Scheiß-Awogzene!

■ Premiere von „Medeas Kinder“ im MOKS-Kindertheater / Ein Stück über Scheidung und das Goldene Vlies

„Bitte hört mich an, Papa komm zurück!“ — „Die Awogzenen sollen uns nich mehr hauen!“ Solche vermutlich ernstzunehmenden „Wünsche an die Eltern“ hängen an einem „Wunschbaum“ im Foyer des MOKS-Theaters und sind Reaktionen von Kindern auf ein Stück, das sie schon während der Proben gesehen haben: „Medeas Kinder“, ein schwedischer Kindertheater-Klassiker von 1975, der hierzulande durch das Berliner Gripstheater bekannt wurde. Am Samstag hatte das Stück in der Inszenierung von Irmgard Paulis Premiere.

Es geht um Kindestötung in auswegloser Lage. Per Lysander und Suzanne Osten vom Stockholmer „Unga Klara“ Kindertheater hatten den blutigen Ausgang des Medea-Mythos (der im Schauspielhaus in der Fassung von Hans Henny Jahn gegeben wird) zum Thema gemacht — radikal aus der Sicht der Kinder. Um die Geschiedenheit von Kinder- und Erwachsenenwelt deutlich zu machen, ließen sie beide eine verschiedene Sprache sprechen. In der Bremer Inszenierung sprechen die Erwachsenen Euripides, die Kinder sagen „Scheiß-Eltern“.

Die Vorgeschichte wird von einer Stimme (Angela Metzer auch als Amme) rasch mit Musikbegleitung (1001-Nacht-Musik live von Behzad Rooshan Pour) erzählt: die Liebe des Argonauten Jason (Ulrich Pannike) zu Medea, die ihm zum Goldenen Vlies verhilft, die Irrfahrt nach Korinth, die Geburt zweier Kinder, die unter dem Rock von Medea (Tanya Häringer) hervorgekrochen kommen. Eine glückliche Familie, so geht's los wie im richtigen Leben.

Doch sobald die riesigen wehenden Segel sich heben und zum 3-Zimmer/Küche/Bad- Dach werden mit knallrotem Etagenbett für die Kleinen, taucht in der Tiefe der Bühne ein flammend Herz auf, stellvertretend für Glauke, Königstochter von Kreon, also eine bessere Partie als die Barbarentochter Medea. „Aufwärts streben die Flüsse,“ erkennt diese auf verkehrte Welt und verzehrt sich für den Rest der Vorstellung, während Klein-Jason (Norbert Eichstädt) wissen will: „Papa, was ist denn das, Scheidung?“

Dann kommen die harten Nummern, die dem Stück in den 70ern das Prädikat „umstritten“ verliehen: Kinder proben den Suizid, töten rituell ihre Kuscheltiere, betreiben ganz nebenbei ein gutes Stück rudimentärer Sexualaufklärung (mit Kuschelente und Fiffi) und träumen in bläulichem Licht ihr Ende von der Hand der Mutter. Heute haut das Kinder (ab acht) kaum mehr vom Hocker, wird ihnen doch solche Kost wesentlich reiner im Vorabendprogramm des Fernsehens geboten.

Denn das Stück arbeitet mit vielerlei Brüchen, über die Kinder immer wieder lachen müssen, verschiedentlich mit wahrlich seichten Gags (Jason mit dem bekannten Hustenbonbonschrei Tarzans, das mit ihrem Lover telefonierende Kindermädchen Anna, der Gute-Laune- Papa mit dem schlechten Gewissen: „Ja wer kommt denn da?!“). Das bringt Erleichterung ob des finstren Dramas — im Vordergrund steht ohnehin die ganz normale Scheidungsgeschichte, Kindern von heute erheblich vertrauter als denen der 70er.

Vom aufklärerischen Gestus dieser Zeit her, von der didaktischen Absicht, Unsägliches und Verdrängtes beim Namen zu nennen, von der Sprache und der betulichen Führung der SchauspielerInnen her ist „Medeas Kinder“ heute nichts Neues. Und doch sind „Medeas Kinder“ für die Kinder aktueller als je zuvor, zudem unterhaltsam und spannend dargeboten und von hohem Identifikationswert. Der Ausgang ist übrigens das Modernste am Stück, so erwachsen müssen die Kleinen heute tatsächlich oft ganz schnell werden: Während Papa noch zögert, die Familie endgültig zu verlassen, schiebt ihn seine Tochter (Eva Wilde) schon aus der Tür. „Hau ab, Jason, geh zu Glauke, wir kümmern uns um Mutter.“

So sind die Kinder eben, das machen die. Einer hat auf den Zettel für den „Wunschbaum“ eine schlagende Frau gemalt, das Kind weint, Untertitel: „Wenn ihr uns haut haun wir zurück. So sind wir Kinder eben. Das machen wir.“ Burkhard Straßmann

Weitere Aufführungen: 30.9. und 1.10. sowie 35 Vorstellungen für Schulklassen.