Keine Musealisierung des Grauens

Braucht Deutschland Holocaust-Museen nach dem amerikanischen Vorbild? Ignatz Bubis plädiert für zeitgemäße, jugendgerechte Einrichtungen: „Ähnliches ja, Gleiches nein.“ Eine Veranstaltungsreihe in Oranienburg  ■ Von Anja Sprogies

Ignatz Bubis will nicht sagen, „daß alles, was amerikanisch ist, falsch sein muß“. Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland will nur betonen, daß Deutschland keine „Musealisierung des Holocaust wie in den USA“ braucht. Bubis gab sich diplomatisch und fand in seinem Vortrag auf die Frage „Die Holocaust-Museen in den USA: Ein Modell für Deutschland?“ am Mittwoch abend in den Räumen der brandenburgischen Gedenkstätten (Oranienburg) eine schlichte Antwort: „Ähnliches ja, Gleiches nein.“

Die europäische Kultur sei eine andere als die amerikanische, argumentierte Bubis. „Die amerikanischen Museen sind nicht zu vergleichen mit dem, was wir hier haben und was wir brauchen.“ Was Deutschland fehle, seien Gedenkstätten, die zur wirklichen Auseinandersetzung mit dem Holocaust anregen, und Dokumentationszentren. Als Beispiel nannte Ignatz Bubis die Verbindung aus Yad Vashem, der zentralen israelischen Gedenkstätte, und dem Diasporamuseum in Jerusalem. „Gedenkstätten sind nicht Nostalgie, sondern Stätten zum Auseinandersetzen.“

Bubis kritisierte die pädagogische Arbeit in den deutschen Gedenkstätten. „Wenn junge Menschen hierher kommen, ist der Schock überwältigend, aber nicht dasselbe wie eine Auseinandersetzung.“ Gedenkstätten sollten über die Betroffenheit hinaus dazu animieren, sich mit dem Thema zu beschäftigen. So aber sei die Versuchung für die jungen Menschen groß, alles von sich zu weisen, befürchtete Bubis. Vielle könnten denken, „etwas muß doch daran gewesen sein, wenn man ein ganzes Volk ausrotten will“.

Um das zu verhindern, regte Bubis die Einrichtung von Dokumentationszentren innerhalb der ehemaligen Konzentrationslager an, die das jüdische Leben in Deutschland zeigen. „Fremdes braucht nicht abstoßend zu sein“, solle damit verdeutlicht werden. Auch die Auseinandersetzung mit der Judenvernichtung in den Schulen sei unbefriedigend, so Bubis. Die Lehrpläne seien seit Jahrzehnten die gleichen und nicht „der Form der modernen Gesellschaft angepaßt“. Junge Menschen würden nun mal Informationen über Videos aufnehmen „und keine 300 Seiten lesen“.

Bubis erinnerte in diesem Zusammenhang an den amerikanischen Film „Holocaust“. „Eine Seifenoper. Doch dieser Film hat Wirkungen gezeigt, wie sie kein Originalfilm bewirkt hätte.“ Der pädagogische Effekt sei so groß gewesen, weil die Schilderung des Schicksals einer Familie in der Nazizeit wesentlich anschaulicher und weniger anonym gewesen sei als ein Film über die Vernichtung von Millionen Juden. Bubis verteidigte die amerikanischen Methoden der interaktiven Darstellung – wie sie auch im neuen „Beit Hashoah – Museum of Tolerance“ in Los Angeles praktiziert werden. „Der Fünfzehnjährige heute ist eben anders.“

Obwohl es in Deutschland „verfehlt ist, künstliche Gedenkstätten zu errichten“, steht Bubis zur Errichtung des Museums in Los Angeles. Die Amerikaner wollten damit keinesfalls „eine antideutsche Stimmung“ erzeugen. Laut Bubis geht es vielmehr darum, auf die Zweifel an der Judenvernichtung, „die sich in der amerikanischen Jugend breitgemacht haben“, zu reagieren. Umfragen hätten ergeben, daß „25 Prozent der amerikanischen Jugendlichen nicht glauben, daß das wirklich passiert ist“. Um die Erinnerung wachzuhalten und „damit sich die Geschichte nicht wiederholt“, setzten sich die Betroffenen für das Museum ein. „Nicht als Stachel, sondern als Mahnung.“ Bubis ging in seinem Vortrag auf die Diskussion ein, die vor dem Bau des Museums in der deutschen Öffentlichkeit und in der israelischen Bevölkerung aufgekommen war. „Die Deutschen hätten gerne gesehen, wenn auch die deutsche Nachkriegsgeschichte in dem Museum gezeigt worden wäre.“ Dies sei abgelehnt worden, weil kein Museum der deutschen Geschichte errichtet werden sollte. „Israel hätte gerne gesehen, wenn man das Entstehen Israels nach 1945 dokumentiert hätte.“ Auch dies wurde mit der gleichen Begründung „zu Recht abgelehnt“. Es sollte ein Museum zur Erinnerung an den Holocaust entstehen, mit allen seien Facetten, und nichts anderes. „Es wurde hier die Schuld der Täter und Mittäter dokumentiert.“ Auch der deutsche Widerstand am Beispiel der „Weißen Rose“ sei nicht ausgespart worden.

Die an den Vortrag anschließende Diskussion war weniger von der Thematik „Holocaust-Museum“ im Allgemeinen geprägt als vielmehr von einem konkreten Dauerproblem der Gedenkstätte Sachsenhausen. Dem Umgang mit den Opfern des Stalinismus, die nach 1945 auf dem Gelände untergebracht waren und zu Tausenden starben. Darunter waren auch – aber nicht nur – etliche Nazis.

Mathias Schulz von der Vereinigung der Opfer des Stalinismus forderte, eine gemeinsame Stätte zum Gedenken an die Opfer zu errichten. Kurt Goldstein, ein Häftling der Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald, sprach sich emotional gegen eine „Vermischung der Opfer“ aus. Auch Bubis lehnte deutlich eine gemeinsame Gedenkstätte der jüdischen und stalinistischen Opfer ab. Er räumte zwar ein, daß viele Opfer nach 1945 Juden und Sozialdemokraten waren. „Tausende Unschuldige wurden umgebracht.“ Aber da gäbe es auch eine Gruppe von ehemaligen Tätern, und „mit diesen Tätern will ich nicht zusammen gedenken“.

Die Veranstaltungsreihe Gedenkstätten im vereinten Deutschland“ der Stiftung brandenburgische Gedenkstätten wird am 14. Oktober in Oranienburg mit einem Vortrag des Vorsitzenden des Zentralrates der Sinti und Roma, Romani Rose, fortgesetzt.