■ Vorlauf
: Ohne Anteilnahme

„Menschen hautnah“, 22.50 Uhr, West 3

Nahaufnahme: Auf dem Joghurtbecher sitzen Scharen von Fliegen, das spärlich eingerichtete Zimmer wirkt vernachlässigt, heruntergekommen. Eine Tote wird erst nach Wochen zufällig in ihrer Wohnung entdeckt. Per Schnell macht sich in dem Dokumentarfilm „Magdalena S., eine Tote, die niemand vermißt“ auf Spurensuche. Anhand eines Kartons mit Bildern und wenigen Briefen versucht er, das Leben der Toten zu rekonstruieren. Ein kleinteiliges Puzzle mit fehlenden Teilen. Mit Hilfe der Fotos sucht und findet er Kollegen und Kneipenbekannte. Sie erzählen Bruchstücke aus dem Leben der Toten und vermitteln Schattierungen ihrer Persönlichkeit. Heraus kommt das fragmentarische Bild eines Lebens, so trist wie sein Ende.

Schon früh kommt Magdalena S. ins katholische Waisenhaus und verdingt sich später als Wasch- und Bügelfrau. Lediglich in der Kneipe nebenan findet sie oberflächlichen Kontakt. Beschränkte Begegnung im öffentlichen Raum als Schutz vor zuviel Nähe. Nachbarn und Bekannte zeigen sich von den Umständen des Todes schockiert. Doch ihr Grab sucht keiner auf. Endstation dieses reduzierten Lebens war die absolute Isolation. Per Schnell führt die Stränge dieses einsamen Lebens zum unlösbaren Knoten der gestörten Kindheit zurück. Eine frühe Vereinsamung, aus der es keinen erfolgreichen Ausbruch gab. Sein Film beschreibt aber auch die verkrusteten gesellschaftlichen Strukturen, die den einzelnen leicht ins isolierte Abseits driften lassen. Wo emotionale Beziehungen und persönliche Bindungen nie erfahren wurden, wo der Kontext der Familie aufgelöst ist, droht der Absturz ins kalte Nichts.

Per Schnells Film ist ein schockierendes Dokument der absoluten Anonymität. Ohne Effekthascherei, dafür mit stillen Details und sorgfältiger Recherche beschreibt er die alltägliche Gleichgültigkeit. Das Schicksal einer seelisch Verkrüppelten, für die es kein soziales Netz gab. Die einzige gesellschaftliche Zuwendung, die sie im nachhinhein erfährt, ist die Bestattung im schlichten Reihengrab nach dem Sozialhilfegesetz. Edith Kresta