Schimmelpilz-Struktur

■ Vinyltapeten stark im Kommen, obwohl sie ökologisch nicht zu vertreten sind / Lob: Rauhfaser besteht meist aus Altpapier

Die einen sind reif für die Insel, die anderen glauben, zumindest mal wieder einen Tapetenwechsel zu brauchen. So heißt es wenigstens, wenn die Arbeit mal wieder nervt, wenn Berlins stickige Luft, diesige Sicht und aggressive Mitmenschen nur noch an Flucht denken lassen. Gemeint ist also die Reise zu anderen Tapeten, keineswegs der Wechsel der eigenen, denn das macht bekanntlich Arbeit. Mit den alten Papierbahnen geht es schon los, denn wenn Vormieter Blümchen liebten, sollen diese nicht durchscheinen.

Eine ganze Palette von Ablösemitteln bieten Industrie und Handel an, mit denen die Spuren früherer Bewohner leicht von der Wand zu holen sein sollen. Fleißig testete die Stiftung Warentest bereits 1986 die gängigsten Marken; ob sich Flasche oder Dose öffnen lassen, ob das Zeug aus seinem Gefäß auch rauskommt und natürlich, wie es wirkt. Vorangestellt wird den Ergebnissen jedoch der Tip, daß normales Leitungswasser mit etwas Geschirrspülmittel die gleiche Wirkung habe, was den vierseitigen Testbericht eigentlich überflüssig macht. „Was die Leute benutzen wollen, das müssen sie schon selbst entscheiden“, verteidigt Stiftungs-Pressesprecherin Ute Bränzel: „Außerdem ist auch Spülmittel nicht völlig unproblematisch für die Umwelt.“

Sollen dann die eigenen Bahnen an die Wand, wurde es in den letzten Jahrzehnten wenig spektakulär. Die obligatorische Blümchentapete wurde von der Rauhfaser abgelöst. „Sie ist durchaus zu empfehlen, zumal sie zunehmend aus Altpapier hergestellt wird“, befürwortet Peter Dirk, Wohnberater in der Verbraucherzentrale am Wittenbergplatz, den Klassiker: „Gestrichen wird meistens mit Dispersionsfarbe, die weitestgehend umweltfreundlich ist.“

Anders in zahlreichen Kinderzimmern: Hier dominieren gemusterte Tapeten, vorzugsweise mit bunten Bildchen. Und ausgerechnet in den Produkten, neben denen Kids friedlich schlummern sollen, fanden die Fachleute von Öko- Test Ende des letzten Jahres die höchste Schwermetall-Konzentration. Überhaupt wurden in mehreren Mustertapeten Formaldehyd, Blei, Quecksilber und Pilzgift gefunden: „Jedesmal bewiesen zahlreiche andere Marken, daß es auch ohne diese Stoffe geht.“

Doch weiße Wände verlieren ihre Unschuld: PVC- und Vinyltapeten entwickeln sich mehr und mehr zum Renner, Strukturiertes ist in. Dabei belastet nicht nur die Herstellung die Umwelt erheblich; für Ärger sorgt gerade PVC auch bei der Müllverbrennung. Öko- Test zitiert den Hygiene-Professor Hans Einbrodt, der Ratten diesen Verbrennungsgasen aussetzte: „Die Tiere liegen bei Versuchsende flach im Käfig und zeigen eine krampfartige Atmung.“ Auch Wohnberater Dirk rät von den in Mode gekommenen Kunststofftapeten ab, und das nicht nur aus rein ökologischen Gründen: „Vinyltapeten können keinerlei Feuchtigkeit aufnehmen.“ Während Holz und Papier der Rauhfaser Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben und so für besseres Raumklima sorgen, sammelt sich der Dunst an der Kunststoff-Oberfläche, so Peter Dirk: „Und in absehbarer Zeit finden wir dort den Schimmelpilz.“ Christian Arns