Durch den Schornstein geblasen

■ betr.: „Lichtung im Nebel“, taz vom 22.9.93

Frau Bruns argumentiert angesichts der umstrittenen Finanzierung der Pflegeversicherung: „Schon das schlichte ökonomische Argument der galoppierenden Lohnnebenkosten hat einiges für sich.“ [...]

Unerheblich scheint mir hierbei, ob und wie die Pflegeversicherung letztendlich finanziert wird. Darüber kann und soll man meinetwegen streiten, wenn auch bitte mit anderen Argumenten. Erheblich ist hingegen, daß Frau Bruns sich nicht scheut, sich diese konservative Propaganda der Restauration selbst anzueignen. Möglicherweise hat sie ja recht, wenn sie davon ausgeht, daß es ohne die Aufgabe mancher Besitzstände künftig keine Pflegeversicherung und keine andersartige soziale Absicherung geben wird. Die Frage ist nur, welche und wessen Besitzstände zuerst aufgegeben werden sollten. Die der sozial Schwachen, der sogenannten abhängigen Erwerbstätigen?

Zudem ist die Argumentation mit den „galoppierenden“ Lohnnebenkosten seit jeher fadenscheinig. Erstens kann die BRD niemals mit Staaten, in denen die Nebenkosten wesentlich geringer sind, konkurrieren, sofern man ein Interesse an einer für ein derart reiches Land angemessenen sozialen Versorgung hat. Zweitens werden schließlich auch die hohen Nebenkosten nicht einfach durch den Schornstein geblasen, sondern finanzieren ganze zum Teil sehr arbeits(platz)intensive Branchen (etwa die Gesundheitsversorgung und vielleicht künftig die Altenpflege). Drittens ist auch der „soziale Friede“ (z.B. mit nur wenigen, meist kurzen Streiks) als Resultat einer recht guten allgemeinen Absicherung ein ökonomischer Faktor.

Ich bin enttäuscht, wenn Frau Bruns sich in dieser Frage zum Bundesgenossen etwa von BDI- Präsident Tyll Necker macht. Offenbar hat dieser recht mit seiner Ahnung: „Wir müssen die Krise jetzt nutzen, denn jetzt sind die Menschen reif.“ Schade, daß scheinbar auch die taz inzwischen derart reif ist. Robert Erlinghagen, Bonn