Die Geschichte eines politischen Wunders

Der geheime Weg zum Frieden zwischen Israel und den Palästinensern führte über Oslo. Ein norwegischer Sozialwissenschaftler bereitete den Weg für den Handschlag zwischen Jitzhak Rabin und Jassir Arafat  ■ Von Khalil Abied

Der norwegische Akademiker Terje Rod-Larsen wäre wahrscheinlich nie auf den Gedanken gekommen, daß seine Bemühungen in einer Art politischem Wunder enden würden: dem Handschlag zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin und dem Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Jassir Arafat, am 13 September in Washington.

Rod-Larsen ist Chef des norwegischen „Instituts für angewandte Sozialforschung“ (FAFO). Die Mitarbeiter der unabhängigen Forschungseinrichtung widmeten sich in den letzten Jahren den Lebensverhältnissen der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten. Während seiner Arbeit in Israel, dem Gaza-Streifen und der Westbank lernte Larsen zahlreiche Entscheidungsträger der beiden verfeindeten Seiten kennen. Sowohl Israelis als auch Palästinenser entwickelten ein Vertrauensverhältnis zu dem Norweger. Unter ihnen war auch Jossi Beilin. Der frühere Sekretär des heutigen israelischen Außenministers Schimon Peres wurde nach dem Wahlsieg der Arbeiterpartei im Juni 1992 zum stellvertretenden israelischen Außenminister ernannt.

Rod-Larsen, der mit der Verwaltungschefin des norwegischen Außenministeriums, Mona Juul, verheiratet ist, machte Beilin Ende 1992 einen brisanten Vorschlag. Der Israeli solle auf geheimem Wege Kontakte zu der in seinem Land als „Terrororganisation“ eingestuften Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) aufnehmen. Er, Larsen, könne die entsprechenden Verbindungen auf diskrete Weise herstellen. Beilins erste Reaktion ließ sich weder als eindeutiges „Ja“ noch als „Nein“ interpretieren. Sein Zögern war verständlich, denn zu jenem Zeitpunkt waren in Israel Kontakte zur PLO streng verboten. Ein Bekanntwerden entsprechender Aktivitäten hätte für Beilin mindestens das politische Aus bedeutet.

Beilin entschloß sich jedoch zu einem Schritt, der — wie sich später herausstellte — die Tür zu jenen Verhandlungen aufstieß, die inzwischen die „Oslo-Connection“ genannt werden. Er stellte Larsen seinem Jugendfreund Jair Hirschfeld vor. Dieser lehrte mittlerweile als Experte für Geschichte des Nahen Ostens an der Universität von Haifa und war Mitglied der israelischen Arbeiterpartei. Seine politische Forderung, die PLO als Vertretung der Palästinenser anzuerkennen und die Gründung eines palästinensischen Staates zuzulassen, hatte ihm in der Partei den Ruf der linken „Taube“ eingebracht. Hirschfeld unterhielt gute Kontakte zu Faisal Husseini und Hanan Aschrawi, den Wortführern der palästinensischen Verhandlungsdelegation bei den im Oktober 1991 in Madrid eingeleiteten Nahostgesprächen.

Bereits im Jahr 1991 hatte Rod- Larsen einen hohen Funktionär der PLO kennengelernt. In Oslo war ihm Ahmad Koreih vorgestellt worden. Der unter Palästinensern als Abu Ala (Vater der Erhabenheit) bekannte Funktionär war in der PLO für den Bereich Wirtschaft und Finanzen zuständig. Für die Friedensgespräche wurde er von der PLO-Führung als Leiter der Delegation für die multilateralen Gespräche bestimmt. Gemeinsam mit den in seinem Büro im PLO-Hauptquartier in Tunis tätigen Experten hatte er eine Studie über die wirtschaftlichen Konsequenzen und Vorteile eines Friedens im Nahen Osten erstellt. Diese wurde an die Regierungen der EG-Staaten weitergeleitet und dort mit großem Interesse aufgenommen. Auf diesem Umweg über Europa gelangte die Studie auch auf die Schreibtische einiger israelischer Minister und Politiker der Arbeiterpartei. Auch diese befanden sie für interessant, zumal die Analyse in einigen Punkten eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Programmen der Arbeiterpartei aufwies.

Irgendwann im Dezember 1992 klingelte in der Londoner Wohnung von Jair Hirschfelds Bruder das Telefon. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine Stimme, die englisch mit arabischem Akzent sprach und ein Treffen zwischen Jair Hirschfeld und Abu Ala vorschlug. Kurze Zeit später standen sich beide in der norwegischen Hauptstadt gegenüber. Die anfänglich gespannte Atmosphäre wich im Verlauf mehrerer Treffen einer sich langsam einstellenden Vertrautheit. Nach jeder dieser Zusammenkünfte erstattete Abu Ala dem PLO-Chef Jassir Arafat Bericht über die Vorschläge Hirschfelds. Höchstwahrscheinlich informierte Hirschfeld wiederum Schimon Peres.

