: Otto Schilys Ärger mit „Mister“ Müller
Ein politisch brisantes Anwaltsmandat schmälert die Chancen des SPD-Bundestagsabgeordneten für den Vorsitz des Treuhand-Untersuchungsausschusses ■ Von Thomas Scheuer
Berlin (taz) – Die SPD-Bundestagsfraktion stößt mit dem Wunsch, Otto Schily zum Vorsitzenden des Treuhand-Untersuchungsausschusses zu benennen, auf Widerstand. „Ich fordere die SPD auf, sich gut zu überlegen“, mahnte bereits CDU-Fraktionsgeschäftsführer Joachim Hörster, „wen sie als Vorsitzenden des Treuhand-Untersuchungsausschusses nicht nur dem Bundestag, sondern den Menschen in den neuen Ländern zumuten will.“
In die Schußlinie ist Schily wegen eines Anwaltsmandats geraten: Er vertritt den norddeutschen Kaufmann Richard Müller, gegen den die Staatsanwaltschaft Lübeck im Auftrag des Karlsruher Generalbundesanwalts wegen Spionageverdachts ermittelt. Seit den 70er Jahren galt Müller als einer der wichtigsten Technologie-Schmuggler des Ostblocks. Im November 1983 beschlagnahmte der Zoll im Hamburger Hafen amerikanische Hochleistungsrechner samt Software, die Müller über Südafrika und Schweden in die UdSSR schmuggeln wollte. Müller setzte sich in den Ostblock ab.
Im April 1989 tauchte Müller überraschend in der Heimat auf und stellte sich freiwillig der Justiz. Schon wenige Wochen später, am 26. Juni 1989, verurteilte ihn das Landgericht Lübeck nach nur halbtägiger Verhandlung wegen Verletzung des Außenwirtschaftsgesetzes zu einer auffallend milden Strafe, wie Ermittler und Beobachter damals meinten: zwei Jahre Haft, zur Bewährung ausgesetzt, plus 1,5 Millionen Mark Geldstrafe. Die Summe entsprach just der hinterlegten Kaution, die Müller die U-Haft erspart hatte. Von Gewinnabschöpfung, heute im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität in aller Munde, war damals keine Rede. Die Geldstrafe brachte Müller nicht in Nöte: Bald nach dem Urteil kaufte er sich am Westensee bei Kiel das Landgut Marutendorf – angeblich für satte 19 Millionen Mark.
Verteidigt wurde Müller vom damals noch grünen MdB Otto Schily. Später ging beim SPD-Unterbezirk München-Land eine Parteispende des dankbaren Ehepaars Müller in Höhe von 120.000 DM ein – dort kandidierte Schily 1990 nach seinem Wechsel zur SPD für den Bundestag. Heute ist den Sozis der Müller-Obulus peinlich.
Hartnäckig halten sich Gerüchte, in den Kulissen der Justiz sei damals gekungelt und gedealt worden: Schon vor Müllers Rückkehr in den Westen soll Schily den Tatumfang auf 28 Millionen Mark heruntergehandelt haben; ein Klacks, verglichen mit den 200 bis 300 Millionen Dollar, die laut einem Pentagon-Report auf Müllers Konti in Zürich flossen und ihm den Spitznamen „Moneten-Müller“ eintrugen. Das Wichtigste: Der GBA stellte sein Ermittlungsverfahren wegen Spionage ein. Dies, obwohl sich bei dem 1983 in Hamburg beschlagnahmten Schmuggelgut immerhin Software des Nato-Kampfflugzeugs Tornado gefunden hatte. Müllers Aktivitäten im Ostberliner Exil wurden auffälligerweise im Prozeß völlig ausgeklammert.
Pech für Müller, daß Aktenfunde in Ostberliner Archivkellern über jene Zeit jetzt brisante Details offenbaren: Danach war Müllers High-Tech-Schmuggel weit umfangreicher als bisher angenommen – und er war geheimdienstlich gesteuert. Unter dem Decknamen „Mister“ war Müller beim sowjetischen Militärdienst auf allerhöchster Ebene angebunden.
