NOlympics in Siegesstimmung

■ An der Oberbaumbrücke und im Tränenpalast fieberten Tausende dem Olympia-Showdown entgegen / Triumph: „Wir haben der Diepgen-Heckelmann-Bande eins ausgewischt“

Donnerstag abend in Kreuzberg: Im Herzen der Bestie flirrt die Luft. Über tausend Olympiagegner haben sich kurz vor 20 Uhr an der Oberbaumbrücke vor einer Videoleinwand versammelt und fiebern dem Olympia-Showdown entgegen. In den Seitenstraßen beziehen Polizeiwannen Stellung.

„In zwanzig Minuten, wenn der Altfaschist Samaranch den Umschlag öffnet, wissen wir, ob wir Urlaub machen können oder die nächsten sieben Jahre was tun müssen“, ruft jemand durchs Mikrophon. Auf Geheiß von hinten, „hinsetzen“, lassen sich die Massen brav auf der Straße nieder: Kids mit hochgezogener Kapuze, schon leicht in die Jahre gekommene Freaks mit ihren Kindern und ein paar ganz normale Anwohner. Haschischschwaden ziehen durch die Luft, Bier- und Sektflaschen kreisen. Als die Berliner Olympia-Präsentation in der „Tagesschau“ über die Mattscheibe flimmert, erhebt sich ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert. Die Stimmung ist kurz vor dem Siedepunkt. „Franzi“ und „Steffi“ werden gnadenlos niedergemacht, dann erscheint Diepgens Konterfei, und nun brechen die letzten Dämme. „Buuhu“, „No, No NOlymic City“, tobt die Menge.

Beim Beginn der Direktübertragung aus Monaco wird es kurz still. Doch dann erzählt der SFB- Moderator Jürgen Engert von seinem Hausmeister und erntet dafür so wieherndes Gelächter, daß der Rest seiner Worte untergeht. Kurz bevor es ernst wird, bittet eine Frau durch den Lautsprecher noch schnell: „Bitte schmeißt keine Flaschen gegen die Leinwand!“ Als Samaranch auftritt, erhebt sich noch einmal ein kurzes Gebrüll, „Nazis raus“, doch es flaut schnell wieder ab, schließlich will man den entscheidenden Satz verstehen: „The winner is Sydney.“ Johlend fallen sich die Massen in die Arme, werfen sich in einem dicken Knäuel zu Boden oder tanzen singend im Kreis herum.

„Das ist ein Sieg der Anti- Olympia-Bewegung hier in Berlin“, schallt es aus dem Megaphon. Die Antwort ist brausender Applaus. „Damit haben wir und paar tausend andere der Diepgen-Heckelmann-Bande ganz schön eins ausgewischt“, wieder brausender Applaus. Nun müsse mit allen Kräften verhindert werden, daß der Innenstadtring an der Oberbaumbrücke geschlossen werde. Während der Beifall in Musik übergeht, versuchen einige Kids vergebens, die Baulampen an der Oberbaumbrücke mit Steinen und Flaschen „auszuknipsen“. Wenig später liegen auf der Falckensteinstraße ein paar Hindernisse auf der Fahrbahn. Die Polizei fackelt nicht lange und löst die Versammlung unter Schlagstockeinsatz auf.

Auch im Tränenpalast ging es hoch her

„Wer jetzt noch auf Berlin setzt, das ist so wie auf Wattenscheid 09 als nächsten deutschen Meister“, sagt der „wahre Heino“ um kurz nach acht. Doch ganz sicher sind sich die rund 800 NOlympics im ausverkauften Tränenpalast dann doch nicht: „Seit der Leichtathletik-WM in Stuttgart hab' ich wieder mehr Angst“, gibt Ulli zu, die ein rotes Auge in ihrem gelbgeschminkten Gesicht hat. Die Spannung steigt auf der Party der Berliner Anti-Olympia-Koordination. Dichtgedrängt stehen die meist jungen Leute, viele von ihnen in Schwarz – von autonom bis schick.

Auf der Großleinwand zwischen den gelben Transparenten mit grimmigen Bärengesichtern und „Olympia nööö“ ist jetzt Diepgen zu sehen: Buhrufe und Hohngelächter für ihn, schrille Pfiffe für IOC-Chef Juan Antonio Samaranch. Die Olympia-Hymne geht in Buhrufen unter. „No, No, NOlympic City!“ brüllt fast die ganze Halle, in der es immer enger und heißer wird. Überall Blitzlichter, Kameras und Mikrophone. Dann tritt Samaranch ans Mikrophon. „The winner is ...“, fängt er an, und 800 Leute halten den Atem an, „... Sydney.“ Ein Erleichterungsschrei geht durch die ehemalige DDR- Abfertigungshalle an der Friedrichstraße, Arme fliegen hoch, tosender Applaus; Jubel, der nicht enden will. Die zwei offiziellen Olympiafahnen rechts von der Bühne werden heruntergerissen. Wunderkerzen brennen, Stefan hält eine Australienflagge hoch: „Die haben sich doch ehrlich auf die Spiele gefreut, sollen sie sie auch haben.“

Auf der Pressetribüne tritt die Bündnis 90/Grüne-Prominenz vor die Kamera. „Ich bin riesig erleichtert“, sagt Michaele Schreyer. Der Verlierer des Abends heiße Diepgen. „Der hat gerade eine Viertelmilliarde Mark in den Sand gesetzt.“ Auch Judith Demba ist froh: „Berlin hat dieses steuerfressende Ungeheuer abgewendet.“ Sie fordert einen sofortigen Planungs- und Baustopp. Dann feiert Ingrid von der Berliner Anti- Olympia-Koordination den Erfolg der Bewegung, die sich nicht habe spalten lassen: „Ohne eine gepfefferte Brise Militanz gab es noch nie einen Erfolg gegen die Herrschenden.“ Der Kampf gegen die Stadt der Reichen müsse weitergehen. Doch die Leute im Saal wollen heute nicht kämpfen, sondern feiern. Das tun sie auch mit Punk, HipHop und Ska live bis weit nach Mitternacht. Während drinnen gefetet wird, ist draußen die Polizei im Einsatz. Präventiv, wie sie versichert. Norbert Müller ist im Dienst und „persönlich“ schwer enttäuscht. „Aber aus Sicht der Polizei ist es sehr viel besser so, das hätte doch endlose Probleme gegeben.“ Plutonia Plarre/Sabine am Orde