Opfer, Buhmann oder männliche Domenica

■ Helmut Behnel, der „Crash-Kid-Vater“ vom Hauptbahn-hof, gerät immer stärker ins Zwielicht    Von Kaija Kutter

„Da kommt sonst kein Journalist, der Ahnung von Justiz hat, drauf, mich das zu fragen“. Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger ist genervt ob der schlichten Frage, warum gegen einen gewissen Helmut Behnel kein Haftbefehl erlassen wird. „Wiederholungsgefahr ist im Bereich der sexuellen Straftaten für uns immer ein Thema“, versichert der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Im Fall Behnel habe man dies jedoch bisher „nicht geprüft“, schließlich sei bisher nur ein Vorfall angezeigt worden.

Ein Gerücht wabert durch die Stadt. Ein Gerücht, daß es gewisse Personen „ganz oben“ gibt, die kein Interesse daran hätten, die Straftaten des „Crash-Kid-Vaters“ Helmut Behnel aufzudecken. Hatte dieser doch vorige Woche in der SAT1-Sendung „Einspruch“, in der GAL-Referent Peter Mecklenburg bezichtigt wurde, er habe Sex mit minderjährigen Strichjungen gehabt, behauptet, es gebe gleich drei weitere Prominente, die er „outen“ könnte.

Er durfte nicht, SAT1-Moderator Ulrich Meier ging das denn doch zu weit. Trotzdem ging Behnel als Sieger aus der Sendung hervor. Starrte doch alle Welt gebannt auf Peter Mecklenburg, nicht auf Behnel, dem immerhin vor laufender Kamera von dem Bahnhofs-Kid Rene S. vorgeworfen wurde, er würde Kinder mißbrauchen, sie zum Diebstahl und zum Drogenkonsum verführen.

Die Legende

bekommt immer

mehr Brüche.

Behnel, der Löwenvater, der Hand in Hand mit Christa Ziehm von den „Löwenmüttern gegen sexuelle Gewalt an Kindern“ die Kinder am Hauptbahnhof vor dem schlechten Einfluß der Jugendhilfe retten will? Der im Schulterschluß mit CDU-Bürgerschaftsabgeordneten die Schließung des fünf Monate jungen Treffs „Kids“ (Kinder in der Szene) am Hauptbahnhof verlangt, weil dieser die Kinderprostitution fördern würde. Der an der Seite von TV-Reportern durchs Mileu zieht, um Kinderschänder aller Coleur zu überführen.

Die Legende kriegt immer mehr Brüche. Helmut Behnel hat schlechte Tage hinter sich. Seit Montag dieser Woche liegt beim Landeskriminalamt eine neue Strafanzeige vor. „Ich glaube, daß es für die Kinder dringend wichtig ist, diesen Mann aus dem Verkehr zu ziehen“, sagt die Anklägerin Denise Wallmann*, die sich im Februar vorigen Jahres für kurze Zeit in Helmut Behnels „Initiative zur Rettung der Bahnhofskinder“ engagiert hatte. Wallmann hat anhand von Tagebuchaufzeichnungen Äußerungen, die Behnel damals gemacht haben soll, beim Landeskriminalamt zu Protokoll gegeben:

-„Sex mit Kindern unter zwölf ist abscheulich. Aber ich finde nichts dabei, wenn man sich zusammen mit Kindern über zwölf einen runterholt.“

-„Für einen Zungenkuß gibt es bei mir 7 Gramm Hasch und für einen runterholen 20 Gramm Hasch.“

-„Ich kann mein Leben offen leben, und keiner kann mir an den Kragen. Weil die Kinder alles für mich tun. Sie klauen, gehen anschaffen....“

-„Ich setze die Kinder eben damit unter Druck, daß ich Bilder von ihren Straftaten mache. Entweder sie machen weiter, oder ich erledige sie.“

Desweiteren versichert Denise Wallmann an Eides Statt, sie habe von drei Kindern direkt gesagt bekommen, daß Behnel einen Zwölfjährigen anal vergewaltigt habe. Zwei von ihnen seien Zeugen, der dritte der Betroffene selbst. Wallmann, die selbst als Kind von ihrem Vater mißbraucht worden ist, verteilt auch Kopien eines Briefs am Bahnhof an die Kids, in dem sie diese auffordert, sich gegen die Täter zu wehren.

Bei der Mehrzahl der Kids ist Behnel in diesen Tagen nicht gern gesehen. Als er in Begleitung eines TV-Reporters vorige Woche durch die Kneipen zog, bekam er Schläge. Am Donnerstag wurde von Unbekannten die 2-Zimmer-Wohnung des 46jährigen in Eilbek verwüstet.

