„Prinzipieller Pazifismus kostet Unschuldigen das Leben“

■ General a.D. Wolfgang Altenburg zum Bosnienkonflikt: Alle nichtmilitärischen Lösungen versäumt / Heute taz-Debatte im „Kito“

taz: Zum gleichen Thema wie heute abend haben Sie am gleichen Ort vor ziemlich genau einem Jahr schon einmal diskutiert. Damals haben sie sehr vehement die Position vertreten, daß eine militärische Intervention im Bosnien-Konflikt keinen Sinn hat. Haben Sie diese Meinung inzwischen geändert?

Wolfgang Altenburg: Man muß in dieser ganzen Sache differenzieren: Ich bin gegen den großangelegten Krieg, weil ich glaube, daß das Leiden der Zivilbevölkerung dadurch nicht verringert, sondern eher noch verstärkt würde. Das ist aber von Möglichkeiten einer limitierten oder gezielten militärischen Aktion zu unterscheiden, um z.B. einem politischen Vorhaben Nachdruck zu geben.

Was heißt das heute konkret? Welche gezielte, limitierte Aktion halten Sie für sinnvoll?

Ich habe schon im vorigen Jahr gesagt, und bedauerlicherweise kann ich das heute wiederholen: Die erfolgten, bzw. nichterfolgten Aktionen der Vereinten Aktionen und auch der EG sind eine Aneinanderreihung von Versäumnissen. Wenn ich Krisenmanagement machen will, muß ich immer versuchen, im Vorfeld oder in der beginnenden Phase den Konflikt einzudämmen und nicht erst, nachdem er schon extrem ausgeweitet ist. Erste militärische Aktion hätte z.B. sein können, Nato-Schiffe mit einem UNO-Mandat zwischen die jugoslawische Flotte und Dubrovnik zu legen. Ich habe Zweifel, daß die dann geschossen hätten.

Zweite Möglichkeit: Am Anfang gab es sehr viele Luftangriffe gegen Zivilbevölkerung. Die Nato hätte mit UNO-Mandat feststellen können, von welchen Flugplätzen die aufsteigen, und diese zerstören. Das wäre kein allgemeines Bombardieren von Flugplätzen gewesen, sondern eine Warnung an die Serben: Das nächste Mal, wenn solche Kampfmaschinen von einem Militärflugplatz aufsteigen, ist anschließend diese Rollbahn zerstört. Das hätte ich machen können, ohne Zivilbevölkerung zu schädigen, denn Flugplätze sind im allgemeinen außerhalb von Ortschaften.

Heute ist die Situation aber anders: Luftangriffe auf Sarajewo gibt es nicht mehr, und die kroatische Küste wird auch nicht mehr beschossen. Heute gibt es sehr verstreute Kleingefechte mit mobilen Kurzstreckenwaffen. Sehen Sie dagegen immernoch eine Chance limitierter, gezielter Militäraktionen?

Ich bin nach wie vor der Meinung, daß ein tatsächlich durchgesetztes Embargo gegen die

General bis 1989: Wolfgang Altenburg Foto: Dirk Wildt

kriegführenden Parteien oder auch ein limitierter Kampfeinsatz gegen Kommandozentren außerhalb der direkten Gefechtszonen sinnvoll ist. So etwas kann sich aber nicht gegen die Mörsereinheit richten, die mit drei LKW's irgendwo an einem Waldrand steht und dann wieder wegfährt.

Wir haben doch eine ganz komische Situation: Seit Beginn dieses Konfliktes auf dem Balkan herrscht überhaupt keine Einheit innerhalb der EG und der UNO, wen man denn überhaupt als den Schuldigen oder zu Bekämpfenden zu betrachten hat. Die Sympathien liegen grundsätzlich in unterchiedlichen Lagern. Der Leidtragende dabei ist der schwächste Teil der Bevölkerung,

nämlich die moslemischen Bosnier.

In Deutschland wird die Diskussion sehr prinzipiell geführt: Darf es überhaupt eine militärische Intervention geben, und falls ja, nur unter UNO-, oder auch unter Nato- Oberbefehl; dürfen deutsche Soldaten mitmachen usw. Spielen diese Fragen für Sie auch eine wichtige Rolle?