Die Kontakte wurden sowohl in Israel als auch innerhalb der PLO mit größter Geheimhaltung behandelt. Neben Abu Ala und Arafat wußte nur noch ein Mitglied der PLO-Führung davon. Später wurden noch einige Personen informiert, die innerhalb der Organisation als Arafats „politische Küche“ gehandelt werden. In Israel war nur der engste Kreis um Außenminister Schimon Peres informiert.

Im Auftrag von Peres schlug Hirschfeld Abu Ala vor, die Gespräche auf eine größere Gruppe von Personen auszudehnen und so den Geheimkontakten einen offizielleren Charakter zu geben. Nachdem Abu Ala seinem Chef Arafat das israelische Angebot geschildert hatte, sagte dieser nach kurzem Nachdenken: „Warum eigentlich nicht? Laß es uns probieren.“ Bei einem Treffen im Januar 1993 bekam Hirschfeld von Abu Ala diese Entscheidung übermittelt. Damit stand die „Oslo-Connection“. Innerhalb von acht Monaten kamen daraufhin Israelis und Palästinenser zu insgesamt 14 Gesprächsrunden zusammen. Diese dauerten jeweils zwischen zwei und drei Tagen. Die Orte wechselten. Unter anderem traf man sich in einem luxuriös eingerichteten Holzhaus aus dem 19. Jahrhundert im norwegischen Wald, einem Fünfsternehotel in Oslo und dem Privathaus des norwegischen Außenminister Johan Jørgen Holst. In letzterem kam Holsts vierjährigem Sohn Edward eine wichtige Vermittlerrolle zu. Mehrfach gelang es ihm, die wegen der festgefahrenen Verhandlungen mürrischen Gesprächspartner aufzuheitern und so die Unterredung in konstruktive Bahnen zu lenken.

Zu den Gesprächsgruppen in Norwegen gehörte auf israelischer Seite auch der Universitätsprofessor Ron Pundak und bei den Palästinensern Hassan Asfour. Letzterer ist Assistent von Abu Masen, einem Mitglied des PLO-Exekutivkomitees und des Zentralrats der größten PLO-Fraktion Fatah. Abu Masen leitet in der PLO die Abteilung für innerarabische Beziehungen. Die ihm seit Jahren nachgesagten Geheimkontakte zu verschiedenen israelischen Gruppen brachten ihm PLO-intern den Spitznamen „Jüdische Agentur“ ein. Seit Jahren war er bemüht, geheime Verbindungen zu den verschiedenen israelischen Regierungen zu knüpfen, die aber allesamt gescheitert waren. Vor allem über die frühere Sowjetunion und später über die russische Regierung hatte er versucht, solche Kontakte in die Wege zu leiten. Sowjets wie Russen lehnten sein Ansinnen jedoch mit der Begründung ab, sie wollten die Regierung in Washington nicht brüskieren. Entsprechend zufrieden war Abu Masen darüber, bei den Gesprächen in Norwegen mit Hassan Asfour einen eigenen Mann am Verhandlungstisch sitzen zu haben.

Asfour ist Mitglied des Zentralkomitees der palästinensischen Volkspartei, der früheren Kommunisten. Dennoch verlor er selbst gegenüber hochrangigen Parteigenossen kein Sterbenswörtchen über seine Reisen nach Norwegen. Als seine Rolle Ende August 1993 bekannt wurde, rügte ihn seine Partei dafür jedoch nicht etwa, sondern behandelte seine Geheimniskrämerei mit Verständnis. Die Volkspartei gehört zu den — wenn auch kritischen — Befürwortern des in Norwegen ausgehandelten „Gaza-Jericho-Abkommens“.

Zu Beginn der Gespräche erklärten die Israelis in Norwegen, daß sie keinen offiziellen Regierungsauftrag hätten und mit den Palästinensern nur informell die Positionen der PLO erörtern wollten. Die palästinensische Delegation ignorierte diese Bemerkung, wohl wissend, daß ihre Gegenüber mit Rückendeckung aus Jerusalem angereist waren. Jahrelang waren palästinensisch-israelische Gespräche blockiert gewesen, weil man sich nicht auf eine offizielle Formel hatte einigen können, wer in wessen Auftrag und mit wessen Mandat verhandelte. Daher beschlossen die Palästinenser, Provokationen zu vermeiden und den Israelis ein klares Signal zu schicken: Man sei bereit, sachlich über eine Lösung des Konflikts zu verhandeln, vorausgesetzt, beide Seiten zeigten sich bereit, Konzessionen zu machen.

Die norwegischen Gastgeber bemühten sich um ein der Kompromißfindung förderliches Ambiente. Israelis und Palästinensern wurde am gemeinsamen Tisch delikates Gazellenfleisch aufgetischt und dazu teurer, aber versöhnlich stimmender Cognac eingeschenkt. Hirschfeld beklagte sich später, er habe im Verlauf der Gespräche zwanzig Kilo an Gewicht zugenommen und müsse nun strenge Diät halten.

