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Rote Korallen

An der ägyptischen Küste des Roten Meers boomt der touristische Ausbau trotz spärlich fließender Urlauberströme. Neben Surfern und Tauchern sollen vor allem deutsche Pauschaltouristen die Wasserwelt erfahren  ■ Von Edith Kresta

Militärpolizei steht Spalier am Eingang zum Menaville Hotel im ägyptischen Safaga. Regionale und überregionale Prominenz hat sich angesagt. Für acht Tage beleben knallbunte Segel und poppige Beachboys den Küstenstreifen: Von 11. bis 19. September finden hier am Roten Meer die 9. Funboard-Weltmeisterschaften statt. Bürgermeister, Gouverneur, der Chef des Mitsponsors Egypt-Air und die internationalen Organisatoren der WM begrüßen die Teilnehmer. Der Wettbewerb soll weltweit den Ruf dieses „Surferparadieses“ mehren. Die gefälligen Worte verhallen unverstanden im dreifachen Echo der Lautsprecher.

Einheimische Honoratioren – die Männer in seriösem Anzug und mit Krawatte, die Frauen zumeist mit lässig um den Kopf geworfenem Schal – mischen sich mit der sportlichen Surferszene. Die „Begnadeten an der Wellenlippe“ kommen aus 19 größtenteils europäischen Ländern. Auch ein ägyptisches Team nimmt an der Weltmeisterschaft teil. Ehrensache. Eine Militärkapelle schmettert beim Hissen der Flaggen die ägyptische Nationalhymne. Nachhaltig müssen die ausländischen Besucher mit mehreren „Get up!“-Rufen auf die Würde des Augenblicks hingewiesen werden. Der „geile Sport Surfen“, so die Zeitschrift sports, ist inzwischen auf internationalem Parkett salonfähig. Die Amateursportler bewegen sich etwas unbeholfen darauf.

Nur wenige hundert Einwohner hatte der Wüstenort am Roten Meer ursprünglich. Sie arbeiteten in der Öl- und Phosphatindustrie oder als Fischer. Die Verbindung zum Rest der Welt wurde hauptsächlich zu militärischen Zwecken im Krieg gegen Israel ausgebaut. Eine strategisch wichtige Region im Kampf um die gegenüberliegende Sinai-Halbinsel. Ansonsten brennend heiße, unbewohnte Wüste und karge Gebirge. Jetzt wohnen hier etwa 25.000 Leute. Mit den Touristen kamen ein lukrativer Wirtschaftszweig und billige Arbeitskräfte aus Kairo und Alexandria. Die Wellblechhütten in Safaga und dem Nachbarort Hurghada werden nach und nach durch Steinhäuser ersetzt. Kleine Geschäftsleute mit Souvenirs oder Goldläden aus Luxor oder Kairo ziehen dort ein. Die Einheimischen werden in Hütten an den Stadtrand verdrängt.

Hurghada. Ein unscheinbares Dorf auf dem Weg zur totalen Touristenstadt. Ein Retortenprodukt mit allen häßlichen Seiten des Umbruchs und gnadenlosen Ungleichzeitigkeiten: heruntergekommene Wellblechhütten zwischen neuem Touristenzentrum und Rohbauten, Eselskarren zwischen nervendem Verkehr, ein Gemischtwarenhandel mit maximal fünfzehn Produkten von der Vittelflasche bis zum Haarshampoo, gleich daneben der aufpolierte Goldladen. Lehmstraßen werden allmählich befestigt. Pizzerias, Steakhaus, China-Restaurant und Disco stehen den zerstreuungsbedürftigen Touristen bereits zur Verfügung. Einen Hauch von Orient mit Marktgewühl, duftenden Gewürzen und fremdartigem Alltagskram suchen die Urlauber hier vergeblich. Die Konsumangebote – Lederkamele, Ledertasche, T- Shirts, Tassen mit Pharaonenmuster – reichen gerade fürs schlichteste Mitbringsel. In dem kleinen Café mit zwei Tischen rauchen drei ältere Männer Wasserpfeife. Über der Tür wirbt ein Plakat für Olympia in Berlin.

„Wir nennen Hurghada eine deutsche Ecke“, sagt Ahmed Wahba, der Manager des Fünfsternehotels Albatros Beach. „60 Prozent unserer Besucher sind Deutsche.“ Doch der Reiseverkehr ist ins Stocken geraten. Offizielle Angaben über Rückgänge im Tourismus nach den Anschlägen islamistischer Fundamentalisten auf Reisebusse schwanken zwischen 30 bis 60 Prozent. Allein die Touristik Union International, Deutschlands größter Anbieter, verzeichnet 40 % weniger Buchungen.

