Durchs Dröhnland: Gitarren zu Daumenschrauben
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Yeah, das ist noch Independent. Eine Platte machen, zu deren Kostendeckung der Label- Chef höchstselbst seinen altehrwürdigen Mercedes verscherbeln muß und die trotzdem schon jetzt „7.342,80 Deutsche Mark mehr gekostet hat als geplant“. Das behaupten jedenfalls die Liner-Notes von „Rowdy“, dem neuesten Werk von Karl S. Blue and his Magic Quells auf „String Records“, die zwar nichts mit Geigen – wie der Name nahelegt – zu tun haben wollen, aber dafür strikt Vinyl sind. Das Cover ist perfekter, als es die verehrten Sechziger selbst je waren, und die Magic Quells hören sich genauso an, wie das aussieht. Herr Blue fragt den geneigten Hörer „Have you ever heard such trashy Rock 'n' Roll before?“, und auch, wenn wir das eindeutig bejahen müssen, freut uns doch, daß auch noch andere ganz offensichtlich nicht von ihren „Back from the Grave“-Samplern lassen können. Das ist bester Sixties-Garagen-Punk, wie ihn Amis schon lange nicht mehr spielen und wie ihn Deutsche noch nie so gut hingebracht haben.
Am 1.10. um 21 Uhr im Wasserturm Kreuzberg, Kopischstraße 7
Schade eigentlich, daß ihn bisher noch niemand für einen Soundtrack engagiert hat. Vielleicht ist er dafür auch nur zu spät geboren, weil eben nur in den 60ern diese wundervollen derben B-Pictures gedreht wurden. Allerdings ist „Koksofen“, die neueste Platte vom Casper Brötzmann Massaker, für seine Verhältnisse fast zart geraten. Viel Sprechgesang, viel Gitarrengestreichel, recht wenig vom gewohnten atonalen Gekreische. Das Ganze macht einen sehr improvisierten, ja fast freejazzigen Eindruck, vielleicht will er ja Papa beeindrucken. Trotzdem ist Brötzmann aber natürlich noch immer völlig unbehauen, wie Steinzeit auf CD, wie Gitarren zu Daumenschrauben, eben wie Töne, die aus dem Leben kommen, das nicht so ist, wie uns das Radio glauben machen will.
Am 1.10. um 22 Uhr im Tacheles, Oranienburger Straße 54–56, Mitte
Eine der absurdesten Erscheinungen im Hardcore sind Shelter. Deren Sänger Ray Cappo war vormals bei Youth of Today, eine der erfolgreichsten HC- Bands der USA. Nach deren Auflösung konvertierte er zum Krishna, schor sich die Haare,
gründete Shelter und gelangte fortan mit immer noch denselben politischen Grundvoraussetzungen zu völlig anderen persönlichen Schlüssen. Mit dem üblichen Hare Hare konnte er sich aber wohl nicht anfreunden und verbreitet seine hart ermeditierten Erkenntnisse nun eben über harten Gitarren. Zuletzt sind Shelter zwar etwas sanfter geworden und schätzen vor allem die gute Melodei, aber immer noch stimmt da was ganz und gar nicht.
Am 2.10. um 21 Uhr mit Exel im SO 36, Oranienstraße 129, Kreuzberg
Ich weiß nicht, wie lange es die Sidewalk Poets schon gibt, aber mir kommt es ewig vor. Und in all den langen Jahren haben sie sich mit viel Schweiß den Titel der penetrant erfolglosesten Band der Stadt erspielt. Immer wieder in denselben Clubs vor demselben Publikum, das niemals größer wurde. Die Sidewalk Poets wurden auch nicht besser, nur der Blick ihres Sängers immer schwermütiger. Man mußte Angst haben, daß ihm die traurigen Kulleraugen gleich aus den Höhlen springen. Aber schlußendlich haben auch sie noch eine Platte gemacht und gleich eine Doppelsingle. Das Ganze allerdings im Selbstverlag und in einer solchen Qualität, daß sie ihren schwer errungenen Titel wohl behalten werden.
Am 2.10. mit Dreadful Shadows im H&M, Langhansstraße 23, Weißensee
Die USA sind ein großes Land, überregionale Vertriebsnetze kaum vorhanden, und so können potentielle Legenden durchaus Ewigkeiten in ihren lokalen Zusammenhängen vor sich hinvegetieren, bevor irgend jemand das auch nur drei Dörfer weiter mitbekommt. Girl Trouble sind so ein Fall. Zu Hause in Tacoma im schönen Staate Washington, also eigentlich nicht weit von Seattle, machen sie seit zehn Jahren einen wundervoll krachigen Garagenpunk: so cool wie die Cynics, so blechern wie die Cramps. Bei Girl Trouble hört man noch deutlich, daß eine der wichtigsten Eigenschaften, die der Rock 'n' Roll vom Blues geerbt hat, die Verschleppung ist. So sind sie altmodisch, ohne antiquiert zu sein. Crackerbash kommen aus Portland, der Stadt, die frisch von SupPop entdeckt wurde, nachdem Seattle und Umgebung inzwischen völlig abgegrast sind. Doch ausgerechnet
Crackerbash wurden nicht gesignt, dabei hätte ihr hyperventilierender Punkrock beste Chancen gehabt bei entsprechender Produktion. Denn die haben Soul und Melodien, ohne sülzig dabei zu werden.
Am 3.10. um 21 Uhr im Huxley's, Hasenheide 108–114, Kreuzberg
Wie schnell die Zeit doch vergeht. Fast schon ein Jahrzehnt ist es her, daß die Cro-Mags begannen, Metal und Hardcore zu fusionieren, und heute, nach ihrer gerade mal vierten Platte, gehört das schon zum Standardrepertoire. Die Pionierleistung der Cro-Mags wurde belohnt mit Legendenstatus, dem auch eine zwischenzeitliche Auflösung nichts anhaben konnte. Zum alten Eisen gehören sie allerdings noch lange nicht. Auch wenn ihr Speed für heutige Verhältnisse in fast gemütlichen Geschwindigkeiten dümpelt, beherrscht kaum eine andere Band so souverän die Einschmelzung von Rap- und Metal-Elementen in eine satte Hardcore-Basis. Ihre Stücke mögen nicht so extrem klingen wie die des Nachwuchses, aber dafür finden sie immer souverän die Balance zwischen Härte, Informationsdichte und Sentiment. „Near Death Experience“ wird eingeleitet von einem ruhigen, fast schon klassischen Rock-Intro wie aus den Siebzigern, dessen Stimmung im folgenden bis zur neuzeitlichen Hysterie gesteigert wird. Fast so, als wollten sie in knapp zweieinhalb Minuten Anlaß, Wirken und Erbschaft von Punkrock durchspielen. So was darf man als lebende Legende.
Am 6.10. mit Only Living Witness ab 19 Uhr in der Alten TU- Mensa, Am Steinplatz, Charlottenburg
Nun zum Abschluß noch der Absurditty-Tip der Woche: Die Nylon 66'er kommen aus Turku und spielen Klassiker in der Bandbreite von „Whole Lotta Love“ bis zu „Das Boot“ nach, oder besser gesagt, verhackstücken sie gemeingefährlich schnell auf Studentenniveau. Ein schriller, kieksiger Lacher für unsere finnischen Freunde. Und die deutschen Carnival of Souls sollen für sich selbst sprechen: „Carcass ohne Sänger und unverstärkt im Café Keese“. Verlockend.
Am 7.10. um 21 Uhr im Pefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg Thomas Winkler
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