Was ich bisher gesagt habe, waren taktische Argumente. Grundsätzlich ist es so: Das Mandat zum Einsatz kann nur von der UNO kommen. Die große Gefahr ist, daß sich das Ganze jetzt über den Kosovo bis Mazedonien ausdehnt und dann nicht mehr regionalisierbar ist. Deshalb müßte die UNO sicherstellen — gegebenenfalls durch präventive Stationierung von Truppen dort — , daß das ganze nicht weiter ausgedehnt wird.

Hätte Deutschland dafür die Initiative zu ergreifen?

Nein, wir sind ein kleines Land. Wir müssen uns davor hüten, noch einmal diplomatische Fehler zu machen. Der Beschluß muß aus den Vereinten Nationen kommen, und federführend müssen dafür involvierte Nationen sein, z.B. Italien. Staaten, die wie Deutschland auf dem Balkan stark vorbelastet sind, sollten nie Demandeur in dieser Sache werden. Das ist eine uralte diplomatische Regel.

Zweitens muß etwas geschehen, das die politische Glaubwürdigkeit, die am Anfang verloren gegangen ist, wiederherstellt — zum Beispiel mit einem Beschluß, die Kriegsparteien in einem bestimmten Bereich auseinanderzuhalten, und mit einem ganz anderen Druck als bisher Verhandlungen zu erzwingen.

Und welche Initiative sollte dafür aus Deutschland kommen?

Diplomatie macht man ja nicht in der Zeitung und auf der Straße. Man kann Freunde animieren, da etwas zu tun.

Man könnte Sie so verstehen, daß man in in Bezug auf Bosnien in Deutschland eigentlich am besten gar nichts tun sollte.

Nein, wir müssen eine ganze Menge tun. Militärischer Einsatz darf nur die ultima ratio sein, aber wir haben den Punkt zur ultima ratio seit langem überschritten. Deutschland sollte mit politischen Freunden zusammen darauf hinwirken, daß ein status quo erzwungen wird — mit massiven wirtschaftlichen Sanktionen und gegebenenfalls auch durch Androhung eines militärischen Schlages außerhalb der Zivilbevölkerung.

Zweitens sollte deutlich gemacht werden, daß Deutsche für ein Kampftruppenkontingent auf dem Balkan nicht geeignet sind. Sie sind aber durchaus geeignet, wenn es darum geht, mit einem UNO-Mandat in Mazedonien eine Schutztruppe aufzustellen.

Drittens sind Deutsche täglich in einem sehr gefährlichen Einsatz mit Flugzeugen für die Versorgung Sarajewos unterwegs. Da können wir auch helfen und überall im Bereich der humanitären Hilfe.

Auch innerhalb der grünen Bewegung wird sehr grundsätzlich argumentiert: Die einen sagen, militärische Intervention führt immer zur Militarisierung von Konflikten und damit zu neuen Problemen. Die anderen fragen: Wollt Ihr lieber Militäreinsatz oder Völkermord? Finden Sie solch prinzipielle Positionen sinnvoll?

Nein, ich glaube, man muß eine prinzipielle Diskussion führen, dann aber zu pragmatischen Ansätzen kommen. Die ganze Rederei um das Militarisieren von Konflikten — daran sind wir doch leider längst vorbei. Die Politik hat nicht einen Monat, sie hat zwei Jahre versagt, und der Völkermord findet statt.

Sie meinen, die grundsätzlich richtige Position ist nach so vielen politischen Fehlern heute nicht mehr angemessen?

Die prinzipielle Position hat nicht ihren ethischen, aber ihren praktischen Sinn verloren. Ich kann niemandem die prinzipielle Position übelnehmen. Aber er muß nun auch neben dieser über Jahrzehnte gewohnten, angenehmen und gut ankommenden Position auch eine andere respektieren, die notwendig ist, um größeres Übel zu vermeiden.

Sie wollen jetzt Bereitschaft zum Militäreinsatz wecken?

Ja, die ultima ration muß nun kommen. Ich möchte nicht dafür werben, daß die Denkkategorie, alles auf friedlichem Wege zu versuchen, aus den Köpfen verschwindet. Aber wenn ich soweit gekommen bin, daß meine Einstellung unschuldigen Menschen das Leben kostet, dann muß ich sie gegebenenfalls aussetzen oder pragmatisch zurückstellen.

Frage: Dirk Asendorpf