Spedition Kohl rechnet noch schön

Kabinettsberatung über Regierungsumzug auf Oktober vertagt / Verrechnungstricks mit Haken und Ösen: Bonn-Fan Waigel rechnet hoch, Berlin-Fan Irmgard Schwaetzer klammert aus  ■ Aus Bonn Hasso Suliak

Eins hat das IOC jedenfalls dem Bundeskabinett voraus: es hält seine Termine ein. Dem Berliner Bären wurden die olympischen Ringe am 23. September pünktlich weggeschnappt. Das Kabinett wollte heute über die Kosten des Umzugskonzepts der Regierung nach Berlin, nein, nicht entscheiden, nur beraten; aber selbst das klappte nicht. Vermuteter Grund für die Absage: Dem Bundesinnenministerium erschien eine geschätzte Kostenhöhe von etwa 25 Milliarden Mark als „zu hoch“. Auch eine gestrige Koalitionsrunde bei Bundeskanzler Kohl führte zu keiner neuen Entscheidung. Regierungssprecher Vogel ließ lediglich verlauten, daß vom Bundesfinanzministerium „in der nächsten Zeit eine konkretere Kostenschätzung“ erarbeitet werden soll, über die dann „die Koalitionsfraktionen beraten würden“. Insider rechnen damit frühestens „Ende Oktober“.

Was allerdings unter einer „konkreten“ Berechnung für die Umzugskosten zu verstehen ist, darüber scheiden sich schon seit langem die Geister. So werden in Bonn mittlerweile Kostenschätzungen unterschiedlichster Größenordnung für den Regierungsumzug aufgestellt; entsprechend der Zugehörigkeit zum jeweiligen Lager – pro oder kontra Berlin – fallen diese mal höher, mal niedriger aus. So betragen nach letzten Berechnungen des Bundesbauministeriums die reinen baulichen Investitionskosten (Preisstand: März 1993) für die Hochbaumaßnahmen des Bundes in Berlin 9,28 Milliarden Mark, wenn der Umzug bis 1998 erfolgen soll; 8,24 Milliarden müßten investiert werden, wenn im Jahre 2002 umgezogen würde. Dagegen beäugt die Pro-Bonn- Fraktion diese Zahlen mit Skepsis. Schon bei seiner Olympiabewerbung, heißt es am Rhein, habe Berlin regelrecht „mit gezinkten Karten“ gespielt. Nach Ansicht der Bonner klammere Berlin-Befürworterin Irmgard Schwaetzer („lieber 12.000 Beamte für immer als 15.000 Sportler für zwei Wochen“) bei ihren Berechnungen sämtliche Nebenkosten für die Hochbaumaßnahmen des Bundes in Berlin aus. Außerdem verschweige der Bericht neben den Kosten für Verkehrs- und Wohnungsbaumaßnahmen vor allem Ausgleichsmaßnahmen für Bonn.

Offenbar hoffen die Berlin-Befürworter nach der verpatzten Olympiabewerbung jetzt auf eine Art Mitleidsbonus. „Mit Volldampf“, so Wirtschaftsminister Rexrodt, und „rechtzeitig bis 1998“ (Berlins OB Diepgen) müsse der Umzug an die Spree durchgesetzt werden. Auch SPD- Vize Wolfgang Thierse will „jetzt die Enttäuschung für Berlin produktiv machen“. Nach einer letzten ZDF-Politbarometer-Umfrage plädieren allerdings lediglich 26 Prozent der Bevölkerung für einen schnellen Umzug. Unter ihnen vor allem auch CDU/CSU-Fraktionschef Schäuble, der den Bonn-Befürwortern schon seit langem ein Dorn im Auge ist. Nicht ohne Grund: Die ursprünglich für heute vorgesehene Kostenvorlage an das Kabinett war mit zwei zusätzlichen Fragekatalogen versehen. Einer davon stammte von zwei CDU- MdBs aus dem Rhein-Sieg-Kreis, die wissen wollten, wie teuer die Ausgleichsmaßnahmen für die Region Bonn sein sollen. Schäuble dagegen erkundigte sich nur nach den Kosten einiger Baumaßnahmen und Grundstückskäufe in Berlin.

Bei den Bonn-Befürwortern herrscht daher verstärkt Anlaß zur Sorge, daß die Kosten auf politischen Druck hin „schöngerechnet“ werden. Möglicherweise nicht zu Unrecht. Nach Informationen des Bonner General-Anzeigers hat der Leiter des Arbeitsstabes Berlin/ Bonn, Staatssekretär Franz Kroppenstedt aus dem Innenministerium, der Waigelschen 25-Milliarden-Kalkulation schlichtweg eine Absage erteilt und jetzt einen neuen Bericht angefordert, um die Öffentlichkeit nicht zu schockieren. Davon wollte man im Innenministerium gestern nichts wissen: „Es gibt keinen Bericht des Finanzministeriums.“ Auch im Hause Waigel hält man sich offenbar bedeckt. „Wir haben keine Zahlen“, meinte Pressereferentin Holdermann. Wann also nun tatsächlich umgezogen wird, ob 1998 oder 2002, ob in Provisorien oder in Neubauten und zu welchem Preis, weiß zur Zeit so recht noch niemand. Eine Version jedenfalls, die noch bis vor wenigen Tagen in Bonn für glaubhaft gehalten wurde, ist endgültig vom Tisch: Die Regierungsbeamten werden nicht im olympischen Dorf untergebracht werden.