■ Soll die BRD Mitglied des UNO-Sicherheitsrats werden?: Besser draußen vor der Tür
Vornehm zurückhaltend und unter zielsicherer Verwendung des neuen bundesrepublikanischen Lieblings-Ideologems hat Außenminister Kinkel vor dem Rostrum der UNO-Vollversammlung gestern erklärt, Deutschland sei bereit, „Verantwortung zu übernehmen“ – als ein eventuelles neues Mitglied des UNO-Sicherheitsrates.
Gegen diese Kandidatur wird man eins schlecht ins Feld führen können: daß die UNO auf den Trümmern der faschistischen Reiche errichtet wurde und gegen deren Wiederaufleben ausdrücklich („Feindstaatenklausel“) Vorsorge getroffen hat. Weshalb die Weltgemeinschaft von den Deutschen erwarte, sich gerade ihrer historischen Verantwortung wegen einer globalen Führungsrolle zu enthalten. Dem wäre zu entgegnen, daß, anders als in der Diskussion der deutschen Linken, auf der Ebene der UNO die mit dem angeblichen historischen deutschen „Sonderweg“ gegebenen Gefahrenpotentiale keine Rolle mehr spielen. Akzeptiert man die Konstruktion des Sicherheitsrates, die, in scharfer Abgrenzung vom Völkerbund, gerade die mächtigsten Staaten zu einem Exekutivorgan formieren wollte, ist eigentlich nicht einzusehen, warum der Bundesrepublik als bedeutender Wirtschaftsmacht der Eintritt in dieses Gremium verwehrt bleiben sollte. Besser für alle, wenn sie zufrieden drinnen sind als unzufrieden draußen – so wird man die Haltung der meisten UNO-Mitglieder zu den Kandidaturen Deutschlands und Japans zusammenfassen können.
Wenn dennoch diese Kandidatur mit Nachdruck kritisiert und bekämpft werden muß, dann nicht im Namen der geltenden politischen und Organisationsprinzipien der UNO, sondern im Namen eines künftigen Prinzips, das durch eine grundlegende Reform zu verwirklichen wäre. Eine solche Reform hätte nicht an der Konstruktion der UNO-Exekutive „Sicherheitsrat“ zu rühren, sondern an deren einseitig die westlichen Industrienationen favorisierenden Zusammensetzung und am Vetorecht jedes einzelnen Mitglieds. Schon einmal, als es um die Nachfolge der Sowjetunion als Mitglied des Sicherheitsrates ging, wurde jede Diskussion über eine Reform des Gremiums dadurch verhindert, daß Rußland ohne Umstände als Rechtsnachfolger akklamiert wurde. Wenn Japan und Deutschland jetzt zu neuen Mitgliedern gewählt würden, wäre die notwendige Strukturreform, nicht nur des Sicherheitsrates, sondern der UNO- Gremien überhaupt, wieder auf unbestimmte Zeit vertagt. Offensichtlich ist es aber gerade diese Konsequenz, die der deutschen Regierung genehm ist. Diejenigen im Milieu der Sozialdemokraten bzw. des Bündnis 90/Die Grünen, die sich für das Projekt der UNO-Reform engagieren, sollten diesen Stand der Dinge realistisch zur Kenntnis nehmen – und getrost weiterarbeiten. Christian Semler
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