Der Küstenstreifen zwischen Safaga und Hurghada gilt bei Tauchern und Surfern als Top-Tip. Auch wenn der thermische Wüstenwind die publicityverdächtige WM im Windsurfen anfangs boykottiert, normalerweise bläst er hier mit Windstärke 4 bis 7 auf der Beaufortskala und ohne Böen. Sayed Moussa, Chairman im Tourismusministerium, benennt die Vorzüge der Region: Die warmen Temperaturen erlaubten zehn Monate im Jahr Saisonbetrieb, nur August und Juli seien zu heiß; Die anderen Anrainer des Roten Meers wie Jemen oder Saudi-Arabien machten Ägypten auf dem touristischen Markt keine Konkurrenz; Flora und Fauna des Meeres seien unschlagbar.

Das türkisfarbene kristallklare Wasser läßt in der Tat das Elend des Mittelmeers vergessen. Die Unterwasserfauna und -flora ist ein faszinierendes Panoptikum: Korallen, Napoleonfische, Zackis, große Muränen, Seepferdchen, Fische in allen nur erdenklichen Farben und Formen ... Mit dieser „Einzigartigkeit“, dem Naturkapital, wird in Safaga und Hurghada wenig zimperlich umgegangen.

Baugerippe oder eingezäuntes Bauland säumen den etwa 60 Kilometer langen Küstenstreifen zwischen Safaga und Hurghada. Er ist gänzlich verplant. Neben dem Albatros-Beach-Hotel kämpfen Bagger gegen die charakteristische Unwirtlichkeit der Natur. Brutal wird das Korallenriff ausgehoben. Die klaffende Wunde soll mit Sand aufgeschüttet werden: Komfort für Touristen – damit ihre Kinder in weichem Sand unbeschadet ins Meer laufen können. Spitze Korallen sind störend und die natürlichen Strände rar in dieser Region. Doch sie ist nun mal dazu auserkoren, das touristische Angebot Ägyptens zu diversifizieren: neben dem traditionellen Kulturtourismus wollen die Ägypter den ganzjährigen Badetourismus. Und dazu bauen sie, wie gehabt, Bettenhochburgen en masse: luxuriöse Fremdkörper in einsamer Gegend.

Noch vor ungefähr zwölf Jahren war weit und breit nur der Club Mediterranée. Kleine Steinhäuser im arabischen Stil passen sich in die Landschaft ein, dezente Beleuchtung in Tonlampen stört kaum die abendliche Stille. Der 1,7 Kilometer lange echte Sandstrand ist eine Seltenheit in dieser Region. Die Anlage heißt heute Club Magawish und gehört dem Staat. Sonderangebote ziehen einheimische Touristen in dieser Zeit der Flaute ans Rote Meer. Denn inzwischen boomt der touristische Ausbau: 35 Hotels der unterschiedlichsten Preiskategorie sind fertiggestellt. 30 weitere in Planung. Gestaltung, Interieur und die helle Beleuchtung am Abend überdecken grell die Abgeschiedenheit der Gegend. Abertausende Besucher tauchen über den Riffen, brechen bedenkenlos Korallen als Souvenirs für zu Hause ab. Die Wüste lebt. Aber wie lange noch? „Unsere Investoren haben die größten Freiheiten“, betont Sayed Moussa. Devisen haben Vorrang.

Wo Natur noch so reichlich vorhanden ist und es an Devisen mangelt, fallen gesetzliche Auflagen achselzuckend unter den Tisch, wird das Grundkapital Natur leichtfertig verschleudert. „Es kommt auf das Bewußtsein des einzelnen an“, meint Sayed Moussa. Bezüglich staatlicher Auflagen oder der Durchsetzung bereits existierender gegen den Raubbau an der Natur hält sich der Experte des Tourismusministeriums bedeckt. Die Prioritäten der Investoren sind die Prioritäten der offiziellen Politik.

Seit im Mai 1991 in Absprache mit dem IWF ein Privatisierungsprozeß zum Abbau der Verschuldung eingeleitet wurde, gewährt Ägypten ausländischen Investoren die günstigsten Konditionen. Im Februar 1993 wurden sechzehn staatliche Hotels zum Verkauf ausgeschrieben, das Sheraton-Hotel in Hurghada wurde bereits 1991 privatisiert. Zehnjährige Steuerfreiheit, nur fünf Prozent Zoll auf ausländische Produkte und unbegrenzter Devisentransfer soll ausländischen Investoren die Strände des Roten Meers schmackhaft machen. Internationale Konzerne wie Hilton und Interconti mischen genauso mit wie zahlreiche deutsche Investoren. Auch die Namen kapitalkräftiger Saudis oder Kuwaitis sieht man auf den Schildern vor dem bereits abgegrenzten Bauland.

