Die bayerische Landeshauptstadt prä- sentiert sich den Touristen neuerdings weltoffen und gefühlsecht

„Mit dem grauenden Morgen näherten wir uns durch die weite, halb unfruchtbare Ebene immer mehr der baierischen Hauptstadt und in den ersten Strahlen der auftauchenden Sonne glänzten schon die Doppelthürme der Frauenkirche.“ So beschrieb Ludwig Albert Baron von Gaisberg in seiner „Reise zum Münchner Oktoberfest 1835“ die eindrucksvolle Fernwirkung von Münchens weltberühmtem Wahrzeichen, der Domkirche zu Unserer Lieben Frau.

Den diesjährigen Wiesn-Besuchern bietet sich jedoch ein etwas verändertes Bild. Der Rentner Hugo Bertel aus Bad Honnef schildert seine Eindrücke von der Rückreise aus den bayerischen Bergen so: „Als wir uns mit unserem Opel Ascona, auf der Autobahn von Garmisch-Partenkirchen kommend, München näherten, erblickten wir mit Grauen die Doppeltürme der Frauenkirche, die merkwürdig in der Sonne schimmerten. Als wir näher kamen, sahen wir, daß sie mit riesigen Kondomen überzogen waren.“

Ja, München leuchtet wieder. Doch was wie eine Aktion der Aids-Hilfe aussieht, ist in Wirklichkeit das Werk des Fremdenverkehrsamtes, das mit dieser spektakulären Verhüllungsaktion die Touristenmassen, die alljährlich aus aller Welt zum bayerischen Nationalrausch strömen, daran erinnern will, sich nicht ungeschützt der völkerverbindenden Wirkung von etlichen Maß Wiesnbock auszusetzen. Bert Wieblinger vom Verkehrsamt erklärt das so: „Wir wissen doch am besten, was für eine höllische Wirkung unser Münchner Wiesnbier entfalten kann. Da kommt es dann schon mal zu unbedachten Vereinigungsszenen. Deshalb haben wir die besondere Verpflichtung, dazu beizutragen, daß München auch weiterhin eine Stadt der Lebensfreude bleibt – weltoffen und gefühlsecht. Und was wäre sinnfälliger, als die Frauenkirche, mächtiges Symbol erwachenden Bürgerstolzes, in ihrer ganzen Doppeltürmigkeit in diese Aufgabenstellung quasi mit einzubeziehen.“

Ob die Tourismusmanager dabei allerdings das im katholischen Bayern nötige Turmspitzengefühl an den Tag gelegt haben, muß sich erst noch erweisen – die Geschichte jedoch haben sie allemal auf ihrer Seite. Schon oft wurde nämlich die Frauenkirche dem jeweiligen Zeitgeschmack angepaßt. Vor allem Barock und Neugotik haben ihre Spuren hinterlassen. So wurden auch die kuriosen Kappen, die „welschen Hauben“, die die beiden Türme erst zur frappierenden christlichen Variante des heidnischen Phallus-Kults emporstilisierten, erst nachträglich aufgesetzt: 1524/1525, 36 Jahre nach Fertigstellung der Türme und inmitten der Wirren des Bauernkrieges. „Und was sind ,welsche Hauben‘“, so Wieblingers kühne Deutung, „anderes als die gußeisernen Vorläufer unserer heutigen Kondome? Damals dienten sie als weithin sichtbare Mahnung für ein weitgehend analphabetisches Volk, den im Troß der Bauernhaufen grassierenden Lustseuchen nur mit schwerer Rüstung zu begegnen!“

Der Hobby-Historiker setzt noch einen Zeitgemäßen obenauf. „Man muß den Leuten deutlich signalisieren, wie sie sich schützen können. Und wir leben nun mal in einem visuellen Zeitalter – da wären wir dumm, wenn wir eine solch einzigartige architektonische Situation, wie wir sie in München haben, nicht für unsere Zwecke nutzen würden.“ In Bayern ist offensichtlich heute noch, wie im Mittelalter, die Kirche der Große Brockhaus des kleinen Mannes.

Widerstand regt sich bislang erst in den Reihen der unmittelbar Betroffenen, des katholischen Klerus. Den Gemäßigten unter ihnen tönt das „Gepimmel“ der Frauenkirchenglocken neuerdings zu gedämpft über die Boulevards der bayerischen Landeshauptstadt. Die Fundamentalisten fahren da schon schwerere Kaliber auf. In einem Flugblatt geißelt der katholische Männerverein Tuntenhausen die „eklatante Verletzung der tiefsten religiösen Gefühle durch das rot-grüne Überziehgebot“.

Von derlei Theaterdonner unbeeindruckt, verspricht sich der städtische Volksaufklärer von seinem unkonventionellen Frauen(kon)dom Signalwirkungen auch für andere Kommunen: Wenn die Fromm-Werke erst in der Lage sein werden, im nötigen Umfang zu liefern, könnten bald in ganz Bayern die Kirchtürme unter Gummischutz gestellt werden. Rüdiger Kind