Allianz der Schwachen

Ausländerinnen arbeiten „schwarz“ als Tagesmütter für deutsche Frauen / Symbiose im gesellschaftlichen Niemandsland  ■ Von Barbara Dribbusch

Illegale Beschäftigung ist im höchsten Maße unsozial. Sagt zum Beispiel die Berliner Senatorin für Arbeit und Frauen. Offiziell. Natürlich weiß sie es in Wirklichkeit viel besser. Ohne illegale Beschäftigung müßten in Deutschland Tausende von berufstätigen Frauen ihre Jobs aufgeben, Familien ihren Lebensstandard senken. Denn mehr und mehr berufstätige Mütter beschäftigen „schwarz“ ansonsten chancenlose Ausländerinnen – eine Symbiose, die beiden Seiten hilft zu überleben.

Zum Beispiel Marianne Holzer *, Softwareunternehmerin und 36 Jahre alt. Schon drei Monate nach der Geburt der kleinen Sophia tüftelt sie wieder am Schreibtisch in ihrer Berliner Altbauwohnung am PC. Muß sie auch. Denn der Konkurrenzdruck in ihrem Job ist stark. Die kroatische Kinderfrau Amela ist unterdessen mit Sophia im Schloßpark unterwegs. „Ohne Amela könnte ich meine freiberufliche Existenz glatt vergessen“, erklärt Marianne, „die Auftraggeber warten nicht, bis die Kleine einen Kita-Platz hat.“

Einen öffentlichen Krippenplatz gibt es für Sophia nicht, auch keine offiziell gemeldete Tagesmutter. Alltag in Deutschland: Auf 1.000 Kinder im Alter zwischen ein und drei Jahren kommen im alten Bundesgebiet einschließlich Westberlin im Schnitt ganze 27 Krippenplätze – so die Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 1992. Im Osten waren dies im Jahre 1991 immerhin noch 642 Plätze. Auch über die Kommunen vermittelte Tagesmütter sind rar. Und die staatliche Babybetreuung genießt nicht immer den besten Ruf. Fast alle berufstätigen Freundinnen von Marianne Holzer lassen daher ihren jüngsten Nachwuchs von illegalen Jobberinnen pflegen – die meisten davon sind Ausländerinnen. Die Jobs werden häufig durch Mundpropaganda vermittelt. So auch der von Amela.

Die 28jährige Kroatin lebt illegal in Berlin. Da sie nicht direkt aus einem Kriegsgebiet kommt, genießt sie hier keinen Flüchtlingsstatus. Und hat damit auch keine Aufenthaltsberechtigung, keine Arbeitserlaubnis, geschweige denn eine Krankenversicherung. In privaten Wohnungen behandelt die gelernte Masseurin ab und an Kunden, vor allem aber hütet sie Kinder. Marianne zahlt ihr 15 Mark die Stunde – der gängige Schwarztarif für Kinderfrauen, die im Haushalt auch noch Geschirr spülen, putzen und kochen. Ohne Putzen gibt es in der Regel nur 10 Mark.

Ein mieser Lohn für hiesige Verhältnisse – aber viel für eine, die sonst nichts hat. Und auch viel für die berufstätigen Frauen, von denen sich manche die Kinderbetreuung vom Munde absparen müssen. Marianne Holzer und ihr Freund gehören da noch zu den Privilegierten. „Ich könnte es mir leisten, Amela ganz legal fest anzustellen“, berichtet Marianne. Als unverheiratete Mutter darf sie bis zu 16.000 Mark pro Jahr an Betreuungskosten von der Steuer absetzen. Das wäre zwar nicht mal die Hälfte dessen, was eine korrekt beschäftigte Fulltime-Kinderfrau tatsächlich kosten würde. Attraktiv für eine Freiberuflerin wäre der Steuernachlaß dennoch. Aber da gibt es ein Problem.

„Es ist saumäßig schwer, eine Arbeitserlaubnis für Amela zu bekommen“, mußte Marianne feststellen. Seit vergangenem Jahr bekommen AusländerInnen nur dann eine Erlaubnis, wenn der Arbeitgeber nachweist, daß nur diese und keine andere deutsche Person in der Lage ist, die Tätigkeit auszuüben. „Wie soll man das aber bei Kinderbetreuung und Haushaltsarbeit belegen?“ stöhnt Marianne. „Auch beim besten Willen bleibt nichts anderes übrig, als Amela erst mal schwarz zu beschäftigen.“

Auch sie würde natürlich „lieber legal hier arbeiten“, betont Amela. In der U-Bahn hat sie Angst, denn die uniformierten Kontrolleure fragen inzwischen nicht nur nach der Fahrkarte, sondern auch schon mal nach dem Ausweis. Und in dem fehlen die nötigen Stempel.