Doch trotz der idealen atmosphärischen Gegebenheiten kam es im Verlauf der 14 Runden immer wieder zu Situationen, in denen nichts mehr ging. Die Verhandlungspartner rannten wütend in ihre Schlafräume und knallten die Türen hinter sich zu. Der Norweger Holst hatte dann die schwere Aufgabe, als Pendeldiplomat zwischen den verschiedenen Gemächern zu vermitteln. An solchen Tagen waren die Telefonleitungen zwischen Oslo, Tunis und Jerusalem häufig stundenlang besetzt, weil sich beide Delegationen mit ihren Auftraggebern beraten mußten.

Von Gesprächsrunde zu Gesprächsrunde wurde deutlicher, daß, um zu Ergebnissen zu kommen, die israelischen Verhandlungspartner einen klaren Auftrag der israelischen Regierung bekommen mußten. Dazu sollten israelische Politiker direkt an den Gesprächen teilnehmen. Anfang März 1993 schickte daher der israelische Außenminister Peres den Generaldirektor seines Ministeriums, Uri Savir, nach Oslo. Erst als dieser nach seiner Rückkehr berichtete, daß die Verhandlungen von seiten der PLO ernsthaft betrieben würden, informierte Peres den israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin von den Vorgängen in Oslo. Bisher hatte Peres seinen Erzrivalen in der Arbeiterpartei außen vor gelassen, um sich dafür zu revanchieren, daß Rabin ihn von den offiziellen Nahostgesprächen in Washington ferngehalten hatte. Rabin hatte aber bereits über den israelischen Geheimdienst von der Sache Wind bekommen. Denn der Mossad bemühte sich parallel zu den Gesprächen in Oslo um eigene PLO-Kontakte. Der Ministerpräsident reagierte skeptisch. Angesichts der seit zwanzig Monaten blockierten offiziellen Nahostgespräche in Washington stimmte er aber zu, die Verhandlungen in Oslo mit seiner ausdrücklichen Billigung weiterzuführen.

Die Gespräche wurden mit dieser israelischen Aufwertung wichtiger, aber auch schwieriger. Da sich beide Seiten nun bewußt waren, tatsächlich auf ein Ergebnis hinzuarbeiten, wollten sie jede Einzelheit und jedes Detail ausdiskutieren. In einem von norwegischen Sicherheitskräften streng bewachten Haus verhandelten die Delegationen häufig bis tief in die Nacht. Als sich Nachbarn beunruhigt erkundigten, was sich dort zu nächtlicher Stunde abspiele, bekamen sie von Polizisten die Antwort: „Das sind Wissenschaftler, die an einem Buch über den Nahen Osten arbeiten.“

Die Idee einer Teilautonomie für den Gaza-Streifen und die in der Westbank gelegene Stadt Jericho wurde von den PLO-Vertretern auf den Tisch gelegt. Die Israelis reagierten zuerst erstaunt, aber ablehnend auf den Vorschlag. Die Palästinenser wiesen darauf hin, daß der israelische Außenminister wenige Wochen zuvor offiziell angeboten hatte, den Gaza- Streifen zurückzugeben. Die PLO hatte damals den Vorschlag abgelehnt, weil er Arafat unter Palästinensern den Vorwurf eingebracht hätte, „die Westbank für den Gaza-Streifen zu verkaufen“. Wollte man nun eine Blamage des PLO- Chefs vermeiden, müsse man ihm schon einen „kleinen Finger der ganzen Hand“ Westbank geben. Nach heftigen Diskussionen stimmten die Israelis schließlich zu. Widerwillig akzeptierten sie auch die Forderung der PLO, die israelische Militärverwaltung in den beiden Gebieten aufzulösen. Ursprünglich wollten sie nur ihre zivile Administration im Gaza-Streifen und in Jericho aufgeben. Die Palästinenser erhandelten sich diese Zusage mit dem Versprechen, Gespräche über die Zukunft der israelischen Siedler und die Frage Jerusalems bis in das israelische Wahljahr 1996 aufzuschieben.

Am 19. August 1993 fand die letzte Verhandlungsrunde statt. Die Israelis drängten darauf, alle strittigen Fragen noch in der Nacht zu entscheiden. Außenminister Peres befand sich gerade auf einer Skandinavienreise und wollte das Abkommen am nächsten Tag in Oslo persönlich in Empfang nehmen. Am frühen Morgen des 20. August unterschrieben Abu Ala für die PLO und Uri Savir für die israelische Regierung die Vereinbarungen. Wenig später reiste der israelische Außenminister zurück nach Jerusalem. In seiner Tache befand sich jenes Papier, das den historischen Handschlag zwischen Arafat und Rabin am 13. September vor dem Weißen Haus in Washington möglich machte.

Das in Oslo unterzeichnete Abkommen läßt beiden Seiten großen Spielraum für eigene Interpretationen. Rabin konnte vor dem israelischen Parlament behaupten, mit der Vereinbarung die Gründung eines palästinensischen Staates verhindert zu haben. Arafat dagegen erklärte die in Oslo ausgehandelte Teilautonomie für den Gaza-Streifen und Jericho zur Keimzelle eines Staates Palästina.