Anschlagserie auf KZ-Gedenkstätten

■ Neonazis schänden Brandenburger KZ-Gedenkstätten

Rechtsradikale machen keinen Halt vor den ehemaligen Konzentrationslagern. Sie beschmieren die Gästebücher, sie bedrohen die Mitarbeiter und bepinkeln die Räumlichkeiten. Jede Woche, jeden Monat. Und das weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Als im Herbst letzten Jahres der Brandanschlag auf die jüdische Baracke im KZ Sachsenhausen verübt wurde, dachten viele an einen Einzelfall. Doch der Einzelfall ist eher die Regel in Sachsenhausen und Ravensbrück. Die braune Soße schwappt zum zweiten Mal über die Zäune der Konzentrationslager. Begonnen hat die Serie der Anschläge auf die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück schon kurz nach der Wende, erinnert sich eine Mitarbeiterin. Ihren Namen will sie wie alle anderen Beschäftigten in den Gedenkstätten in diesem Zusammenhang nicht in der Zeitung lesen. Sie hat Angst. Eine Gruppe von Neonazis verteilte im Zellentrakt Zettel mit rechtsradikalen Sprüchen. Eine Besucherin erregte sich und fotografierte die Jugendlichen. Zwei junge Männer entrissen der Frau den Fotoapparat, und es kam zu Handgreiflichkeiten. Der Ehemann der Besucherin griff ein und wurde verprügelt. „Zwanzig bis dreißig Besucher standen herum und schauten zu“, erzählte die Angestellte.

„Zu DDR-Zeiten gab es eigentlich keine Übergriffe“, meint Renate Schmidt* vom pädagogischen Dienst in Sachsenhausen. Nach der Wende hätte es vereinzelt Vorfälle gegeben, aber „seit dem Brandanschlag ist das richtig eine Modeerscheinung geworden. Meistens am Wochenende.“ An einem Samstag im August drehte Renate Schmidt ihre übliche Runde im Gelände. „Jeder von uns ist mal mit dem Wachdienst dran.“ In Sachsenhausen und Ravensbrück gibt es tagsüber noch keinen Wachschutz, nur nachts. Die Mitarbeiter müssen deshalb zu bestimmten Zeiten das Gelände und die Gebäude abgehen. Am Morgen sei sie dann auf ihrem Rundgang in den Turm A gelangt, wo ihr Kollege telefonierte. „Der sagte irgend etwas von Hakenkreuz-Schmierereien und Skins.“ Sofort alarmiert, rannte Schmidt zum Eingangstor. Aufgeregt erzählte die Pförtnerin, daß zwei Rechtsradikale auf die Plastikgruppe „Die Befreiung“ drei Hakenkreuze geritzt hätten. „Die sind noch auf dem Gelände“, rief die Pförtnerin, sperrte das Tor zu und alarmierte die Polizei. Als die beiden „sehr ordentlich und sauber gekleideten jungen Männer“ am Tor eintrafen, forderte Fischer*, ein pädagogischer Mitarbeiter, sie auf, ihre Ausweise zu zeigen. „Das geht Sie 'nen Scheißdreck an“, antworteten die beiden. Darauf Fischer: „Ich fordere Sie auf, hier zu warten, bis die Polizei kommt.“ Die beiden erklärten sich einverstanden. „Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis die Polizei eintraf“, schätzt Renate Schmidt. Obgleich das Revier nur wenige hundert Meter entfernt ist.

Gegen die Täter wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Skins wurden nur gestellt, weil die Mitarbeiter Mut zeigten und sie gemeinsam festhielten. „Man muß doch etwas unternehmen“, rechtfertigte Schmidt ihr Verhalten. „Sonst müssen wir uns auch nicht über die Entwicklung aufregen.“

Im Zellentrakt der Gedenkstätte Ravensbrück ist das Personal vorsichtiger. Zwei Frauen beaufsichtigen das weitab gelegene Gebäude. „Früher vor dem Brandanschlag waren wir immer allein, jetzt dürfen wir nur noch zu zweit hier arbeiten“, meint die Angestellte Barbara Holz*. Auch in Ravensbrück versuchten rechte Jugendliche Ende Oktober 1992, das Krematorium in Brand zu setzen.

Die Frauen im Zellentrakt sind ängstlich. Niemand kann ihnen hier schnell zur Hilfe kommen. Als „mehrere Jugendliche“ kürzlich den Trakt betraten und vor den Zellen laut brüllten „bitte raustreten zum Frühsport“, blieben die beiden Angestellten lieber in ihrem Zimmer sitzen. Eine telefonierte leise mit dem Museum. Die Gruppe zog laut grölend durch die einzelnen Zellen. Eine stinkende Urinspur markierte ihren Weg. „In der italienischen Zelle haben die sogar die Fahne bepinkelt“, erzählt Barbara Holz* angewidert. Später, nachdem die Gruppe das Gelände verlassen hatte, stellten die Frauen fest, daß im Krematorium Blumentöpfe in den Ofen geworfen worden waren. Keine der Frauen hatte daran gedacht, die Autonummern der Fahrzeuge zu notieren, mit denen die jungen Leute dann weggefahren waren.