Die ansonsten eher solide Unternehmerin Holzer schmiedet jetzt verwegene Pläne, um ihrer Kinderfrau zu den ersehnten Papieren zu verhelfen. „Wir überlegen, wie man eine Heirat für Amela ,türken‘ könnte. In diesem Staat kommt man anders offenbar nicht weiter.“

Mit ihrem Versuch, die Tagesmutter legal anzustellen, ist Marianne allerdings eine Ausnahme. „Wir konnten uns gar nicht leisten, Sandra fest zu beschäftigen“, bedauert Anna Homann. Die Homanns verdienen mit freiberuflichen Übersetzungsarbeiten eher kleine Brötchen. Da die Eltern verheiratet sind, landeten sie bei den bezirklichen Wartelisten für Kita- Plätze gleich auf den hinteren Rängen. Die einjährige Julia braucht dennoch eine Betreuung.

Über die Empfehlung einer Bekannten durch eine Bekannte stießen die Homanns auf Sandra. Die 30jährige Brasilianerin hatte in der Heimat Biologie studiert, aber keinen Job gefunden. Über Umwege war die Akademikerin nach Berlin, an eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gekommen.

„Julia und Sandra kamen prima miteinander aus“, schwärmt Anna noch heute. Julia plapperte bereits die ersten Silben Portugiesisch. Sandra war einfühlsam, aber intellektuell völlig unterfordert. Für die 10 Mark Stundenlohn hätten die Homanns wohl kaum eine deutsche Betreuerin, und schon gar keine Akademikerin, gefunden – für das Ehepaar aber war es dennoch viel Geld.

„Mehr war einfach nicht drin“, rechnet die 34jährige Übersetzerin vor. Die 1.000 Mark im Monat mußten vom hartverdienten, versteuerten Honorar abgezweigt werden. „Wenn ich dann höre, daß Eltern demonstrieren gehen, nur weil ihnen der Kita-Platz für 200 Mark im Monat zu teuer ist, kann ich nur lachen“, so Anna bitter.

Sandra korrekt anzustellen und zu versichern hätte noch mal zumindest die Hälfte mehr gekostet. Und genau dies erwies sich als unüberwindliches Hindernis. Denn eine Festanstellung wäre vonnöten gewesen, damit Sandra ihre Tochter aus Brasilien hätte nachholen können. Eines Morgens kam dann der befürchtete Anruf: Sandra hatte einen Job gefunden, legal, mit Sozialversicherung – in einem Schnellimbiß. Jetzt sind die Homanns erneut auf der Suche.

„Am liebsten würden wir wieder eine Ausländerin beschäftigen, die sind irgendwie warmherziger“, sagt Anna heute. Das Klischee von den warmherzigen dunkelhäutigen Ammen spukt bei vielen deutschen Müttern im Kopf herum, selbst wenn es sich bei den Betreuerinnen um arbeitslose Akademikerinnen handelt.

Brigitte Mayer ist da schon abgeklärt: „Multikulti-Erziehung kann auch ein paar Probleme bringen“, sagt die 37jährige Redaktionsassistentin. Zu Beginn schien es, als hätten sie und ihr Mann Joachim in der 21jährigen Türkin Sibel eine ideale Betreuung gefunden. Joachim Mayer war auf die rettende Idee verfallen, als Sibels Mann Yusman die Wohnung des Ehepaars renovierte – schwarz natürlich – und dabei von seiner schwangeren Frau erzählte. Auch Brigitte Mayer erwartete damals ihr erstes Kind.

„Bei mir klickte es gleich“, schildert Joachim Mayer. Während eines feierlichen gemeinsamen Essens wurden sich die Ehepaare handelseinig – Sibel sollte außer ihrem Sohn Ali die kleine Verena mitbetreuen. „Für mich war es eine gute Lösung, sonst hätte ich ja nur putzen gehen können. Und mit Kind wäre selbst das nicht möglich gewesen“, erzählt Sibel. Die junge Frau hat keine Ausbildung und auch keine Arbeitserlaubnis für Deutschland.

