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Gewechselt haben nur die Kunden

Bundesdeutsche Firmen haben bei DDR-Embargo-Geschäften kräftig abgesahnt / Die alten Händler sind auch heute noch gut im Geschäft  ■ Von Thomas Scheuer

Die Burschen von Bundeswehr und Bundesnachrichtendienst staunten nicht schlecht, als sie nach der Wiedervereinigung erstmals die Abhöranlagen in den DDR- Wachtürmen unter die Lupe nahmen. Denn die Schlappohren „drüben“ hatten die Frequenzen des Klassenfeindes just mit denselben Lauschapparaturen abgehorcht, mit denen BND und Bundeswehr ihrerseits in die Gegenrichtung gepeilt hatten: Mit Spitzenprodukten des Nato-Lieferanten Rhode & Schwarz in München.

Auf welch verschlungenen Pfaden, über welche Mittelsmänner und Zwischenhändler westliche Hochtechnologie trotz strenger Embargobestimmungen in die DDR und andere Ostblockstaaten gelangte, dröseln seit der Wende Staatsanwälte, Zollfahnder und Geheimdienstler auf. Auch der Schalck-Untersuchungsausschuß des Bundestages will sich ab Oktober dem Thema Embargo-Handel widmen. Doch das Engagement hält sich in Grenzen. Aus einem einfachen Grund: Wer im Embargo-Dschungel recherchiert, stößt bald auf die Namen prominenter West-Konzerne.

So wundert es kaum, daß sich bei der AG Regierungskriminalität des Kammergerichts Berlin ein einzelner Staatsanwalt durch 92 Fälle eines „Komplexverfahrens Embargo“ gegen westliche High- Tech-Lieferanten beißen muß. Der Mann steht zudem kurz vor der Versetzung, sein Nachfolger wird sich dann von vorn durch die Aktenberge arbeiten müssen. Auch die Berliner Justiz reißt sich bei der Ahndung des Technologie- Schmuggels kein Bein aus.

Der illegale Technologie-Transfer war eine Lebensader der DDR- Wirtschaft. Um ihren hoffnungslosen Rückstand in den Bereichen Elektronik und Informatik zu verkürzen, waren DDR-Industriekombinate wie Robotron oder Carl Zeiss Jena dringend auf westliche Hochtechnologie angewiesen. Aber auch das Militär und die Stasi Erich Mielkes, besonders dessen Spionagetruppe HVA, waren scharf auf West-Elektronik. Die Begierde reichte vom einfachen Sprachverschlüsseler bis zum Hochleistungsrechner für die Raketensteuerung. Doch die begehrten Rohstoffe, Computer und Präzisionsmaschinen standen, weil meist auch von militärischer Bedeutung, auf der sogenannten Cocom-Liste der Nato-Staaten und unterlagen strengsten Embargobestimmungen.

Die begehrte West-Technik ranzuschaffen war Aufgabe sogenannter „Sonderbeschaffungsorgane“ (SBO). Im Ministerium für Staatssicherheit widmete sich die Hauptabteilung 18 (Sicherung der Volkswirtschaft) der Embargogüter-Beschaffung. Bei Markus Wolfs Spionagetruppe HVA war der Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) zuständig. Mit denen arbeitete eng der „Handelsbereich 4“ im Außenhandelsbetrieb Elektrotechnik zusammen, dessen Leiter Gerhard Ronneberger direkt dem Chef des Bereiches Kommerzielle Koordinierung (KoKo), dem Stasi-Obristen Alexander Schalck- Golodkowski unterstellt war. Schalck, der heute die gedächtnisschwache Unschuld vom Tegernsee mimt, in einem markigen Vermerk vom 30. Dezember 1988: „Die verschärfte Anwendung der Embargobedingungen auf dem Gebiet der Hochtechnologien machte neue konspirative Methoden der Arbeit erforderlich.“

Die „Sonderbeschaffungsorgane“ setzten beim Anschaffen auf ein weitverzweigtes Netz westlicher Vermittler, Zwischenhändler und Lieferanten. Aus tausenden von Aktenordnern mit Geschäftskorrespondenz, plus umfangreichem Stasi-Archivmaterial rekonstruierten die Ermittler mittlerweile das High-Tech-Beschaffungsnetz von Stasi und KoKo. Die Dokumentenberge „lassen einen neuen, detaillierten Einblick in die westeuropäische nachrichtendienstlich gesteuerte Hochtechnologie-Beschaffungsszene zu“, schreibt das Bundesamt für Verfassungsschutz in einer Analyse. Allein im deutschsprachigen Raum orteten die Verfassungsschützer 74, zum Teil bis zur Wende unentdeckte, Techno- Söldner: 50 in der Bundesrepublik, 13 in der Schweiz und 11 in Österreich. Aber auch zu Schwarzmarkthändlern in Südafrika und Israel, Ländern also mit ebenfalls reichlich Embargoerfahrung, pflegten die DDR-Beschaffer, ohne ideologische Scheu, beste Kontakte. Oft verdienten sich die Techno-Schmuggler gleich noch mit Industrie- oder Militärspionage ein paar Dollar dazu.

Der Israeli Moshe N., der seine DDR-Kontakte unter dem Decknamen „Victor“ pflegte, übergab bei einer Geschäftsvisite in Ostberlin laut Stasi-Vermerk als Gastgeschenk „die Beschreibung eines Systems, das eine computergestützte Qualitätskontrolle für Navigationssysteme in der Raketentechnik darstellt und in Israel produziert wird“. Ein Lieferkanal „Victors“ führte von Israel nach Südafrika, weiter nach Mocambique, von dort gelangte die Ware dann problemlos in die DDR.

