Erst Runder Tisch, dann „total verarscht“

■ Anwohner der Neustadt mit Büroneubau an der Gerstäckerstraße überrascht

„Total verarscht“ fühlen sich einige AnwohnerInnen der südlichen Neustadt. Acht Monate lang waren sie der Aufforderung von Stadtentwicklungssenatorin Traute Müller gefolgt, sich aktiv an der Gestaltung ihres Stadtteils zu beteiligen. Und jetzt? „Nichts von unseren Forderungen wurde verwirklicht“, schimpft Klaus Dressel von der Aktionsgemeinschaft südliche Neustadt. Anlaß des Ärgers: Der Neubau eines „Frankreich-Hauses“ an der Gerstäckerstraße.

Der Standort nahe dem Michel war schon im vergangenen Jahr ein Thema: Damals wollte der Spiegel dort sein neues Verlagshaus bauen. Jedoch ohne die vorgesehenen 80 Wohnungen. Der Protest der AnwohnerInnen und Bezirksfraktionen kam prompt und hatte Erfolg. Der Spiegel wich in Richtung Deichtorhallen aus.

Doch drei Tage vor der Wahl schlug die Kommission für Bodenordnung – wie erst jetzt bekannt wurde – neue Pflöcke ein: Sie gab die bislang als Parkfläche genutze Fläche an der Ludwig-Erhard-Straße (ehemals Ost-West-Straße) der „Arbeitsgemeinschaft Gerstäckerstraße“ anhand. In einem „Frankreich-Haus“ wollen die Investoren (unter anderem die Groupe Crédit Lyonnais und die Hamburger Projektentwickler Hanseatica) vorwiegend Unternehmen des Kultur- und Austellungs-Managements und des Medienbereichs unterbringen. Und 120 Wohnungen, davon etwa 80 öffentlich geförderte.

Bei weitem nicht genug, wie die AnwohnerInnen meinen. Einige Mitglieder der Bürgerinitiative hatten monatelang mit BezirkspolitikerInnen in einer von Senatorin Müller eingesetzten Steuerungsgruppe über die Zukunft des Viertels beraten. „Wir alle haben den Schwerpunkt eindeutig auf Wohnen gelegt und haben mehr als 50 Prozent der Fläche dafür gefordert“, so Klaus Dressel. Daß der Bürgerbeteiligung im Quartier enge Grenzen gesetzt sind, sei ihnen bewußt gewesen – die einzige freie und zu gestaltende Fläche sei die an der Gerstäckerstraße gewesen. Trotz aller Skepsis über Traute Müllers Runde Tische hätten sie sich auf die monatelangen Debatten eingelassen. „Nach der jüngsten Entscheidung ist unser Frust doppelt so groß wie vorher“, wettert Dressler nun.

Ein Kompromiß, mit dem man leben kann, so bewertet hingegen die Stadtentwicklungsbehörde das Bauvorhaben. „Reine Wohnbebauung war nie vorgesehen, die wäre viel zu teuer “, so Steb-Sprecher Tom Janssen. Die Realisierung des umstrittenen Projekts wird allerdings noch dauern: Zunächst ist ein Architektenwettbewerb geplant – und der soll erst Ende März 1996 abgeschlossen sein. sako