Olympiabilanz mit düsteren Aussichten

■ Nach der verpatzten Olympiakür droht Berlin die Pleite beim Regierungsumzug

In den letzten Wochen nahm Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) seine Stadt mit Vorliebe in sportlichen Metaphern wahr. Noch im Juli wähnte er sie auf der „Zielgeraden“ in der „Spitzengruppe“ der Bewerber. Vor wenigen Tagen, wechselte er die Bilder, nunmehr war ihm Olympia nur noch „Kür“ und die Hauptstadt „Pflicht“.

Die Kür ist verpatzt und Diepgen jäh aus den lichten Höhen olympischer Weihen in die Niederungen einer krisengeschüttelten Metropole gestürzt. Die „faszinierende Vision“, „der Welt für die Wiedervereinigung zu danken und das neue Deutschland vorzustellen“ ist zerstoben. Nunmehr werden die Rechnungen für die olympischen Eskapaden serviert. Bündnis 90/Die Grünen monieren bereits, daß keine Bewerberstadt soviel Geld eingesetzt und sich so blamiert habe, und halten Diepgen vor, daß er als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Olympia- GmbH unmittelbar die Verantwortung „für diese Verschleuderung von Steuergeldern“ trage. Auch die mitregierende SPD hat den Buh-Mann für die Niederlage bereits ausgemacht. Die Olympia- GmbH, so der Parteivorsitzende Ditmar Staffelt, habe versäumt, „die Berlinerinnen und Berliner und besonders die jungen Leute in der Stadt ausreichend für Olympia 2000 zu motivieren“.

Deren Motivation dürfte gen Null tendieren, wenn in den nächsten Wochen die Schlußbilanz unter das Kapitel Olympiabewerbung gezogen wird. Über 40 Millionen Mark wird die Olympia GmbH an Steuermittel verbraucht haben, wenn sie zum Ende des Jahres abgewickelt wird. Geschäftsführer Axel Nawrocki wird durch sein Olympiaintermezzo um 720.000 Mark reicher geworden sein. 90 Millionen Mark werden für die drei Sporthallen verbaut sein, die, nach Ansicht des Senats, „unabhängig“ von Olympia errichtet werden. Bis zum Bauende werden sie 750 Millionen Mark verschlingen. Mit einer notwendigen Beteiligung des Landes in Höhe von mindestens 350 Millionen Mark ist zu rechnen, sollte die große Olympiahalle noch errichtet werden. Auch sie soll, so der Senat, gebaut werden, Olympia hin oder her.

250 Millionen Mark wurden bislang insgesamt in Planungen, Programme und Projekte für die Olympiabewerbung gesteckt, weitere 1,1 Milliarden Mark an Steuermittel sind für die kommenden Jahre festgelegt, bleibt der Senat bei seiner Ankündigung, diese Bauten unabhängig von Olympia errichten zu wollen. Angesichts einer Rekordverschuldung von 7,5 Milliarden Mark allein im Haushaltsjahr 1994 kommen der SPD bereits Bedenken. Die geplanten Olympia-Projekte, so relativierte Staffelt gestern die früheren Vorgaben, „sollten aufgrund der Sparzwänge der Stadt neu diskutiert werden“. Sollten die Bauten storniert werden, würde der Senat jedoch im Nachhinein bestätigen, was ihm Olympiagegner immer vorgehalten haben: daß die Bewerbung ein Verlustgeschäft sei und die Unterscheidung zwischen olympiabedingten und sonstigen Bauvorhaben nur dazu diene, die Olympiabilanz zu frisieren.

Aus der Schlußdebatte um Pleiten, Pech und Pannen der Olympiabewerbung wird Diepgen kaum unbeschadet hervorgehen. Noch angeschlagen von der mißlungenen „Kür“ wird er bereits in den kommenden Wochen die „Pflicht“ absolvieren müssen. Denn am 30. September werden dem Bundeskabinett die Zahlen über die Kosten des Umzuges von Regierung und Parlament vorliegen. Mitte Oktober will die CDU-Fraktion des Bundestages darüber befinden. Noch im Juni war der Fraktionsvorsitzende, Wolfgang Schäuble, fest gewillt, die Seinen auf das Umzugsjahr 1998 einzuschwören. Doch mittlerweile sind Bundeskanzler Helmut Kohl angesichts der christdemokratischen Stimmungslage Bedenken gekommen. Er wurde jüngst mit den Worten zitiert, „da rasen zwei Züge aufeinander zu“. Und da im Jahr 2000 die olympische Flamme nicht an der Spree entzündet wird, fällt ein gewichtiger Grund weg, der bislang für einen schnellen Standortwechsel gesprochen hat.

Sollte jedoch beim Regierungsumzug „die Zeitschiene“ eröffnet werden, droht Berlin, so die Befürchtung des Grünen- Politikers Wolfgang Wieland, zur „Armutsmetropole im Mezzogiorno des Ostens“ zu verkommen.

Wenn der Umzug verschoben wird, hätte die Große Koalition nach der Olympiabewerbung auf einem zweiten zentralen Feld ihrer Politik versagt. Wenn die Klammer dieser Großvorhaben wegfällt, werden sowohl in der CDU als auch in der SPD die zentrifugalen Kräfte Auftrieb erhalten. Bündnis 90/Die Grünen sind fest gewillt, diese Tendenzen zu fördern. Im Herbst 1993, so frohlockt der Grünen-Abgeordnete Bernd Köppl, „wird sich das Schicksal der Großen Koalition entscheiden“. Parteiintern wird bereits über die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen sinniert – und schon mal deren Verlierer ausgemacht. Mit der ersten Wahl nach der Einheit, so Köppl, werde Diepgen abgelöst. Dieter Rulff