Öffentliche Debatte nicht erwünscht

■ Bei einer Veranstaltung der "Deutschen Gesellschaft" zum Denkmalstreit blieben die "interessierten Bürger" beim Thema Neue Wache ausgeschlossen / Vollendete Tatsachen, Experten unter sich

Ein kluger Mensch hat einmal gesagt, daß das Wichtigste an einem Denkmal der Prozeß des Entstehens ist. Er meinte damit nicht die handwerkliche Ausführung, sondern die Diskussion, wer warum und wessen gedenken will. Erst wenn diese Debatte zu einem gesellschaftlichen Konsens geführt habe, sei es Zeit, über die künstlerische Gestaltung nachzudenken. Bei der Entscheidung der Bundesregierung, die Neue Wache zur Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik zu erhöhen, den von Hinrich Tessenow 1930/31 entworfenen Innenraum mit der auf anderthalb Meter vergrößerten Pieta von Käthe Kollwitz vollzustellen und in den Basaltboden die Inschrift „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ einzulassen, gab es hingegen überhaupt keine öffentliche Debatte. Da wurde angeordnet, wurden Aufträge vergeben und Fakten geschaffen. Am Volkstrauertag, am 14. November, sind sie zu besichtigen. Die vergrößerte Pieta wird bereits in der Bildhauerei Noack patiniert.

Dessenungeachtet veranstaltete gestern die „Deutsche Gesellschaft“, eine Vereinigung, die sich die Förderung politischer, kultureller und sozialer Beziehungen in Europa zur Aufgabe gemacht hat, einen Tag des „Deutschen Denkmal-Streits“. Die Veranstaltung im Schauspielhaus sei „öffentlich“, hieß es in der Einladung, und bekannte Politiker und Wissenschaftler würden sich „der Diskussion mit interessierten Bürgern“ stellen. Von dieser Ankündigung war kein Wort wahr. Die Öffentlichkeit mußte 15 Mark Eintritt bezahlen, und von Bürgerdiskussion konnte keine Rede sein. Auf dem Podium saßen acht Männer mit bekannten Namen und tauschten unter der Regie des Gesellschafts- Geschäftsführers Klaus Sühl Statements aus. Im Publikum hockte derweil die gesamte Berliner Prominenz im Denkmalstreit, zum Beispiel die „Neue Wache“-Expertin Gaby Dolf, der Kunsthistoriker Ernst Mittig und die rührigen Streiter des Aktiven Museums – und durften kein Wort sagen.

Sie mußten sich schweigend anhören, wie Christoph Stölzl, Direktor des Deutschen Historischen Museums, dafür plädierte, die in Bonn geplante Fertigstellung gewähren zu lassen und die Kollwitz- Replik sowie die umstrittene Inschrift hinzunehmen. „Bitte üben Sie Toleranz in dieser Sache“, sagte er. Als ob es darum noch geht, als ob noch jemand die Kompetenz hätte, die Bauarbeiten zu stoppen und die Pieta in der Reservatenkammer verschwinden zu lassen. Auch wenn dies der Vertreter des Kultursenators, der Staatssekretär Wilfried Sühlo, als Berliner Position formulierte. Eine Zentrale Gedenkstätte, „ja“, sagte er, aber solange noch kein Bonner Minister seinen Dienstsitz hier hat, der Hauptstadtumzug nicht vor 1998 stattfindet, bestehe kein Grund zur Eile. Er forderte Bundeskanzler Kohl auf, den Eröffnungstermin grundsätzlich zu „überdenken“, wenigstens aber zu verschieben.

Auf die von Salomon Kern, Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland, gestellte zentrale Frage, wer hier wessen eigentlich gedenken will, ging nur der ehemalige CSU-Wohnungsbauminister Oscar Schneider ein. Und dieser Dialog zeigte, wie tief der Riß zwischen den Opfern und deren Nachkommen sowie der Tätergeneration ist. Schneider erzählte die Geschichte seines Bruders, der als 17jähriger gezwungen wurde, noch im April 1945 Berlin zu verteidigen, und dabei starb. „Wenn ich an einem Ort der getöteten Roma und Sinti und der Juden und meines Bruders gedenke“, sagte er, „so mute ich meinem Bruder nichts zu.“ Im Tod seien die Menschen gleich, wollte er damit sagen, eine zentrale Gedenkstätte für alle wäre ein „Akt der Versöhnung“. Und dazu paßte Schneiders Wortwahl, daß die nationalsozialistischen „Scheußlichkeiten, Pardon! Verbrechen“, nicht durch Deutschland, sondern „im Namen Deutschlands“ geschahen. Die Antwort Salomon Kerns, daß Deutschland nicht eine „zentrale“, sondern eine „nationale“ Gedenkstätte wolle und deshalb nicht differenziere, sondern eine „Schinkel-Tessenow-Kollwitz- Collage“ favorisiere, konnte Schneider nicht verstehen. Die Konsequenz aus dieser Denkmalsanordnung bedeute für die Juden, sagte er, daß sie die Pläne für eine eigene jüdische Gedenkstätte forcieren würden. Anita Kugler