„... wir sollen euren Mist reparieren!“

„Kindergipfel“ in Stuttgart: Mitbestimmung statt Wunscherfüllung gefordert / 600 Kinder aus neun Ländern wandten sich gegen Umweltzerstörung und Krieg  ■ Aus Stuttgart Heide Platen

Kindergipfel – ein Spektakel der Sponsor-Firmen von AEG bis Neckermann oder ein ernstzunehmendes Politikum? Diese Frage bewegte auch beim 2. „natur“-Kindergipfel, organisiert von der gleichnamigen Münchner Zeitschrift des Ringier-Verlages, der gestern auf dem Gartenschau-Gelände auf dem Stuttgarter Killesberg zu Ende ging, nur die Erwachsenen. Die Kinder beantworteten diese immer wiederkehrende, ihnen sichtlich allmählich lästige, Frage der Medien immer ärgerlicher: „Hört lieber auf das, was wir zu sagen haben, als euch schon wieder ausgerechnet darüber den Kopf zu zerbrechen.“ „Sicher“, so Markus, „der meiste Scheiß geht immer weiter. Aber dadurch, daß die Sponsoren und Politiker Selbstverpflichtungen unterschreiben müssen, kann man das wenigstens merken.“ „Und“, so Tanja mehr pragmatisch als utopisch, „wenn die dann doch was ändern, dann ist das doch gut.“ Die Sorge der einen Erwachsenen, daß sie von anderen Erwachsenen ausgenutzt würden, teilten sie nicht: „Hört doch einfach alle auf, an uns rumzuzerren!“

Ihre Lieblingsprominenten aus der langen Liste der Geladenen hatten sie sich ohnehin schon selbst ausgesucht. Und da waren ihre Vorlieben eindeutig nicht auf die Entscheidungsträger aus den gesellschaftlichen Führungsetagen ausgerichtet. Sie ignorierten die Elterngeneration und hörten statt dessen gebannt auf die eindringlichen Worte gegen Naturzerstörung und für Umwelt- und Tierschutz derjenigen, die ihre Großeltern sein könnten. Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau, Schimpansenforscherin Jane Goodall und der Tierfilmer Heinz Sielmann nahmen sich ohne Starallüren Zeit und kämpften, in fast schon resignativer Altersweisheit, für die Rechte der Kinder auf eine Mitbestimmung der Zukunft. Und auch da kam die Kritik aus den eigenen Reihen: „So, so, die Erwachsenen versauen alles, verdienen sich dumm und dämlich. Und wir sollen den ganzen Mist dann wieder reparieren!“

Prominente aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft haben sicher schon bequemer gesessen als im „Saftladen“, dem Diskussionsforum des Kindergipfels. Im halboffenen, engen Zelt mit den feuchtklammen Strohballen gerieten manche von ihnen fast aus der Fassung. Der Stuttgarter Umweltbürgermeister Beck eierte sich durch die drängenden Fragen, warum es in Stuttgart kein Kinderparlament gebe. Stadträtin Agnes Arlt (CDU) ging es nicht besser. Sie erntete Gelächter, als sie behauptete, die Rechte der Kinder seien an den Schulen doch gut aufgehoben und versuchte es mit Ehrlichkeit. Sie traue Mitbestimmungsinstitutionen der Kinder nicht und habe „Angst, daß da Erwachsene als Drahtzieher und Stimmungsmacher“ dahinter stecken.

