„Ostdeutsche Effizienzsteigerung unerreicht“

■ Ex-Wessi Michael Merkel ist seit kurzem Referatsleiter im Leipziger Bürgermeisteramt

taz: Das Klagen über die Löcher in den kommunalen Kassen gewinnt im Westen fast täglich an Schärfe. Schwillt Ihnen als Ex- Wessi angesichts der Probleme im Osten bei den westdeutschen Klageliedern manchmal der Kamm?

Michael Merkel: Nein, so kann man das nicht sagen, denn auch die westdeutschen Kommunen stecken in schlimmen neuen Finanznöten. Vor allem deshalb, weil die Bundesregierung die Kosten des Solidarpaktes in erheblichem Umfang den westdeutschen Kommunen aufbürdet, obwohl sie durch rezessionsbedingte Steuermindereinnahmen gebeutelt sind. Daß diese neuen Lasten jetzt so schwer zu verkraften sind, haben die westdeutschen Kommunen durch ihre zügellose Verschuldungspolitik in den vergangenen Jahren aber auch selbst mit zu verantworten. Sie haben, wie die gesamte westdeutsche Gesellschaft, seit Jahrzehnten immer einige Prozente über ihre Verhältnisse gelebt.

Ebbe weisen die Kassen in Ost und West auf. Wo liegt der wesentliche Unterschied?

Die eigenständige Finanzkraft der ostdeutschen Kommunen ist mit einer Steuerquote von zirka 11 Prozent gering entwickelt, so daß sie nahezu vollständig von den Finanzzuweisungen der Länder abhängen.

Die Länder bekommen das Geld aus dem Fonds Deutsche Einheit, den die westdeutschen Kommunen mitfinanzieren. Allein in Nordrhein-Westfalen steigt die Belastung der Kommunen für die Osthilfe in den nächsten drei Jahren um insgesamt rund acht Milliarden Mark. Die Stimmen mehren sich, die deshalb von den Ostkommunen weitere Sanierungsanstrengungen verlangen. Ein Vorwurf lautet, der städtische Apparat sei im Osten noch immer aufgebläht.

Es gibt im Westen keine Kommune, die vergleichbare Umstrukturierungs- und Einsparleistungen vorweisen könnte. Die Stadt Leipzig hat zum Beispiel ihre Mitarbeiterzahl von 23.000 im Jahr 1990 auf 14.000 im Jahr 1993 reduziert, ohne ihr Leistungsspektrum wesentlich verringert zu haben. Wir müssen gewiß weitere Einsparungen vornehmen, aber die bei uns erreichte Effizienzsteigerung wäre in keiner westdeutschen Stadt in einem vergleichbarem Zeitraum durchsetzbar. Da, wo wir im Osten heute noch einen höheren Personalbestand haben, erklärt sich die Differenz in erster Linie durch die unterschiedlichen Aufgaben. Während im Westen etwa die Kindergärten überwiegend von freien Trägern betrieben werden, sind hierfür im Osten fast ausschließlich die Städte zuständig. Wer also nur auf die Anzahl der Mitarbeiter abstellt, kommt zu vollkommen falschen Schlüssen. Wir werden zudem mit im Westen ersonnenen, völlig unsinnigen Vorschriften traktiert, die außer Ärger und Kosten nichts bringen. So dürfen, um eines der abtrusesten Beispiele zu nennen, die in vielen öffentlichen Gebäuden betriebenen Paternoster ab Januar 1994 nur noch unter besonderen Bedingungen genutzt werden. In Hunderten von Gebäuden sind deshalb Umbauten und neue Aufzüge erforderlich. Allein im Leipziger Rathaus würde uns die Umsetzung dieser Vorschrift einen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Eine typische Wohlstandsidiotie, ein Beispiel dafür, daß die Akteure in Bonn noch nicht im Hier und Jetzt angekommen sind.

Welche politischen Hindernisse plagen ostdeutsche Kommunen derzeit am meisten?

Das schwierigste Problem bildet nach wie vor die falsch gelöste, inzwischen irreparable Eigentumsproblematik. Das zweite wesentliche Problem sind die Altschulden für Wohnungs- und Gesellschaftsbauten, von denen wir nicht – wie vorgegaukelt – ernsthaft entlastet werden.

Was könnten die Westkommunen vom ostdeutschen Umbauprozeß lernen?

Flexibilität, Entscheidungsfreude, Lernfähigkeit und vor allem die Bereitschaft, parteipolitische Egoismen zugunsten von Sachentscheidungen zurückzustellen.

Interview: Walter Jakobs