Vor gerade zehn Monaten wurde das Albatros-Beach-Hotel fertiggestellt. Ein dreistöckiger weißer Kasten der Luxuskategorie, mit kleinen Balkonluken zum Meer. Anspruchsvoller Standard wie gehabt im spanischen Mallorca oder im türkischen Antalya. Einige Rosensträucher ranken aus der ausgetrockneten Erde. Wasser ist rar in Ägypten und besonders in dieser Wüste am Roten Meer. Wasserleitungen aus dem knapp 300 Kilometer entfernten Luxor versorgen Hurghada mit Nilwasser. Das Albatros-Beach-Hotel gewinnt sein Wasser zu zwei Dritteln aus einer eigenen Meerwasserentsalzungsanlage. Ein sehr avanciertes Projekt für diese Region, wo Touristen zum sparsamen Wirtschaften mit Wasser angehalten werden. Über Energiegewinnung aus den natürlichen Ressourcen Sonne und Wind, die es hier im Überfluß gibt, habe man noch nicht nachgedacht, erklärt der Hotelmanager Ahmed Whaba. Nur vereinzelt findet man in wenigen Anlagen kleine Sonnenkollektoren. Ansonsten stinkt es nach Öl.

Taktvoll streift sich die braungebrannte Deutsche im Tanga ihr Bikinioberteil über, bevor sie sich mit ihrem Begleiter an die Pool-Bar im Albatros Beach setzt. An der Bar – eine schnuckelige Insel im großzügigen Schwimmbecken – nippen die gutgebauten Schönen, Claudia und Markus aus Frankfurt, am Campari Orange. 1.500 Mark haben sie für zwei Wochen, Flug und Halbpension in diesem Hotel der Fünfsterne-Kategorie bezahlt. Sie seien leidenschaftliche Surfer, erzählt Claudia. Ansonsten würden sie es hier kaum aushalten. Doch das Hotel und das Essen seien hervorragend. Ingeborg und Horst kommen aus Düsseldorf. „Wir sind gestandene Tunesienurlauber“, gesteht Horst. „Hier ist uns zuwenig los.“ Hurghada ist ein unerwarteter Glückstreffer. Die Bankangestellte Ingeborg hat ein Preisausschreiben in Bild der Frau gewonnen: eine Woche Hurghada für zwei Personen. Die Preisfrage: Wie heißt der längste Fluß Afrikas mit drei Buchstaben?

Wer soll die bis 1995 anvisierten 74.000 Betten der Region belegen? Noch locken Veranstalter und Fluggesellschaften die verschreckten Touristen mit Dumpingpreisen. Die Egypt-Air fliegt Hurghada einmal wöchentlich direkt von Berlin an. Doch lassen sich die Preise auf die Dauer halten? Ahmed Wahba gibt sich fürs Albatros-Beach-Hotel optimistisch: Das Mittelmeer sei verschmutzt, und die Region hier böte ein einmaliges Naturkapital und ideale Bedingungen für Wassersport. Und Deutschlands Touristenströme, auf die die Macher setzen, scheinen unendlich weiter zu fließen. Der Surfer Gerhard hat wegen der PKK-Entführungen seine Türkeireise auf den Surf-Geheimtip Hurghada umgebucht. Angst habe er hier keine. „Es ist ja alles total bewacht.“ Allein das Albatros Beach hat 18 private Polizisten, und draußen wacht die Touristenpolizei über das Wohl der Touristen und zum Schutz vor zu viel Berührung mit den Einheimischen. Der Kontakt zu AusländerInnen ist den Ägyptern untersagt – sie dürfen sie allenfalls bedienen und begucken.

Das Urlauberleben im Albatros Beach hat nur wenige Unbekannte: ausladende Buffets, kühles Schwimmwasser, die Wassergymnastik im Pool. Allabendlich klimpert die Drei-Mann-Combo am Pool internationale Ohrwürmer, die der Wind bis 12 Uhr nachts erbarmungslos durch alle Zimmer trägt. Bekannt-beliebte Urlaubsfreuden im abgeschirmten Raum. Standardisierter Urlaub. Nur der Wind weht nicht ganz nach Plan: Die internationale Funboard- Weltmeisterschaft kann wegen Windmangels nur in einer Disziplin, dem Kursrennen, ausgetragen werden. Sieger bei den Männern: der Franzose Sebastian Carle, bei den Frauen – zielgruppengerecht für die deutschen Überprozente an dieser Küste – die Münchnerin Nanni Deubzer.

Information: Ägyptisches Fremdenverkehrsamt, 60311 Frankfurt, Kaiserstraße 1. Tel.: 069-252153

Günstige kombinierte Pauschalreisen: Liberty Tours GmbH, Kaiser-Friedrich-Straße 5, 10585 Berlin. Tel.: 030-3420241, -3422520.

Alternative Reisen ans Rote Meer: Beetle Alternativereisen, Marinesteig 22, 14129 Berlin.

Tel.: 030-6858310.

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