„Wie verkraftet ein Mensch diese Extreme?"

■ Tanztheater über Bachs Frauen, ihre Sehnsüchte und ihren barocken Alltag / Gespräch mit Rotraut de Neve

Wer kochte eigentlich den Kaffee, damit Bach nicht ständig die müden Augen zufielen und er seine „Kunst der Fuge“ noch pünktlich zuende kriegte? Wer schüttelte das Bett auf, damit der Meister nach getanem Oratorium die nötige himmlische Ruh' fand? Und wer kopierte das unermeßliche Material? Zu schweigen von der Erziehung der Kinder, der vielen? Ohne seine beiden Frauen, das ahnen wir, wäre Meister Bach nicht weit gekommen. Was Maria Barbara und dann später Anna Magdalena alles dazutaten, und was sie alles aufgaben, auch an eigenen musikalischen Ambitionen — das wollen die Tänzerinnen Heidrun Vielhauer und Rotraut de Neve nun auf die Bühne bringen. Im Rahmen des Bremer Bachfestes spielen sie ihr Tanztheater „Gib' Dich zufrieden und sei stille — Die Frauen Bach“. Sonntag abend um 22.30 Uhr ist die Premiere im Theater am Goetheplatz zu erleben. Rotraut de Neve erläuterte im Gespräch ihre Gedanken zur Rolle der Frauen Bachs.

taz: Viel wissen wir ja nicht gerade über die Frauen und Töchter von Bach. Bekommen wir am Sonntag eine Art Phantasie zu sehen?

Rotraut de Neve: Zwangsläufig gründet sich das auf Visionen,

Auferstehung im Tanz: Anna Magdalena und Maria Barbara Bach.Foto: Jörg Oberheide

die man hat, wenn man sich mit Bach beschäftigt, mit der Zeit beschäftigt. Wir hatten auch nicht vor, einen Bildungsabend zu machen, an dem wir die drei Daten, die es über die Frauen gibt, dem Publikum mitteilen. Sondern wir wollen einen sinnlichen Eindruck vermitteln. Die Musik von Bach kam ja nicht ohne die Hilfe seiner beiden Frauen zustande, nämlich durch diese enorme Ko

hierhin die Frauen auf der dunklen Bühne

pierarbeit, die sie beide geleistet haben, durch das Singen, das beide auch für Bach getan haben. Dann dieser enorme Haushalt, den sie geführt haben, und mit dem sie Bach den sicheren Boden für seine Arbeit gegeben haben. Spannend fanden wir erstmal die Tatsache, daß diese Frauen zusamen 19 Kinder geboren haben, von denen höchstens die Hälfte überlebt hat.

Und daß dieses Leben, anders als heute, sich eigentlich ununterbrochen mit dem Tod beschäftigen mußte. Jedes Jahr kam ein Kind, starb aber auch ein Kind. Wir haben uns die Frage gestellt: Wie verkraftet ein Mensch diese Extreme eigentlich? Das ist doch für uns heute eine unvorstellbare Situation, wo wir alles medizinisch absichern können.

Welche Zeugnisse standen Ihnen eigentliche zur Verfügung?

Erstmal natürlich die Chronik der Anna Magdalena Bach. Dann gibt es zwei Berichte über das Leben beider Frauen, das sind aber fiktive Geschichten, die sich auf die wenigen Quellen stützen wie die Briefe eines entfernten Verwandten, der auch Schüler war und im Hauhalt mithalf. Der beschreibt auch die unglaubliche Selbstverständlichkeit, mit der Anna Magdalena diesen ganze Krempel zu Hause einfach erledigte.

Mit diesen Materialien sind Sie aber sehr frei umgegangen?

Wir wollen nicht nacherzählen, sondern beschreiben, welche Sehnsüchte und welche Qualifikationen diese Frauen eigentlich hatten, die aber ungelebt in ihnen blieben.

Auch als exemplarische Fälle für die Frauen jener Zeit?

Ja, aber wir wollen nicht nur den Leidensprozeß dieser Frauen zeigen. Wir werden keine Frau zeigen, die Geige spielt, aber Bilder, die die Möglichkeiten dieser Frauen in tänzerischer Weise darstellen. Es geht nicht darum, einen Unterdrückungsprozeß nachzuvollziehen, sondern eher aufzudecken, was in den Frauen steckt.

Ging es Ihnen auch darum, die Geschichte vom herausragenden Musikgenie Bach und den damit verbundenen Geniekult ein wenig anzukratzen?

Sie sagen zu Recht: Geniekult. Aber zu Bachs Zeiten gab es das Wort ja gar nicht. Der war schon ein hervorragender Handwerker und begnadeter Musiker. Vor allem aber hat sich ja alles zusammen abgespielt: der Haushalt, die Kinder, das Musizieren und dann die Schüler, dazwischen dann Bach, der dann wieder mal wieder irgendwo eine Orgel untersuchen mußte — so muß man sich das in der Barockzeit vorstellen. Und neben der kirchlichen Musik gab es ja auch profane Musik von Bach. Insofern denke ich, damals waren Himmel und Erde noch ziemlich nah beieinander.

Aber der Ausgangspunkt sind die Frauen und nicht das Denkmal Bachs?

Würde man nur das Denkmal Bach ankratzen wollen, dann würde man sich ja wieder nur auf den Mann beziehen. Das wäre ja langweilig. Herr Bach taucht eher passiv auf, als Bezugspunkt am Rande der Bühne, nicht als Mittelpunkt. Wir wollen die Frauen ins Zentrum rücken.

Wie sind Sie überhaupt auf die beiden Frauen gestoßen?

Mit der Bachmusik habe ich mich schon sehr lange beschäftigt, weil ich viele Jahre im Kirchenchor war. Mit den Frauen haben wir uns eigentlich erst beschäftigt, als wir vom Bremer Bachfest hörten. Die Frage war: Was können wir eigentlich zusätzlich zu diesen ganzen Konzerten machen? Weil ich schon ein bißchen was über die Frauen wußte, wollten wir etwas anderes zu versuchen, als immer nur den Mann ins Zentrum zu rücken. Wir wollten einfach eine Hommage an die Frauen machen, die wesentlich an dieser Musik mitgewirkt haben und dazu Bachmusik verwenden. Also Bach für die Frauen, und nicht: Die Frauen für Bach. Fragen: tom