Behnel, das Opfer? Der neue Buhmann der Szene? Mit leicht zittrigen Händen hält er die schwarze Plastikbox fest, in der sich hunderte von Fotos befinden. Seine Kids. Und Bilder von Freiern, Bilder von Kai Uwe H., der kürzlich „mit meiner Hilfe in den Knast wanderte“. Bilder, mit denen er den nächsten Coup vorbereiten, den nächsten Freier outen will. „Ich bin ein Informant, der viele Infos hat“, sagt Behnel der taz-Reporterin, die für einen Kaffee im „Blockhouse“ und ein bescheidenes Honorar von 20 Mark noch einmal die Kids-Story zu Ohren bekommt.

Die Geschichte der ehemals stolzen Crash-Kids, die Autos klauten und dank Flower-Power-Papa-Behnel, bei dem sie auch wohnen durften, nicht auf harte Drogen kamen. Zweieinhalb Jahre ist es her, daß die erste Geschichte im „Stern“ erschien, erinnert sich Behnel. „Da war ich die männliche Domenica. Das hat 'ne eigene Dynamik bekommen“. Dann kamen 45-Minuten-Filme bei WDR und NDR, dann an die 30 Fünf-Minuten-Sendungen und eine unüberschaubare Zahl an Printberichten.

„Mediengeilheit wirft man jedem vor“, sagt Behnel. Ihn fasziniere nun einmal das Medium Fernsehen, aber daß er die Geschichte der Kinder für fünfstellige Beträge verkauft habe, sei eine Lüge: „Ich bin der einzige, der das Wohl der Kinder im Auge hat.“ Daß er des sexuellen Mißbrauchs von Kindern beschuldigt wird, will der Jäger der „Kinderficker“ nicht wahrhaben. Das seien alte Vorwürfe, das Verfahren sei „längst eingestellt“, weil sich die Aussagen der Zeugen wiedersprochen hätten. „Vielleicht war ich früher mal zu locker drauf“, gesteht Behnel. „Ich habe vielleicht mal einen Jungen väterlich geküßt oder übers Bein gestreichelt“.

„Ich will nicht

die sein, die Behnel

reinwäscht.“

Aber seitdem er die Löwenmutter Christa Ziehm kenne, habe er „selbst vor der Berührung heiligen Respekt“. Behnel: „Vorher gab es da vielleicht einen grauen Fleck“, aber der sei bald weiß. Christa Ziehm habe ihm die Augen geöffnet, was die Opfer sexuellen Mißbrauchs Schlimmes durchmachen. Da er selbst Mißbrauchsopfer sei, wisse er, „da hat man sein Leben lang mit zu tun“.

Was Behnel nicht weiß: Christa Ziehm will ihre Solidarität so nicht verstanden wissen: „Ich will nicht diejenige sein, die Behnel reinwäscht“, sagt die 52jährige zur taz. „Ich habe Herrn Behnel immer wieder gesagt: Erzählen sie, was sie mit den Kindern gemacht haben“. Darauf habe er stets nur geantwortet, die Zeugen gegen ihn seien gekaufte Kinder.

Christa Ziehm, die an der Seite von Behnel im Fernsehen auftrat, deren Namen auf einem gemeinsamen Briefkopf stand, deren Anliegen, eben die Bekämpfung der sexuellen Gewalt gegen Kinder, dem „Crash-Kid-Vater“ bei Nichteingeweihten in den vergangenen Wochen eine gehörige Dosis Glaubwürdigkeit verliehen hatte – diese Christa Ziehm macht eine Wendung um 180 Grad. Im Strudel der Ereignisse nach der „Einspruch“-Sendung kommt sie zu der Erkenntnis, daß Behnel „die Kinder benutzt, und sei es nur, um Geld zu verdienen“. Als ein „Bild“-Reporter einem Mädchen anbot, über sie eine Geschichte zu bringen, habe Behnel gesagt: „Ohne mich läuft da gar nichts“. Auch sonst, so Ziehm, sei Behnel eine „unappetitliche Erscheinung“. Sie habe ihn nicht gern um sich gehabt, immer nur „der Sache Willen“ zusammengearbeitet.

Da sitzt sie nun, die kleine „unappetitliche Erscheinung“, die Haare frisch gewaschen, gekleidet in Anzug, Schlips und Kragen. Auch wenn der ehemalige Justizangestellte den ästhetischen Ansprüchen der Hausfrau Ziehm nicht genügt – auf die Jugendlichen am Bahnhof habe er stets eine starke Anziehungskraft gehabt, erzählen die Erzieher, die ob der „Tragödie Behnel“ schier zur Verzweiflung getrieben werden. Wann immer ein Kind sich entschließe, über dessen Machenschaften auszusagen, schaffe es der Althippie, wie er sich selber nennt, „die Kinder wieder in seinen Bann zu ziehen“.

