Hochwertige TV-Unterhaltung

■ Trends und Tendenzen der diesjährigen „Emmy“-Verleihung

Seit 1949 vergibt die „National Academy of Television Arts and Sciences“ (NATAS) die Emmy- Awards für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Fernsehunterhaltung und lud auch in diesem Jahr zu einer dreistündigen Zeremonie ins kalifornische Pasadena. Für manch einen Preisträger der Saison 92/93 hatte die Kür einen bitteren Beigeschmack: Unter den nominierten Fernsehserien waren mehrere außergewöhnliche Produktionen, die nicht die gewünschten Einschaltquoten erzielten und von Einstellungen bedroht oder sogar bereits abgesetzt sind. Bezieht man das besonders gute Abschneiden des Kabelkanals HBO, der bekannt ist für ambitionierte TV-Movies, mit ein, drängt sich der Gedanke auf, daß die Akademiemitglieder mit ihrer Auswahl den drei großen kommerziellen Senderketten für deren rüde Programmgestaltung einen Denkzettel verpassen wollten.

Die prämierten Sitcoms „Seinfeld“ und „Roseanne“ haben die Zustimmung der Zuschauerorganisation „Viewers For Quality Television“ (VQT), desgleichen die mehrfach nominierten Serien „Brooklyn Bridge“, „Picket Fences“ und „Homicide“. „Brooklyn Bridge“, eine heitere, stimmungsvolle Serie über die Kindheit eines jüdischen Jungen im New York der fünfziger Jahre, ist mittlerweile nicht mehr im Prime-Time-Programm. Zuvor hatten die CBS- Verantwortlichen ihre Zuschauer mit wechselnden Sendezeiten verärgert. Produzent Gary David Goldberg gegenüber Viewers For Quality Television: „Sie begreifen weder die Sendung noch ihr Potential.“ Ähnlich lieblos verfuhr NBC mit der ungemein sehenswerten Serie „I'll Fly Away“.

Die Bilanz des diesjährigen Preisregens spiegelt einen weiteren Trend: Immer mehr Kino- Stars betrachten insbesondere die Produktionen der Kabelsender als, so die Schauspielerin Holly Hunter in ihrer Dankesrede, „neue Arena“, als Spielwiese für anspruchsvolle Projekte, die in der gewaltigen Hollywood-Maschinerie ansonsten kaum zu realisieren wären. Es ist bezeichnend, daß Holly Hunter im gleichen Jahr in Cannes für ihre Rolle in dem Kinofilm „Das Piano“ geehrt wurde und in Pasadena für den fernsehfilm „The Positively True Adventures of the Alleged Texas Cheerleader Murdering Mom“. Filmschauspieler wie Ex-Baker-Boy Beau Bridges und Tom Skerritt („Picket Fences“) nahmen ebenfalls je eine Trophäe mit nach Hause.

Auch hinter den Kameras und in den Produktionsbüros betätigen sich namhafte Kollegen aus der Filmbranche, und das nicht erst seit David Lynchs „Twin Peaks“- Projekt: Oliver Stone, Barry Levinson, Richard Dreyfuss, Bille August und viele andere leisten sich den Luxus, für das wenig lukrative, dafür flexiblere und freizügigere Medium zu arbeiten. Die Programmveranstalter profitieren davon, denn eine TV-Serie wie Robert De Niros „Tribeca“ wird auch von jenen beachtet, die dem Angebot der Fernsehsender ansonsten mit Skepsis begegnen. Das große Medieninteresse für die von „Seiteneinsteiger“ David Lynch koproduzierte Serie „Twin Peaks“ ist noch nicht vergessen. Nahezu unbekannt aber bleiben diejenigen, die seit Jahren kontinuierlich um anspruchsvolle Beiträge bemüht sind, Autoren wie Joshua Brand und John Falsey – sie lancierten Serien wie „Dr. Westphall“, „Ausgerechnet Alaska“ und zuletzt „I‘ll Fly Away“; Steven Bochco („Hill Street Blues“, „L.A. Law“), dessen neue Serie „NYPD Blue“ vor wenigen Tagen Premiere hatte, oder der Autor/Produzent David E. Kelley, der kreative Kopf hinter den besten Staffeln von „L.A. Law“ und in diesem Jahr glücklicher Emmy-Gewinner mit „Picket Fences“. Harald Keller