggerieren, es bestehe ein Bedarf an Wohnraum für sie. Einige von ihnen hätten sich auch bereit erklärt, statt der Flüchtlinge in die leerstehenden Container einzuziehen. Die von der Stadt genannte Zahl von 2.000 Wohnsitzlosen in Ludwigshafen hält der Initiativkreis außerdem für zu hoch.

In der Welserstraße ist die erste von im ganzen Stadtgebiet rund 200 bisher betroffenen Familien Mitte August umquartiert worden. Eine Sitzblockade der Initiative gegen die Zwangsräumung mit Polizeiaufgebot machte das Ereignis zwar öffentlich, konnte es aber nicht verhindern. Sauter wehrt sich gegen die Versuche der Behörden, „unsere Initiative zu chaotisieren“. Sozialdezernent Heiser habe der Lokalpresse nach der Räumung gesagt, da seien „auch Leute von auswärts“ angereist. „Stimmt“, sagt Hans Rudolf Schuh, „die kamen wie ich aus Mannheim.“ Zynisch finden sie Heisers Bemerkung, daß die Initiative zum „Politikum“ mache, was eigentlich nur ein „Verwaltungsakt“ sei. Jetzt hoffen sie darauf, daß verhärtete Fronten etwas aufgeweicht werden. Schuh kritisiert die „populistische Politik der Stadt, die die rechte Klientel bedienen will“. Im Hemshof sei die Gefühlslage mittlerweile, wenn auch manchmal nicht aus den edelsten Motiven, eine ganz andere. Selbst diejenigen, die anfangs gegen den Einzug der Asylbewerber waren, seien mittlerweile mit ihnen einverstanden: „Die wollen inzwischen lieber Asylbewerber als Obdachlose.“ Bei der Räumung in der Welserstraße hätten einige Nachbarn sogar geweint. Die Initiative hatte vorher über 500 Unterschriften gesammelt.

Immerhin habe die Stadt inzwischen zugegeben, daß der Polizeieinsatz „wohl etwas übertrieben“ gewesen sei. Der „Politische Arbeitskreis der Freien Schulen“ nannte die Welserstraße ein „Modellprojekt“ mit Vorbildcharakter für die Integration. Diese aber sei „nicht erwünscht“, so Michaela Sauter. Das habe ihr jedenfalls ein Behördenmitarbeiter gesagt.

Noch am Tag der Räumung sind Obdachlose, ein Mann und eine Frau, in die leergewordene Wohnung eingewiesen worden. Sauter: „Die haben sich selbst gewundert. Die hatten gleichzeitig noch eine andere Wohnung.“ Im Dachgeschoß in der Welserstraße sitzt Aslan Dauti, seine Frau Sadije serviert süßen, starken Tee. Der albanische Lehrer spricht mehrere Sprachen. Er hilft seinen Landsleuten, übersetzt für sie, begleitet sie zu Arzt- und Behördengängen. Er sagt, die Welserstraße sei für ihn inzwischen „eine zweite Heimat“ geworden. Die Kinder haben sich eingelebt, Sohn Fuat ist „ein guter Schüler“. Die Wohnung ist in Eigenarbeit renoviert, die Möbel sind Geschenke oder stammen vom Sperrmüll. „Wir sind nicht bereit zum Ausziehen!“ sagt er. Im Haus lebten bis zur Räumung 48 Menschen einvernehmlich miteinander, die Hälfte von ihnen Kinder aus dem Kosovo, Albanien, Kurdistan und Zaire: „Die Hausgemeinschaft war gut.“

Dauti beschreibt die Spannungen, die durch den Neuzuzug der Obdachlosen entstanden sind, sehr vorsichtig: „Der Mann trinkt nur etwas zu viel Schnaps.“ Er versucht, die dadurch immer wieder entstehenden Wogen zu glätten, gegenseitiges Verständnis zu wecken. Das aber sei schwer. Nicht nur wegen des Alkoholkonsums der neuen Nachbarn und wegen der Angst vor Feuer, wenn sie brennende Zigarettenkippen im Hausflur fallen lassen. Fast noch schlimmer sei es, daß die beiden, wenn sie ihren Wohnungsschlüssel vergessen haben, auch auf den Treppenstufen nächtigen und dort Zärtlichkeiten ohne Ausschluß der Öffentlichkeit austauschen. Das sei, so Dauti, „bei uns verboten“. Ich erkläre, daß das nicht so gemeint ist, daß das nur am Alkohol liegt“. Ob das aber noch lange gutgeht, weiß er nicht.

Gegen seinen Umzugsbescheid hat Dauti inzwischen, wie andere Familien auch, Widerspruch eingelegt. Das Verwaltungsgericht in Neustadt billigte ihm und seiner Familie aus gesundheitlichen Gründen eine „aufschiebende Wirkung“ zu. Seine Frau ist im achten Monat schwanger, er selbst leidet an den Folgen eines serbischen Gasangriffs auf albanische Schulen im Kosovo. Dann schwillt ihm der Körper an, er bekommt keine Luft mehr. Seine Hausärztin, Marianne Speck, hat für ihn gebürgt, damit er ein Telefon bekommt und nachts im Notfall den Arzt anrufen kann. Im Lager wäre das nicht möglich, dort gibt es nur ein Gemeinschaftstelefon. Auch einigen anderen Familien ist es gelungen, aufschiebende Bescheide zu erwirken. Viele von ihnen leiden an Krankheiten, die Marianne Speck auf das „Entwurzelungssyndrom“ zurückführt. Häufige Symptome sind Erkrankungen der Atemwege, Magen- und Darmbeschwerden, seelische Störungen. Speck: „Die Menschen brauchen Zeit und Ruhe. Es dauert mindestens ein Jahr, bis sie sich nach dem Verlust der Heimat allmählich an eine fremde Umgebung gewöhnen können. Menschen sind keine Möbel. Sie dürfen nicht wie leblose Sachen hin und her geschoben werden.“

Daß sie ein gesetzliches Recht auf Einzelfallprüfung mit persönlicher Anhörung und Widerspruch gegen den Umzug haben, wußten die Flüchtlinge vorher nicht. In einem Brief des Sozialverwaltungsamtes hieß es lediglich: „Wir teilen Ihnen mit, daß Sie am ... in eine andere Unterkunft umziehen werden.“ Bei einem Behördengespräch stellten sich, so der Initiativkreis, etliche „Schlampereien“ heraus. Das Amt war gar nicht zuständig, es fehlte die Rechtsmittelbelehrung, und die persönliche Anhörung der Betroffenen sei schlicht „vergessen“ worden. Für Oberbürgermeister Schulte ist das aber nur eine „verwaltungsinterne Panne“.