Aber nicht nur mittelständische Schummler und Schieber wie der seit vorletzter Woche in Köln vor Gericht stehende Hans-Joachim Majunke, der seine brisanten Lieferungen schlicht mit dem Campingmobil in die DDR karrte, verdienten sich im Embargo-Business eine goldene Nase. Auch Vertreter namhafter Firmen spielten bei den Umgehungsgeschäften willig mit.

Die Geschäfte der Firma Leybold

Auf einen Namen stoßen die Fahnder immer wieder: Die Firma Leybold im hessischen Hanau. Sie hat in der Vergangenheit die Justiz bereits mehrfach wegen ihrer saloppen Exportpraxis bei Nuklearmaterial in atomare Schwellenländer wie Pakistan oder Irak beschäftigt. Bei einer Razzia im November 1992 beschlagnahmten die Ermittler mehrere 100 Ordner Beweismaterial.

Auch in DDR-Unterlagen finden sich aussagekräftige Passagen. Im Juni 1987 notierte Schalck-Golodkowski über die Beschaffung einer Anlage zur Herstellung von metallischen Superlegierungen: „Anlagen zur Herstellung von Kobaltbasispulvern fallen grundsätzlich unter die Cocom-Bestimmungen. (...) Dies war der Firma Leybold bereits bekannt. Deshalb wurde hierfür kein Antrag gestellt, weil abzusehen war, daß dazu keine Genehmigung erteilt werden würde. Um das mit Sicherheit zu erwartende Ausfuhrverbot zu umgehen, wird im Vertrag nur von Metallpulvern gesprochen.“ Und ein Mitarbeiter Schalcks hielt fest: Leybold „war bisher bereit, auch hochbrisante Ausrüstungen, d.h. mit hohem Embargoanspruch zu liefern; allerdings mit einer mündlichen Vereinbarung, daß diese Ausrüstungen im Vertrag technisch unterdeklariert sind, d.h. in den technischen Dokumentationen Werte angegeben sind, die nicht stimmen“. Noch auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1989 vereinbarten Leybold-Manager mit ihren DDR-Abnehmern, Elemente einer Kristallziehanlage als Umweggeschäft über Taiwan zu liefern. Zufrieden notierte der DDR-Beschaffer, „daß die Firma Leybold nach wie vor bereit ist, Embargoausrüstungen zu liefern“.

Ein anderes Beispiel: 1987 bestellte die DDR für das Kombinat Robotron für 165 Millionen DM zwei komplette Fertigungsanlagen für Leiterplatten. Geordert wurde pro forma bei der Intrac AG in Lugano, einer Firma des schweizerischen KoKo-Statthalters Ottokar Hermann. Hersteller der Anlagen und eigentlicher Lieferant war die westdeutsche Firma Fuba. Sie gehört zu 37 Prozent dem Hoesch- Konzern. Der damalige Hoesch- Vorstandschef, der später als Treuhand-Präsident ermorderte Detlev Rohwedder, setzte sich in Bonn persönlich für das Geschäft ein.

Nicht alle Embargo-Händler sind nach dem Fall der Mauer arbeitslos geworden. Einige von ihnen haben neue Kunden gefunden – im Nahen Osten. Vor allem dem rabiat aufrüstenden Iran, so haben die Späher des Bundesnachrichtendienstes herausgefunden, gehen ehemalige Ostblock-Lieferanten mit ihrem Schmuggel-Know- how zur Hand. „Technologie- Händler im Westen“, so faßt ein BND-Report zusammen, „die früher den Bedarf der RGW-Staaten an westlicher Technologie gedeckt haben, sind zunehmend für den Iran tätig. Das Beschaffungsspektrum ist etwa gleich geblieben, nur die Kunden haben sich geändert. (...) Dies gilt auch für Händler, die früher überwiegend den Bedarf des ehemaligen DDR-Breichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo) deckten.“

Auf der Iran-Schiene orteten die Pullacher auch einen alten Bekannten: Den Österreicher Michael Grossauer, der in der schweizerischen Steueroase Zug die Firma Asada betreibt. Bis zur Wende galt Grossauer als Top- Lieferant der DDR, „auch für militärische Bedarfsträger“, so der BND. In Stasi-Dokumenten wird Grossauer als „Beschaffungslinie ohne Alternative“ gerühmt. Heutzutage bietet der Wahl-Schweizer nach BND-Erkenntnissen dem Iran „ein breites Sortiment von westlichen Waren an. Im Angebot befindet sich auch ABC-Schutzausrüstung.“ Grossauer, von der taz in seinem neuen Domizil auf Mallorca telefonisch aufgestöbert, wollte zu seinen alten und neuen Geschäften „überhaupt nichts“ sagen.

Ein weiterer ehemaliger DDR- Lieferant, die Pierre Boll PB- Technik Ltd. mit Sitz in Zollikon bei Zürich und Filialen in London, Berlin, München und Hamburg, soll der ICI (Iran Communication Industries) in Teheran Fertigungsanlagen für integrierte Schaltkreise angeboten haben. Die gleichen Anlagen hatte PB-Technik in den 80er Jahren in den Ostblock verscherbelt.

Den Iran als zahlungskräftigen Kunden haben mittlerweile aber auch ehemalige DDR-Außenhändler entdeckt. Einige Kader des ehemaligen AHB Transportmaschinen gründeten bald nach der Wende ein gemeinsames Unternehmen und firmieren heute als TECOMA GmbH. Die Firma, so fand der BND heraus, „bietet dem Iran die Erfüllung mit dem iranischen Verteidigungsministerium (noch zu DDR-Zeiten, d. Red.) paraphierter Verträge an“. Mittlerweile versuchen die TECOMA- Leute, so ergaben Recherchen der taz, in Fernost Ersatzteile für Teherans Luftflotte aufzutreiben.

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