■ Schöner Leben
: Das Individiwumm

SCHÖNER LEBEN

Das Individiwumm

Sind Sie auch so individuell? Also ich bin enorm individuell. Hat jedenfalls neulich die Maklerin gesagt, als wir diese außergewöhnlich individuelle Wohnung angesehen haben und ich ihr von meinem mundgeblasenen Sofatisch erzählte. Eigentlich war sie noch viel individueller als ich und konnte sich an dem Holzpfeiler schon kupferne Pfännchen und in der Ecke individuell eingefärbte Trockenblumen vorstellen. Aber, ermahnte sie mich, letzten Endes müsse doch wieder jeder für sich und also individuell entscheiden.

Dann zeigte sie mir den herrlichen Ausblick aus den kleinen Fenstern, die so individuell geschnitten waren, daß man bis auf die Straße sehen konnte. Wo unsere Autos standen, die wir gegenseitig sehr individuell fanden, wenn mir auch meins etwas individueller erschien. Zum Abschied versprach sie, mich persönlich anzurufen, sollte sie sich für mich entscheiden, aber als derartiges Individuum hätte ich gute Chancen.

Dann reihten wir uns in den Individualverkehr ein, und ich für mein Teil fuhr in den Supermarkt. Etwas erschöpft kaufte ich massenhaft Dutzendware, als müßte ich mich für einen Moment von meiner Individualität erholen. Draußen holte sie mich aber wieder ein, denn wohin jetzt? Ich hätte gerne eine besondere Richtung eingeschlagen, aber ich mußte ja zum Auto.

Zum Ausgleich fuhr ich in ein Café, trank aber bloß Kaffee wie alle andern. Auf einmal fiel mir ein, daß ein Individualist eigentlich kein Individualist mehr ist, der unspezifisch irgendwo herumsitzt. Verdutzt vor plötzlicher Uneigentümlichkeit trieb ich mich vor mir her nach Hause. Im Prinzip eine Masse, getarnt als Einzelschaf. Claudia Kohlhase