Seit zwei Jahren kommt sie jetzt schon zu Mayers, vier Tage in der Woche. Das bikulturelle Babysitting hat seine romantischen Seiten. Verena und Ali toben gemeinsam im Garten des Reihenhäuschens. Die Kleine flucht inzwischen auf türkisch, was praktisch ist, denn die deutschen Nachbarn verstehen nichts. Sibel ist abergläubisch: Brigitte hat sich daran gewöhnt, daß eine hektische Suche ausbricht, wenn der kleine Ali sein Amulett gegen den bösen Blick verloren hat. Beim Frühstück kommen die chinesischen Teller mit den furchteinflößenden Drachen nicht mehr auf den Tisch, und Schweinefleisch gibt es schon längst nicht mehr bei den Mayers.

Früher kniete Sibel noch mehrmals täglich auf dem mitgebrachten Teppich und verneigte sich gen Mekka, um ihre Gebete zu murmeln. Aber das ist vorbei. Auch Sibel hat sich ein wenig akkulturiert. Und damit begannen die Probleme: „Immer wenn ich mit Yusman Streit habe, behauptet er jetzt, ich sei durch die Arbeit so anders geworden, irgendwie frecher“, berichtet Sibel. Zweimal rief der Ehemann schon bei den Mayers an: „Sibel kommt nicht mehr, sucht euch eine andere.“ Eine Zeitbombe für ein berufstätiges Ehepaar.

Für beide Familien aber ist die Zusammenarbeit letztlich zu vorteilhaft, um aufzugeben. 10 Mark die Stunde, 1.500 Mark im Monat bringt Sibel nach Hause. Und auch Brigitte profitiert: „Ohne diese Schwarzarbeit bräche die ganze Konstruktion hier doch zusammen.“ Denn bei Brigittes 2.000 Mark Nettolohn wäre eine legale Kinderfrau mit Sozialabgaben „das totale Minusgeschäft“. „Solche Arbeitsverhältnisse sind irgendwie ein Glücksspiel“, hat sie sich abgefunden, „eine wirkliche Sicherheit hast du nie.“

Das mußte auch Monika Billenberger erfahren. Als die freiberufliche Malerin mit Mann und zwei Kindern aus dem Urlaub zurückkehrte, fand sie eine lakonische Nachricht auf dem Anrufbeantworter vor: die rumänische Tagesmutter Milva hatte sich kurzerhand verabschiedet. Nach einem viertel Jahr Babysitting hängt der sechs Monate alte Benjamin jetzt wieder den ganzen Tag nur an ihr.

„Für manche ist es halt doch ein Job, ex und hopp“, klagt die Malerin. Wenn das illegale Arbeitsverhältnis zerbricht, verflüchtigen sich die romantischen Ideen einer bikulturellen Überlebensgemeinschaft. „Es ist halt nicht wie mit richtigem Arbeitsvertrag. Kein Versicherungsschutz, keine Kündigungsfristen, nichts“, so Monika.

Dabei hatte es mit Milva genauso angefangen wie bei tausend anderen ausländischen Babysittern auch. Die 26jährige Rumänin hatte in Bukarest ihr Diplom in Chemie gemacht, aber keinen annehmbar bezahlten Job gefunden. Mit einem befristeten Aufenthaltsvisum war sie nach Berlin gekommen. „Die 10 Mark in der Stunde hier waren mehr, als sie in Bukarest in ihrem Beruf verdienen konnte“, versichert Monika. Aber auch nicht genug, um Milva längerfristig zu halten. Zudem ist Babysitting für Akademikerinnen auch nicht gerade der Traumjob im gelobten Deutschland.

Monika Billenberger betrachtet diesen Schwarzmarkt inzwischen nur noch als Notbehelf. „Es ist eine Allianz der Schwachen. Da müssen sich schlecht bezahlte berufstätige Mütter, die keinen annehmbaren Krippenplatz oder eine erträgliche offizielle Tagespflegestelle finden, zusammentun mit Frauen, die in ihrer Heimat, aber auch hier in Deutschland keine anderen Chancen haben. Diese Schwarzarbeit mag irgendwie progressiv nach Selbsthilfe klingen. In Wirklichkeit aber sind doch die Mütter und die Kinderfrauen gleichermaßen gearscht.“

* Namen v. der Redaktion geändert