Ein MfS-Vermerk vom Januar 1984 hält fest: „Bei ,Mister‘ handelt es sich um eine operative Verbindung der Hauptverwaltung Aufklärung beim Generalstab der Streitkräfte der UdSSR.“ Als Müllers Führungsoffizier fungierte Kapitän zur See Butkow, der Verbindungsoffizier der sowjetischen Militäraufklärung beim DDR- Verteidigungsministerium. Die Bedeutung des norddeutschen Techno-Schiebers für Moskaus Rüstungsindustrie belegt schon der Umstand, daß zwischen den Militärgeheimdiensten der DDR und der UdSSR auf Chefebene beratschlagt wurde, wie Müllers Dienste als „Beschaffungslinie“ weiter sichergestellt werden konnten. Dazu reiste im Januar 1983 DDR-Generalmajor Krause, Chef der Aufklärung im Ostberliner Verteidigungsministerium, eigens nach Moskau zu Armeegeneral Iwaschutin, dem Chef der Hauptverwaltung Aufklärung beim Generalstab der Roten Armee. In der Folge wies Stasi-Chef Erich Mielke seinen Zögling Alexander Schalck-Golodkowski an, dem Westflüchtling in der neuen Heimat eine Operationsbasis zu verschaffen. Schalcks KoKo stellte Müller im Ostberliner Stadtteil Blankenburg ein Areal mit Büro, Lagerhalle und Fuhrpark zur Verfügung. Aus Ungarn wurden präparierte Spezial-Trucks herangekarrt. Die sonstige „Betreuung“ Müllers nahm der Militärgeheimdienst allerdings selbst in die Hand – von der Reservierung von Hotelzimmern bis zur Ausstattung mit einem gefälschten englischen Paß. „Mister“ Müller hieß nun Edgar Brent, geboren am 18. September 1943 in London.
Der Generalbundesanwalt hat das 1989 eingestellte Verfahren wegen Spionageverdacht gegen Richard Müller wieder eröffnet. Müllers Verteidigung hat wieder Otto Schily übernommen.
Auch dem Osthandel blieb Müller bis heute treu. Nach seiner Verurteilung gründete er in gewohnter Manier einen Rattenschwanz neuer Firmen, teils gemeinsam mit sowjetischen Partnern. Die meisten Firmen widmen sich dem Speditionsgeschäft. Das Zentrum des neuen Netzwerks bildet die Firma Devia. Eingetragen ist die Firma im Handelsregister des Fürstentums Liechtenstein – und zwar schon seit 1986; da saß Müller noch in Ostberlin.
Müllers Ostberliner Filiale residiert just auf jenem Areal, das ihm einst die Stasi besorgt hatte: In der Blankenburger Bahnhofstraße. Das Areal kann Müller eigentlich nur von der Treuhandanstalt erworben haben.
Käme der zukünftige Treuhand-Untersuchungsausschuß etwa auf die Idee, mal zu prüfen, wie das Areal in die Hände Müllers gelangte, geriete Müller-Anwalt Schily als Vorsitzender wohl in heftige Interessenkollisionen.
Daß sich Anwalts- und Abgeordneten-Mandat bisweilen beißen können, hat Schily bereits auf einem juristischen Nebenkriegsschauplatz erfahren. Der Schalck- Untersuchungsausschuß will Müller nämlich Ende Oktober als Zeugen vernehmen. Dagegen wehrt sich Müller. Weil es recht blöde aussähe, wenn ausgerechnet ein Abgeordneter einem Zeugen gegen seine Parlamentskollegen beistehen würde, mußte Schily diesen Part vorsorglich abgeben – an den Anwalt Trutz Graf Kerssenbrock, seinerzeit CDU-Obmann im Kieler Barschel-Ausschuß.
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