Da hatte sich der Vertreter der Firma Neckermann schon besser vorbereitet. Gnade fand auch er in den Augen der Kinder nur begrenzt, denn, kritisierten sie, noch immer werden zehn Prozent der Versandhauskataloge, in Plastikfolien verpackt. Den Umstieg der Firma auf Altpapierverpackungen und Frachtwege per Schiff und Bahn, mehr umweltverträgliche Artikel im Sortiment goutierten sie nur bedingt und gingen ans Eingemachte. Hochglanzkataloge seien einfach überflüssig. Auch der neue Chefredakteur der natur, Günter Haaf, geriet ins Schlingern. Er wendete den Diskurs offensiv. Papier sei, sagte er, „immer umweltschädlich“. Daß die Fotos des Magazins, ebenso wie Katalogprodukte, auf Umweltpapier eben einfach nicht so gut aussehen, räumte er dann doch ein. Das aber war den Kindern, der Welt der Werbung und der bunten Bilder eher überdrüssig, herzlich gleichgültig: „Wir wollen nicht später an unserem Müll verrecken!“

Die Schwerpunkte, in zahlreichen Arbeitsgruppen entwickelt, richteten sich dagegen, „alles immer vermeintlich mit allem zusammenzubringen und dann am Ende gar nichts zu ändern“: „Die schieben sich die Schuld nur gegenseitig zu, weil sie sonst handeln müßten. Und das nennen sie dann in der Werbung auch noch ganzheitliches Denken.“ Sie plädierten dafür, sich von der vermeintlichen Komplexität der Welt nicht dumm machen zu lassen, sondern, so Michaela, in den einzelnen Bereichen „Schritt für Schritt“ vorzugehen, „aber, verdammt noch mal, jetzt, hier und sofort zu handeln. Sonst wird man ja einfach verrückt.“ Dies galt ihnen für den Stopp der Atomkraftwerke, gegen die Zerstörung des Regenwaldes, für das Ende von Waffenproduktion und Kriegen, gegen Ausländerhaß, Gewalt, Tierversuche und Müllberge und Chemiegifte.

Heftig kritisierten die rund 600 Kinder aus neun Ländern, daß aus dem beim ersten Kindergipfel 1991 in Frankfurt von Umweltminister Töpfer und an anderen mit viel Getöse unterschriebenen „Generationenvertrag“ bisher wenig verwirklicht worden sei. Und sie nahmen mit Mißfallen zur Kenntnis, daß sich Töpfer diesmal nur Zeit für die Abschlußveranstaltung genommen habe, zur Diskussion aber nicht gekommen sei, weil er, so die Veranstalter, „Wichtigeres zu tun“ hatte. Ähnlich ärgerlich reagierten sie auf die Abwesenheit von Oberbürgermeister Rommel: „Wir sind denen schnurzegal.“ Auch das aufwendige „Sinnen-Labyrinth“, daß eine Stuttgarter Architekturfirma auf dem Gelände errichtet hatte, machte nur den jüngeren Kindern Spaß. Eine Jugendliche stellte fest: „Ich finde das Scheiße. Für viel Geld werden die Kinder da aus einer künstlichen Welt auch nur in eine künstliche Natur geführt.“ Besonders habe sie sich über den ausgestopften Biber im Biberbau geärgert. Und die malerische Arche aus Schilf und Stroh verdecke Stahl und Beton.

Kontrovers diskutierte vor allem die Arbeitsgemeinschaft für Kinderrechte, die sich für gesetzliche Mitsprache- und Klagemöglichkeiten der Kinder und für eine „andere Schule“ einsetzte. Die heutigen Schul- und Unterrichtsformen, meinten sie, seien „hoffnungslos veraltet“ und nur an der Leistungsgesellschaft orientiert. Die allgemeine Schulpflicht durch eine offenere Form des „Rechts auf Bildung“ zu ersetzen, war vielen von ihnen als Forderung aber vorerst „zu radikal“. Für den nächsten Kindergipfel 1995 bot sich der Berliner Stadtteil Köpenick an. Ob der aber dann überhaupt noch einmal stattfinden wird, steht, sagen Gerüchte, in den Sternen. Organisator Gerd Pfitzenmaier aus der natur-Redaktion versicherte: „Natürlich machen wir weiter.“ Auch von den beteiligten sechs Umweltverbänden war Gegenteiliges nicht zu hören.