Vom Paradies zum Vorhof zur Hölle

■ Die Rückkehr und die Ansprüche des 1992 gestürzten Ex-Präsidenten Gamsachurdia bedrohen Georgiens Existenz

„Soeben hatte Gott die Erde erschaffen und alles verteilt. Da kamen die Armenier – verspätet. Nur noch Steine fielen für sie ab. Als schließlich die Georgier mit erheblicher Verspätung eintrafen, bedauerte der Herrgott. Nichts hatte er mehr anzubieten. Die enttäuschten Georgier entschuldigten sich sogleich für ihre Unpünktlichkeit: ,Aber wir haben doch auf dein Wohl getrunken...‘ Der himmlische Vater war so gerührt, daß er ihnen daraufhin das Paradies schenkte.“ Eine Anekdote, die man sich in Georgien erzählt.

Die paradiesischen Zeiten Georgiens liegen lange zurück. Heute erinnert das Land an den Vorhof zur Hölle. Die nationalen Zwistigkeiten drohen das Land endgültig von der Landkarte zu tilgen. Daran kann auch Eduard Schewardnadse nichts mehr ändern. Früher ließen sich die Schwierigkeiten im Innern dem übermächtigen Gegner Rußland zuschieben; bis heute haben chauvinistische Kreise in Rußland Interesse an einer instabilen Lage des Kaukasusstaates. Doch das erklärt bei weitem nicht mehr alles – die Probleme sind hausgemacht.

Die Rückkehr des ersten freigewählten Präsidenten Swiad Gamsachurdia in seine Heimat ist ein schlechtes Omen. Die vielbeschworene Libanonisierung des antiken Kolchis scheint nunmehr Wirklichkeit zu werden. Gamsachurdia, der sich in Tbilisi während seiner anderthalbjährigen Amtszeit wie ein „Duce“ gebärdete, sammelt in Zugdidi seine Gefolgschaft. Die Stadt gilt als die Hochburg des paranoiden Ex-Präsidenten. Nach dessen Flucht in die Arme des tschetschenischen Möchtegern-Duces Dudajew hielten Gamsachurdias Anhänger Monate den offiziellen Truppen Tbilisis in dieser Provinz stand. Gamsachurdia kehrte zurück und kündigte ungeachtet der Bedrohung Georgiens in seiner abtrünnigen Republik Abchasien Schewardnadse den Kampf an.

Nicht zuletzt trägt Gamsachurdia einen Großteil der Schuld an den rasenden Nationalitätenkonflikten in dieser Region. Durch seine unerbittliche Haltung gegenüber nichtgeorgischen Minderheiten hat er die nationalen Gegensätze erst richtig zu einem Flächenbrand werden lassen. Um seine persönliche Macht zu erweitern, scheute er vor keiner Provokation und zweifelhaften Bundesgenossen wie etwa Dudajew zurück. Schließlich schickte er die Freischärler aus dem Nordkaukasus in die Schlacht um Abchasien. Sie unterstützten die Abchasen, die nicht nur für Selbständigkeit, sondern in der Person ihres Präsidenten Ardsinba auch um den Anschluß an Rußland kämpfen. Gamsachurdia geht es nur um die Rückgewinnung der Macht in Tbilisi. Und das wird das Land nicht überstehen.

Zugdidi liegt zwischen Tbilisi und Suchumi, schon jetzt kann die Stadt kaum noch aus der Luft versorgt werden. Die Nachschubwege zu Lande mag Gamsachurdia mit seinen zum Teil kriminellen Banden nach Belieben blockieren. Bricht zwischen Schewardnadse und Gamsachurdia eine zweite Front auf, wird nicht nur Abchasien verloren sein. Diese Chance werden auch die Südosseten nutzen. Seit langem wünschen sie die Vereinigung mit den Nordosseten, die der Russischen Föderation auf der anderen Seite des Kaukasus angehören. Zwei Jahre wütete zu Zeiten Gamsachurdias der Krieg in dem ehemalig autonomen Gebiet. Russische Truppen bemühen sich seit anderthalb Jahren um die Aufrechterhaltung eines höchst fragilen Friedens.

Gamsachurdia wird nie auf den Thron in Tbilisi zurückkehren. Seine Anhänger im Westen reichen nicht aus, um den Osten des Landes unter ihre Gewalt zu bringen. Die politische Elite in Tbilisi wird Gamsachurdia auf keinen Fall stützen. Der ehemalige Sowjetdissident hat sich in den Augen seiner denkenden Landsleute auf immer und ewig diskreditiert. Die Spuren des Bürgerkrieges haben sich tief in das einstmals prächtige Stadtzentrum der Hauptstadt eingefressen. Kurz vor seiner Flucht über die Berge an der Jahreswende 91/92 kannte Gamsachurdia kein Pardon. Seine Vasallen äscherten ihm den Weg. Ostgeorgien, Migrelien, Südossetien und Abchasien – Gebiete und kleine Völker, die sich untereinander nicht grün sind.

Weitet sich der Konflikt aus, wird Rußland nicht mehr nur noch zuschauen. Die Instabilität im Kaukasus bereitet Moskau seit langem Sorgen. Denn an Rußlands Südgrenze leben zahlreiche kaukasische Völker, die danach trachten, sich für die Unterwerfung unter das Zarenjoch im 19. Jahrhundert zu rächen. Die Lage im Kaukasus war immer unübersichtlich. Die Gefahr einer Implosion ist größer denn je. Ein zweites Mal wird das Paradies nicht vergeben. Klaus-Helge Donath