Kleine Revolution am Arbeitsmarkt

■ Debatte über „zweiten Arbeitsmarkt“: Das „Schmuddelkind“ soll aufgepäppelt werden

Berlin (taz) – Nicht für passive Arbeitslosigkeit darf der Staat Geld ausgeben, sondern er soll es besser in „gesellschaftlich notwendige Arbeit investieren“. Die das gestern bei einem „Kongreß zur Reform des Arbeitsförderungsgesetzes“ (AFG) forderte, war die sozialdemokratische Arbeitssenatorin Berlins, Christine Bergmann. Was sie will, ist nichts weniger als eine kleine marktwirtschaftliche Revolution: „Das Schmuddelkind zweiter Arbeitsmarkt“ soll aufgepäppelt werden und dem ersten hin und wieder sogar Konkurrenz machen dürfen. „Mindestens 50 Prozent“ der 104 Milliarden Mark, die die Bundesanstalt für Arbeit jährlich für Arbeitslose ausgibt, sollen dafür verwendet werden.

„Wir hätten das Geld viel besser nutzen können“, meinte die Senatorin. Wie das gehen soll, formulierte sie zusammen mit einer Wissenschaftlergruppe in einer „Initiative für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor“ – den zweiten Arbeitsmarkt. Arbeitslose und ABMler sollen demnach weder mit Arbeitsverbot herumsitzen noch beschäftigungstherapeutische Trockenübungen veranstalten – sie sollen arbeiten. Geschehen soll dies in sogenannten Sozial- und Arbeitsförderbetrieben. Fünf dieser Sozialbetriebe nehmen noch dieses Jahr in Berlin ihre Arbeit auf. Ihre Besonderheit ist: Sie erzielen Einnahmen, obwohl sie staatlich subventioniert sind, und sie decken Arbeitsfelder ab, die die private Wirtschaft links liegenläßt. Dazu gehören etwa unrentable soziale Dienstleistungen, sogenannte Wohnumfeldverbesserungen in Städten oder allerlei ökologische Umgestaltungen.

Des Beifalls der 750 Kongreß- teilnehmerInnen konnte sich Bergmann mit ihrem Vorschlag meist sicher sein. „Die Opfer der wirtschaftlichen Krise werden zu Tätern abgestempelt“, charakterisierte etwa Friedhelm Hengsbach vom Nell-Breuning-Institut in Frankfurt die erneuten Bonner Sozialkürzungen. Nach dem „politisch übergreifenden Konsens“ des Vorschlages befragt, meinte einer der Wissenschaftler: Klar müsse allen sein, „daß es einen stabilen Sockel Langzeitarbeitsloser geben wird“. Mittlerweile wird in absoluten Zahlen von sechs Millionen Arbeitslosen und von bis zu 20 Prozent gesprochen. Die Gegenposition lautete: Allein Aufträge an die Privatwirtschaft, aber nicht ein zweiter Arbeitsmarkt könne Arbeitslosigkeit bekämpfen. So sagte es Klaus-Werner Schatz vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel, und das Publikum wurde unruhig. Senatorin Bergmann brauste auf: „Aber wir haben ihn doch schon, den zweiten Arbeitsmarkt. Wir geben so viel Geld dafür aus, dann laßt es uns doch vernünftig tun!“

Die heikelste der Fragen hätte von Joseph Schumpeter selbst kommen können, dem Erfinder des „tatkräftigen Unternehmers“: Wer sind die „Arbeitgeber“, wer leitet die Sozialbetriebe? Das sind Figuren, die aus den Biotopen der Kreuzberger und Prenzlberger Projektszene kommen. Auch so alerte Typen wie der Berliner Arbeitsstaatssekretär Peter Haupt haben mittlerweile keine Berührungsängste mehr mit ihnen: Sie brächten reichlich soziale Erfahrung mit, die mit betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten gepaart werden müsse, meinte er. „Sozialmanager“ nannte sie Haupt. Sozialpädagogen, die Kostenrechnung und Marketing draufhaben.

Das Personal der Sozialbetriebe kommt aus den, wie sie im Arbeitsamtsjargon heißen, „beschäftigungspolitischen Problemgruppen“. Dazu zählen Frauen, vor allem ältere, junge Ungelernte, Ausländer, Behinderte. Ihre Brötchen verdienen sie mit einem Lohn, der sich oft aus vielen Töpfen speist: ABM, dem bisher nur im Osten angewandten Lohnkostenzuschuß (§ 249 h AFG), Kofinanzierungen der Länder – und dem, was der Sozialbetrieb selbst umsetzt. Das dürfe aber nicht der Tariflohn des ersten Arbeitsmarktes sein, forderte ein Mann, den die Veranstalter unbedingt dabeihaben wollten: Josef Siegers von der Bundesvereingung der Arbeitgeberverbände verlangte, die ABM-Löhne um bis zu fünfzehn Prozent zu kappen. Christian Füller