Jahrhundertreform für Amerikas Gesundheit

■ Präsident Bill Clinton schlägt dem Kongreß seine neue Krankenversicherung vor

Berlin (taz) – Es war Bill Clintons stärkste Rede, und seine Leidenschaft war der Sache angemessen: eine lebenslange Krankenversicherung erstmals für jeden Amerikaner; bessere Versicherungsleistungen; ein Umbau des Versicherungswesens, das Clinton von Verschwendung, Ineffizienz und Gier beherrscht sieht. Dies alles schlug der Präsident am Mittwoch abend dem Kongreß vor – eine der größten Sozialreformen Amerikas in diesem Jahrhundert. „Die Amerikaner sollen endlich ohne Angst vor Krankheit leben können“, sagte Clinton.

Seine Chancen stehen gut. Es herrscht parteiübergreifender Konsens, daß sich etwas ändern muß. Das amerikanische Gesundheitssystem ist das teuerste der Welt, in diesem Jahr wird es 14 Prozent des Bruttosozialprodukts verschlingen – doppelt soviel wie in Deutschland oder Japan. Gleichzeitig sind in keinem Industrieland die Bürger so schlecht versorgt: 37 Millionen sind ohne Versicherung, 22 Millionen unterversichert. Wer arbeitslos wird oder die Stelle wechselt, kann von einem Tag auf den anderen seinen Versicherungsschutz verlieren. Der Verwaltungsaufwand ist enorm: Das System baut auf Hunderte privater Versicherungsunternehmen mit jeweils eigenen Regelungen.

Clinton will das System wirtschaftlich machen, indem er es einerseits einer nationalen Kontrolle unterwirft und auf Kostendämpfung achtet, andererseits dem Wettbewerb aussetzt. Sein Plan sieht regionale Gesellschaften vor, in denen sich die Versicherten organisieren. Diese Gesellschaften verhandeln dann mit Anbietern von Gesundheitsprogrammen und suchen die günstigsten Ärzte und Kliniken aus. Die Krankenversicherung wäre nicht mehr freiwillig. Alte und Kranke müßten nicht länger höhere Prämien bezahlen als junge Amerikaner. Allgemeinärzte würden besser bezahlt, um die Grundversorgung sicherzustellen. Und zum ersten Mal gäbe es eine langfristige Versorgung für Pflegebedürftige.

Bei der Finanzierung jedoch kommen selbst Befürworter des Plans ins Grübeln. Clinton nämlich verspricht ein kleines Wunder: Das Ganze koste nicht nur keinen Penny, es werde bis zum Jahr 2000 sogar noch 90 Milliarden Dollar in die defizitären Staatskassen bringen – und das ohne große Steuererhöhung. Die Versicherungsprämien aller Angestellten sollen zu 80 Prozent vom Arbeitgeber, zu 20 Prozent von ihnen selbst bezahlt werden. Der Staat muß bis zum Jahr 2000, so Clinton, 350 Milliarden Dollar in das Gesundheitssystem stecken. 238 Milliarden Dollar sollen durch die Reform bei den Gesundheitsorganisationen „Medicare“ (für Ältere) und „Medicaid“ (für Arme) freiwerden, über 150 Milliarden Dollar durch neue Steuern hereinkommen – geplant sind eine Erhöhung der Tabaksteuer und eine Abgabe für Großkonzerne, die sich am neuen Versicherungssystem nicht beteiligen müssen.

Daniel Patrick Moynihan, ein Demokrat aus New York und Vorsitzender des Finanzausschusses des Senats, nannte diese Rechnung „Wunschdenken“ und „Phantasie“. Viele Republikaner schlossen sich seiner Kritik an. Einige von ihnen sind besonders erzürnt über die geplante Belastung von kleinen Firmen, die bisher nicht für den Versicherungsschutz ihrer Angestellten zu sorgen brauchten.

Clintons Plan wird von Abgeordneten und Lobbyisten noch arg zerzaust werden. Optimisten rechnen frühestens 1997 mit einem Gesetz. „Das ist ein magischer Moment“, beschwor Clinton die Kongreßabgeordneten, „nutzen wir ihn.“ Kai Strittmatter