Konkurrenz am falschen Platz

Heute eröffnen Senat und Arbeitgeberverbände die Berufsakademie / Andrang geringer als erwartet / Akademie belegt Lehrstellen und gefährdet Modellstudiengang der Fachhochschule  ■ Von Christian Füller

Je dürftiger die Aussicht auf Zukunft, desto pompöser die Feierlichkeit. Heute übergeben der Senat und die Arbeitgeberverbände mit einem Festakt samt anschließendem Empfang eine neue Bildungseinrichtung namens Berufsakademie ihrer Bestimmung. Doch die ist höchst ungewiß.

Der zwischen Fachhochschule und Berufsschule angesiedelten Bildungsstätte mangelt es derzeit nicht nur an Professoren und – überraschenderweise – an Schülern. Es fehlt die Anerkennung des Abschlusses. Sollte die Kultusministerkonferenz das nicht binnen zwei Jahren nachholen, wird aus der Berufsakademie eine Fachhochschule – so haben es die großen Koalitionäre von SPD und CDU beschlossen.

Die Berufsakademie verknüpft das duale Ausbildungsprinzip mit dem akademischen. Die Auszubildenden sind bei einem Betrieb angestellt und verdienen dort, je nach Studienalter, zwischen 1.000 und 1.800 Mark. Doch statt in die Berufsschule gehen die jungen Leute in die Berufsakademie. Dort erlernen sie das höhere Wissen in technischen und wirtschaftlichen Fächern.

Der heutige Festakt findet nicht umsonst in der Kongreßhalle am Alexanderplatz statt. Die Akademie-Räume in der Karlshorster Siegfried-Widera-Straße sind noch nicht bezugsfertig. Dort geht der Lehrbetrieb erst am 3. Januar los. Ob dann schon alle Dozenten mit von der Partie sind, ist durchaus offen. „Wir sind ein Drei-Mann-Betrieb“, bescheidet die Sekretärin der Berufsakademie derzeit noch Anfragende. Dazu gehören: die beiden Gründungsrektoren, von Viehbahn und Barth, und die Sekretärin. Die Rufe an die künftigen Professoren der Akademie sind bislang nicht ergangen. Man sei aber zuversichtlich, meinte Rektor Hartmund Barth.

In einem Punkt ist die Zuversicht bereits enttäuscht worden. Weit weniger Interessierte als erwartet begannen die akademische Berufsausbildung. Mit 200 hatte Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) gerechnet, nun sind es rund 130. „Das ist konjunkturell bedingt“, begründete Hartmund Bahr der taz gegenüber. Das ist die Grundkonstruktion der Akademie. Sie zählt nicht mehr „Studenten“, als die an der Akademie beteiligten Betriebe einstellen. Und das hängt von der aktuellen Konjunktur ebenso ab wie von den Anforderungen der Unternehmen. „Die Betriebe nehmen nicht jeden“, sagt Barth, der Ökonom mit der Spezialisierung Handel, „sondern nur leistungsfähige Abiturienten.“

Barth führte gar noch den Mangel an Ostberliner Abiturienten als Grund für die geringe Zahl an eingestellten Auszubildenden an. Dem stehen die Fakten des Berliner Jugendarbeitsmarktes entgegen. Noch suchen rund 2.500 junge Leute eine Lehrstelle, darunter erstaunlich viele RealschülerInnen und AbiturientInnen. Gut möglich, daß die Akademie selbst zu dem Überhang an Lehrstellenbewerbern beiträgt.

Nach dem Koalitionskompromiß im Februar, der für die SPD „schweren Herzens“ (Ditmar Staffelt) die Zustimmung zur Berufsakademie brachte, stellte sich schnell heraus: Manches Unternehmen nahm zwar Abiturienten fürs Akademiestudium, sparte aber gleichzeitig bei den „normalen“ Ausbildungsstellen. Nach taz- Recherchen war das etwa beim Pharma-Unternehmen Schering so, das seitdem keine Industriekaufleute mehr ausbildet.

Besonders unglücklich über die Akademie ist man bei der Technischen Fachhochschule (TFH). Dort zog sich der bisherige Partner – der Elektronikkonzern IBM – eines von der TFH angebotenen dualen Studienganges sofort zurück, als die Eröffnung der Berufsakademie feststand – und das, obwohl die TFH-Abschlüsse europaweit anerkannt sind. Die Diplome der Berufsakademie werden – von Ausnahmen abgesehen – hingegen schon in Deutschland nicht anerkannt.

Die TFH führt ihr jetzt offiziell „dualer Studiengang“ genanntes Modell zwar fort. Aber sie ist mittlerweile ein weiteres Mal düpiert worden. In einer Gegenüberstellung der Kosten je Studienplatz, die der Wissenschaftssenator auf Anfrage der Opposition für das Abgeordnetenhaus anfertigen mußte, schneidet die Weddinger Fachhochschule schlecht ab. In der Technischen Fachhochschule ist es ein offenes Geheimnis, daß ihr Modellstudiengang in dem Kostenvergleich konsequent schlechtgerechnet wurde. 5.500 Mark koste die Ausbildung je Student laut Wissenschaftssenator. In der TFH nennt man diese Berechnung „schlicht Unsinn“ und geht von nur 2.010 Mark aus. Zum Vergleich: In der Berufsakademie soll ein Ausbildungsplatz rund 4.000 Mark pro „Student“ kosten.

Die Rechenkünste des Wissenschaftssenators hängen eng mit seiner Interessenlage zusammen. Manfred Erhardt war bereits in Baden-Württemberg Ziehvater der Berufsakademien. Mit ihnen will er den Reformdruck auf die maroden Hochschulen erhöhen. Des schwäbischen Professors Zielrichtung ist jedoch einseitig. Nicht nur das Hochschulwesen bedarf dringend der Renovierung. Auch das Duale System (Lehrstelle plus Berufsschule) muß wieder attraktiv und – wie die Berliner Lehrstellensituation zeigt – zugänglich werden, vor allem für die sogenannten „schwer Vermittelbaren“: sozial und schulisch Benachteiligte, Ausländer und jugendliche Aussteiger. Der Wissenschaftssenator aber bezahlt und protegiert im Verein mit den Arbeitgebern eine Berufsakademie. Die macht dem dualen Studiengang der Technischen Fachhochschule Konkurrenz, wirkt aber dem brisanten Lehrstellenmangel in Berlin nicht entgegen.