Da sind die Frauen in Sachsenhausen schon routinierter. Immer wenn die Pförtnerin verdächtige Personen auf dem Parkplatz bemerkt, notiert sie sich das Autokennzeichen. „Meistens sind es Cottbusser Kennzeichen“, stellt Renate Schmidt fest. „Leute aus Oranienburg oder der näheren Umgebung trauen sich nicht her.“

Dann ruft die Pförtnerin im Turm A an und informiert die Mitarbeiter vom pädagogischen Dienst. Die übernehmen dann, als Besucher getarnt, abwechselnd die Beobachtung. „So alle 14 Tage bis einmal im Monat kommt das vor“, viele Neonazis würden regelrecht das Gelände erkunden, meint Schmidt. Andere sprechen sogar mit den Mitarbeitern. Ende Juni bekam Renate Schmidt Besuch von drei Rechtsradikalen und einer „Skinhead-Braut“. Laut polternd marschierten die in ihr Zimmer. „Was ist das für ein Scheiß- Puff hier“, grölte einer. „Gibt es hier auch eine Folterkammer?“ Renate Schmidt bot der Gruppe einen Faltplan des Geländes an und empfahl den Besuch der Pathologie. Einer der Skins sei dann „drastischer“ geworden, erzählt Schmidt. „Das ist doch alles überflüssig hier. Man sollte alles niederbrennen.“ Renate Schmidt erwiderte: „Wenn Sie dieser Meinung sind, würde ich sie gerne einmal zu einem Diskussionsabend einladen.“ Mit einem „Mensch, die verarscht uns ja“ sei die Gruppe dann abgezogen. „Jeder Mensch hat in einer solchen Situation Angst“, gesteht Schmidt. Und die Heldin würde sie nicht spielen. „Ich weiß doch nicht, ob die bewaffnet sind.“

Auch Barbara Holz hatte „große Angst“, als sieben Neonazis mit Bierbüchsen in der Hand den Zellentrakt betraten. Diesmal ist die Angestellte aus ihrem Zimmer getreten und hat mit den Jugendlichen gesprochen. „Das waren Anfänger, die wollen mal Nazis werden“, charakterisiert Holz die jungen Leute. „Für die war das nur eine Mutprobe.“ Als die Gruppe den Trakt verlassen hatte, stellte sie fest, daß an der Steinfigur in der polnischen Zelle, die zum Gedenken der Opfer aufgestellt wurde, ein Finger fehlte.

Die braune Schleimspur geht noch weiter. Sie zerstört Hinweisschilder, die den Weg zur Gedenkstätte Ravensbrück weisen. Sie bedroht Jugendliche, die an einem Work-Camp in Sachsenhausen teilnehmen. Und sie macht auch keinen Halt vor den Gästebüchern der Gedenkstätten, in denen Menschen sonst ihre Betroffenheit zum Ausdruck bringen. Hetzparolen verunstalten jedes Buch. „Jude verrecke“, steht da. Oder: „Sieg heil!“ Ein Galgen ist aufgemalt. In die Schlinge wurde ein Judenstern gezeichnet. „Wir schwören unserem Führer Adolf Hitler ewige Treue und Gehorsamkeit“, kritzelte einer. Und ein anderer schrieb in aller Ruhe und mit wenig Rechtschreibkenntnissen: „Wir sind Rechts, ist doch klar wir finden uns einfach wunderbar. Wirr können Komunissmus nicht ertragen, und Linken in die Fresse schlagen. Euer Adolf.“

Der Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, Morsch, betreibt in Sachen Anschläge eine eher restriktive Pressepolitik. Auch in Ravensbrück hat die Leitung offenbar Schwierigkeiten mit Anfragen zu den Vorfällen. Termine wurden verschoben, innerhalb von zwei Wochen sah sich die Gedenkstättenleiterin Jacobeit nicht in der Lage, Auskünfte zu geben. Ein Mitarbeiter vertraute der taz an, daß viele Anschläge gar nicht bekanntgegeben werden. Die Leiter befürchten nämlich, durch die Veröffentlichungen Folgeanschläge zu provozieren. Zudem will man offenbar das schlechte Bild vermeiden, daß die Anschläge auf Deutschland werfen würden.

Gedenkstättenleiter Morsch gibt nur zögernd zu, daß auch die Toiletten und die Mahnwache der Gedenkstätte öfter mit Hakenkreuzen und nationalsozialistischen Sprüchen beschmiert seien. Zudem sei aus der Pathologie ein Totenkopf-Schädel entwendet worden. In Briefen würden Mitarbeiter beschimpft. Lieber spricht Morsch von seinen hervorragenden Kontakten zur Polizei. „Wir sind in eine höhere Sicherheitsstufe hineingerutscht.“ Und gerade eben hätte die Polizei ein Sicherheitskonzept für die Gedenkstätte fertiggestellt. Dafür wird es auch höchste Zeit, meinen die Angestellten in Sachsenhausen und Ravensbrück. Einmütig fordern sie, einen Wachschutz auch tagsüber einzustellen. In Ravensbrück wurde seit der Wende noch keine neuen Sicherheitsanlagen installiert. „Gerade einmal drei Funksprechgeräte haben die angeschafft“, beklagt sich Schmidt. Aber im Zellentrakt sei noch nicht eines angekommen. In Sachsenhausen und Ravensbrück gibt es erhebliche Sicherheitsmängel. Dies bestätigt der Direktor der Stiftung brandenburgische Gedenkstätten, Dittberner. Bewegungsmelder und eine Verstärkung des Wachschutzes seien geplant. Gespräche sollen mit dem Potsdamer Innenministerium noch in dieser Woche geführt werden, mit dem Bund Ende September.

Auch das Gelände, in dem sich die Verwaltung der Stiftung befindet, war kürzlich Opfer rechtsradikaler Schmierfinken. Als die Pressesprecherin Antje von Meer letzte Woche aus dem Fenster blickte, sah sie schwarze Hakenkreuze auf dem Asphalt der Straße. Es dauerte drei Tage, bis sie entfernt wurden. Anja Sprogies

* Name von der Red. geändert