So kommt es, daß bislang nur zwei Aussagen von Jugendlichen bei der Staatsanwaltschaft vorliegen, auf deren Basis das Amt für Jugend Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, Hehlerei und sexuellen Mißbrauchs gestellt hat. „Ein Jugendlicher hatte die Aussage zurückgezogen, weil er selbst und seine Pflegeeltern bedroht wurden“, sagt Schul- und Jugendbehördensprecher Ulrich Vieluf. Er habe sie später aber wieder erneuert. Die richterliche Vernehmung der beiden Zeugen stehe noch aus. „Wenn die Verfahren eingestellt würden, hätten wir es erfahren“.

Doch die eingangs erwähnte schlichte Frage der taz beschäftigt Mitarbeiter der Jugendbehörde schon länger. Warum ist es nicht möglich, Behnel in Haft zu nehmen, wo doch der dringende Verdacht besteht, daß er Kinder wiederholt seelisch und körperlich mißbrauche? Wo doch offenkundig Verdunklungsgefahr besteht, wenn Zeugen ihre Aussage zurückziehen, weil sie sich bedroht fühlten.

„Wir wollen,

daß Straftaten

verfolgt werden.“

„Es hat Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft gegeben, und wir sind mit dem Ergebnis dieser Ermittlungen nicht zufrieden“, sagt Jugendamts-Chefin Gitta Trauernicht. So wäre Behnel nur punktuell, nicht aber über einen längeren Zeitraum rund um die Uhr observiert worden. „Wir wollen, daß Straftaten verfolgt werden, wo wir sicher sind, daß sie geschehen“.

Seit Anfang September gibt es eine überbehördliche Arbeitsgruppe zwischen Jugendamt, Justiz und Polizei mit dem Auftrag, solche Anliegen zügiger zu bearbeiten. „Uns schien es so, daß es reicht, wenn Jugendliche drastische Aussagen über sexuellen Mißbrauch machen“, sagt Gitta Trauernicht. Nach Gesprächen mit anderen Behörden sei klar geworden, daß es ein diffiziles Thema ist, „weil es darum geht, vorschnelle Verurteilungen zu vermeiden.“ Nach dem „verdichteten Wissen, das sich in ihrer Behörde angesammelt“ habe, nehme sie sich allerdings heraus, „öffentlich zu sagen, daß Herr Behnel kriminell ist“. Er könne nicht nachvollziehen, warum um diesen Behnel „so ein Zirkus gemacht wird“, sagt dagegen Oberstaatsanwalt Bagger. Schließlich gebe es Täter, die bis zu 18 Anzeigen am Hals hätten. Und die Anzeige von Denise Wallmann liege ihm noch nicht vor.

Es gibt also wichtigeres als Helmut Behnel, der sein kleines Taschen-Diktiergerät, mit dem er Aussagen von Strichjungen sammelt, hütet wie seinen Augapfel. Die kleine Waffe, vor der auch Erzieher und Sozialarbeiter Angst haben. Wie durch einen wundersamen Zufall wurden mehrfach just die Betreuungspersonen, die eine Beziehung zu seinen Kindern aufbauten, wegen angeblicher Straftaten angezeigt. „Das ist ein Muster, das sich immer wiederholt“, sagt Rechtsanwalt Reiner Köhnke, der einen der Beschuldigten vertritt. „Wenn eine Person an die Kids herantritt, versucht Herr Behnel den Kontakt zunächst auf legalem Weg zu unterbinden. Wenn das nicht gelingt, kommen kapitalere Vorwürfe wie Kindesmißbrauch.“

„Die betreiben

systematisch Rufmord

an mir.“

Wie er darüber denkt, daß Menschen vor ihm Angst haben? „Das habe ich vom Jugendamt gelernt. Die haben es so mit mir gemacht“, sagt Helmut Behnel. „Die haben systematisch ihren Machtapparat benutzt, um Rufmord an mir zu betreiben“. Hätten ihm die kalte Schulter gezeigt, nachdem er ein Jahr lang zwei Kinder verpflegt hat, wofür ihm eigentlich 300 Mark Pflegegeld pro Tag zustünden. Im Amt für Jugend säßen auch Personen in Schaltpositionen, die er als nächste „outen“ werde. „Ich bin zwar verbittert, aber nicht unfair. Wenn ich jemanden oute, kann ich das beweisen.“ Außerdem gehöre es zum „Täterprofil von Päderasten, daß sie verschweigen, daß sie Päderasten sind.“

Ob es nicht sein könnte, daß Kinder ihm zuliebe etwas Falsches erzählten? „Daß Kinder das als Instrument benutzen, das gibt es. Aber wenn mehrere Kinder dasselbe behaupten, wird wohl was dran sein“. Eine Aussage, die sich gegen alle Beteiligten wenden kann.

*Name der Redaktion bekannt