Kafka vor, noch ein Tor

■ Sauber im Abschluß: Das „Festival für inszenierte Literatur“ im Waller Westend

Der Herr Kuppel will uns schon beim Entree in den Schock treiben. Steht da im klassischen Dödelschwenkermantel wie frisch aus dem benachbarten Waller Park gesprungen und läßt uns mittels theatralem Aufschlagen der lässigen Textilie eben nicht sein Stehaufmännchen betrachten, sondern den selbstgedrechselten Spruch des Tages: Vor lauter Huch und Hach konnte man sich den dann gar nicht merken — aber jedenfalls ist niemand dabei umgekippt.

Zum Abschluß des „Festivals für inszenierte Literatur“ hatte die Kulturwerkstatt Westend nicht nur den Kombinationskünstler Gotthart Kuppel mit der roten Nase und eine Performance- Gruppe geladen, sondern auch den anmutigen Kneipenpoeten Max Schmalz mit Kurz-Kürzer- Kürzestgeschichten, die er selber musikalisch umrahmte mit Gezupfe und Getupfe: „Wäre es Franz Kafka besser ergangen, wenn er in der Bundesliga gespielt hätte?“ fragt da etwa ein Roman. Und ein weiterer Roman geht so: „Der Weg vom Fernseher zum Mülleimer ist keine gerade Linie“.

Gibt natürlich auch längere Werke: „Elf Freunde müßt ihr sein. Und immer daran denken: Ersatzspieler sind auch Menschen!“ Eine Aussage, die im übrigen auf höhnisches Gelächter anwesender Stammkräfte der 5. Herrenmannschaft des ESV Blau- Weiß stieß, aber das gehört nun eher in den Sportteil. Wie Schmalz dann zwischendurch das literarische „Learning English“ ohne Walter und Connie einwirkt, ist dabei ebenso entzückend wie das artifizielle Bemühen, Teile dieser universal poetry mit französischem Akzent vorzutragen. Der Spatz von Avignon, die Krähe vom Dobben, the mockingbird from Ostertor: Gelegentliche Ausrutscher in gedanklicher Besoffenheit merzt der Künstler nicht aus — Isch find's supär!

Schon kraxelt aber Rotnas Gotthart über die schwindelerregend hohe Leiter deutscher Hochkultur: Ei wird denn hier Artistik zelebriert ?! Stufe um Stufe schreitet der Kerl im synthetischen Leopardenfell des Tierfreunds empor, rezitiert „Über allen Wipfeln“ von Goethe in unzähligsten Variationen von Ringelnatz über Jandl bis hin zu Kuppel, Gotthart, hoch oben in der Zirkuskuppel. Fällt aber nicht runter und macht uns staunen ob der Mannigfaltigkeit deutscher Dichtkunst, riecht auch gut nach Immanuel Kant und dem Matschapfel der Erkenntnis.

Mit „Hyazinthen für Teresa“ kommt dann ein inszenierter Text von Hildegard Hülshorst zum Tragen, dem nun die aus dem Zauberärmel geschüttelte Leichtigkeit ganz und gar abgeht. Die Schauspielerin Gaby Bucher gibt uns eine junge Frau auf suchender Reise, begleitet nur von einem Überseekoffer. Die Reise zum Freund nach Holland während des Faschismus, der Blick auf Stalins eisernen Besen, im Kopf, im Herz, in der Seele das flüchtige Glück jener Minuten wenn nicht gar nur Sekunden, in denen die Revolte nicht entschieden und den Menschen alle Möglichkeiten offen sind, bevor neue Herrschaft ihren Anspruch stellt.

Und die Zeit und die Zeit und die Zeit spielt keine Rolle in dieser Expedition zu den Möglichkeiten und Grenzen von Glück und Erkenntnis. „Träumen, Utopien, vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran.“ Geläuterter Blick auf das Leben, der nicht zynisch wird. Von der Komponistin und Saxophonistin Sabine Diepenbrinck wird die Kargheit der Worte hervorgehoben zur farbigen Dichte der Gedanken, dabei zurückhaltend begleitet vom Gitarristen Mike Klagge.

Und am Schluß wieder der mit der roten Nase. Der Spaßmacher. „Is nur Spaß“ verkündet er als Botschaft einer Welt, die darauf schon mit einiger Automatik „Ich geb Gas“ zu reimen und denken geneigt ist. Mit Eiern, faulen Äpfeln und Tomaten wurde nicht geworfen, obwohl der Künstler selbst diese Argumente im Publikum verteilte und sich eigens das abwaschbare Müllbeutelwams übergestreift hatte. Kam wohl alles ganz gut für die Leute. Schade, wird nicht wiederholt. Leben live gibt's immer nur einmal. UrDrü