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Nachschlag

■ Peter Adam im Renaissance-Theater

Manchmal erfährt man an den unterschiedlichsten Orten, wie schlimm das Scheitern der sozial-liberalen Koalition wirklich war. Würde sie nämlich noch fortbestehen, dann wäre Manfred Lahnstein noch Minister und müßte nicht als Bertelsmann-Bote halbverschlafen sonntags früh im Renaissance-Theater stehen und vom Zettel das dumme Zeug herunterlesen, das ihm da die Sekretärin draufgekritzelt hat. „Mehr als beeindruckt“ stellte er den Gast der „Berliner Lektionen“ vor, und dieser entschädigte dann für alles Geschwätz.

Peter Adam, Halbjude, Überlebender, Emigrant, Journalist und Kosmopolit, sprach über sein Leben. Ob die trügerische Idylle der assimilierten Familie im Tiergarten, die ersten Demütigungen durch die Nazis, später dann der Jeep der amerikanischen Befreier in einem österreichischen Dorf, die Reporterjahre in Biafra, Kuba und Ägypten, die Deutschlandberichte, schließlich die miterlebten Schüsse auf Rudi Dutschke – so unterschiedlich die Ereignisse waren, der Blick darauf blieb immer der gleiche. Die Frage, die Peter Adam leise und eindringlich wiederholte: Warum habt Ihr weggesehen? Er beschrieb die Atmosphäre der Normalität im Nazireich, das verstohlene Wegschauen und Nicht-wissen-wollen der meisten. Um so eindringlicher die Erinnerung an jene kleinen Episoden, wo Menschen sich trauten, ihre Mitmenschen mit dem gelben Judenstern nach der Uhrzeit zu fragen oder eine kleine Gefälligkeit zu leisten, die soviel bedeuten konnte. Geblieben aber ist bis heute eher das Mittun, das anschließende Verschweigen und die Phantasielosigkeit der Gegenstrategien – Peter Adams jüngstes Exempel stammt aus der Gegenwart. Der seit nunmehr vielen Jahren in London lebende Kunsthistoriker forscht seit langem über die Kunst des Dritten Reichs, ihren Kitsch, ihre Verlogenheit innerhalb partieller Kunstfertigkeit. Damit rührte er in Deutschland an ein großes Tabu. Zugang zu den nach wie vor verbunkerten Bildern wurde ihm verwehrt, überall stieß er auf Ablehnung, sein Film über das Thema wurde erst vom Südwestfunk Baden-Baden übernommen, als er in England Preise gewonnen hatte und man nicht zum zweiten Male eine Ablehnung riskieren wollte. Was liegt dem zugrunde? Sensibilität oder die Furcht, Ikonen für die Neonazis zu schaffen? Es ist wohl eher die Unfähigkeit, ein verdrängtes Thema aufzunehmen, getarnt durch allerlei volkspädagogische Rechtfertigungsversuche – beides Belege für die Fragilität demokratisch-couragierten Bewußtseins in diesem Land. Nun kommen die Interviews und Berichte doch noch zustande, immerhin. Wenn man aber zugehört hat, was Peter Adam über den Restaurations-Mief der fünfziger Jahre sagte, kann man sich eine Vorstellung davon machen, in welche Richtung die Post abermals abgehen könnte: Am gleichen Abend veranstaltete Heiner Müller in seinem Berliner Ensemble eine Ernst-Jünger-Lesung. Marko Martin

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