Im Wendekreis der Jusos

Die Jungsozialisten stehen vor einer Zerreißprobe / Junge Sozialdemokraten wollen den Jugendverband der SPD „erobern“ und weg vom „sozialistischen Richtungsverband“  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Mainz (taz) – Er heißt Frank Moritz und ist der designierte große Vorsitzende einer Organisation der (nahen) Zukunft. Wie ein Feldherr steht der out-of-area- Mann Frank Moritz (25) im roten Polohemd mit dem Krokodil stolz vor einer riesigen Landkarte und steckt mit kleinen Nadeln und gezackten Fähnchen die an der Ideologiefront eroberten Terrains ab: Nicht immer gelingt ihm und der angeblich wachsenden Schar seiner Gefolgsleute der Durchbruch – aber immer öfter. Entlang der Rheinlinie, in Bayern, Baden- Württemberg, Südhessen und in den neuen Bundesländern zeigen die Jungen Sozialdemokraten (Jusos) bereits Flagge: „Die Nadeln stehen für eine Arbeitsgemeinschaft der Jungen Sozialdemokraten in einem sozialdemokratischen Ortsverein“, erklärt Moritz. „Und die Fähnchen für einen gekippten Bezirk.“ Juso für Juso soll in den nächsten vier Jahren noch „gewendet“ werden – vom Jungsozialisten zum Jungen Sozialdemokraten. Und die gesamte Organisation vom „sozialistischen Richtungsverband“ zu einem tatsächlichen Jugendverband der heute real existierenden SPD. Rudolf Scharping, sagt Moritz, sei ihr Mann: „Ein glaubwürdiger Sozialdemokrat der 90er Jahre.“ Der amtierende Bundesvorstand der Jungsozialisten setze sich dagegen aus „zurückgebliebenen 68ern mit revolutionärem Habitus in einer nichtrevolutionären Epoche“ zusammen und befinde sich im Widerstand gegen Scharping und die „neue Linie“ der Partei.

„Gegrauselt“ haben sich Moritz und seine Leute auf dem letzten Bundeskongreß der Jungsozialisten in Magdeburg. Zum Entsetzen der „Ossis“ seien da die Westler aufgestanden und hätten – „mit erhobener Faust“ – die „Internationale“ gesungen. „Da waren die Ostler platt“, berichtet Moritz. Und der Geschäftsführer des bereits gewendeten Juso-Bezirks Rheinhessen, Wolfgang Henneberg (21), durfte danach wieder eifrig Nadeln und Fähnchen auf der Karte verteilen: Der Osten wird rosarot. Im Büro der Jungen Sozialdemokraten Rheinhessen in Mainz hängen denn auch nicht Karl Marx und Friedrich Engels an der Wand, sondern Helmut Schmidt und Rudolf Scharping. Und ihr Credo ist der schriftlich fixierte „politische Ansatz“ des Duisburger Kreises (Junge Sozialdemokraten) bei den Jusos, der bereits seit 1988 existiert. Darin heißt es, daß die Jusos in ihrer gegenwärtigen Ausrichtung ihrer „potentiellen Bedeutung“ für Partei und Gesellschaft nicht mehr gerecht würden: „Als kritischer Motor der SPD werden die Jusos schon lange nicht mehr ernst genommen. Das muß sich ändern. Die Funktion als kritischer Motor kann realistisch nur beanspruchen, wer auch bereit ist, engagiert und solidarisch in der SPD mitzuarbeiten.“

Und dazu, so Moritz und Henneberger, sei keine der alten Fraktionen bei den Jusos heute bereit – „weder der Stamokap-Flügel, noch die sogenannte undogmatische SP-Fraktion“. Beide wort- und federführenden Gruppierungen bei den Jusos hielten weiter am Konzept des „sozialistischen Richtungsverbandes“ fest und verweigerten sich einer deutlichen Abgrenzung von dogmatisch-marxistischen Positionen. Moritz: „Wir wollen aber keine Juso-Organisation, die als Speerspitze der Parteilinken oder gar als bloßes Anhängsel linksradikaler Gruppen fungiert.“

„Moritz, lieber Moritz!“ heißt es deshalb schon lange nicht mehr bei all denen, die als Jusos weiter auf der „linken Seite“ stehen wollen. In einem Brief an die „Jungsozialisten“ des Bezirks Rheinhessen, der sich Anfang September offen in Junge Sozialdemokraten umbenannte, schreibt denn auch die stellvertretende Juso-Landesvorsitzende von Rheinland-Pfalz, Andrea Nahles, mit spitzer Feder, daß den Jungen Sozialdemokraten bislang nichts anderes eingefallen sei, als alte Vorurteile gegen die 68er aufzuwärmen und Schlagworte der Parteirechten zu servieren. Und die Umbenennung, die sei rechtlich nicht haltbar. Nahles: „Wir werden uns in dieser Sache an die übergeordneten Parteigremien wenden.“ Wie tief die Gräben zwischen Jusos und Jusos bereits sind, belegt die Reaktion von Moritz auf das Schreiben von Nahles: „Was kratzt es unseren Arsch, wenn der Landesvorstand geifert. Die haben uns – entsprechend der Parteihierarchie – überhaupt nichts zu sagen.“ Ernster nehmen die rechten Dissidenten da schon den „Querschläger“ (Moritz), der vom Mainzer SPD-Parteitag kam. Dort forderten die Delegierten den SPD-Bezirksvorstand Rheinhessen auf, den Umbenennungsbeschluß der rheinhessischen Jusos in Junge Sozialdemokraten für nichtig zu erklären und ihn zu mißbilligen. Daß der SPD-Bezirksvorstand dieser Aufforderung demnächst Folge leisten wird, steht für Moritz und Henneberg bereits fest. Doch auch derartige „theatralische Gesten“, so Moritz als Bezirksvorsitzender der Jungen Sozialdemokraten Rheinhessen, seien „für das neue Lager ohne Bedeutung“.

Sie fühlen sich „mit rund 1.000 Aktivisten im Rücken“ stark genug, den von den alten Jusos „angezettelten“ Konflikt mit der Mutterpartei durchzustehen. Weil sie für den „großen Lauschangriff“ sind, die Beteiligung der Bundeswehr bei Nato-Einsätzen befürworten und auch sonst „auf der neuen Linie der Bundespartei liegen“, hoffen sie auf Rückendeckung durch ihr Idol Rudolf Scharping.

Doch Scharping schweigt (noch). Deshalb werden die Jungen Sozialdemokraten jetzt mit einer bundesweiten Kampagne für die Politik von Scharping werben und versuchen, „all die braven jungen Sozialdemokraten in den Ortsvereinen“ für die Wende bei den Jusos hin zu einer „zeitgerechteren, realistischeren Politik“ zu begeistern: „Scharping soll Kanzler werden“ – und der Volkswirt Frank Moritz dann der neue Bundesvorsitzende der „Jusos-light“?