■ Press-Schlag
: Böses Erwachen für ein ruhiges Team

Zu Beginn eine nette Begebenheit am Rande: Weil die deutschen Volleyballerinnen vor der EM Stärken und Schwächen der Gegnerinnen kennenlernen sollten, vereinbarten die Trainer, Videos auszutauschen. Die Idee wußten die Kinder des tschechischen Coaches zu vereiteln: Auf der Kassette mit dem Vorbereitungsmatch der Tschechen gegen die Ukraine zeichneten sie einen Indianerfilm auf.

Gegen die Ukraine unterlagen die deutschen Frauen 0:3, gegen die Tschechen werden sie nicht mehr spielen müssen. Die haben sich für das Halbfinale qualifiziert, die Deutschen nicht, nach einem 0:3 gegen Rußland.

Die Episode mit dem Video ist bezeichnend für die Situation bei den Bundes- Volleyballerinnen: Chaotische Vorbereitung, 15 von 22 Testspielen verloren, miese Stimmung, Streit. Am Ende hat Karin Steyaert alles nicht mehr ausgehalten und den Bettel hingeschmissen, ein paar Wochen vor EM-Beginn. Karin Steyaert, Spielführerin, Außenangreiferin von internationaler Klasse; eine, die immer viel investiert hat in ihren Sport. Und dann so Knall auf Fall der Rücktritt?

Es habe ihr keinen Spaß mehr gemacht, sagt Karin Steyaert, die autoritäre Art von Bundestrainer Köhler, das eintönige Training. Als dann einige Spielerinnen das Gerücht in die Welt setzten, sie bereite den Sturz Köhlers vor, sei ihr die Freude endgültig vergällt gewesen. Weil nichts dran sei am Gerede, vor allem aber weil Köhler nicht mal das Gespräch gesucht habe mit ihr: „Er hat das das Gerücht lieber im Umlauf gelassen.“

Schließlich hätten es diejenigen auf den Weg gebracht, denen Köhler aus alter Verbundenheit am meisten vertraut: die Spielerinnen aus dem Osten Deutschlands. Mit denen hat er als DDR- Nationalcoach erfolgreich gearbeitet und als Trainer von Dynamo Berlin.

Inzwischen rekrutiert sich auch die aktuelle Nationalmannschaft vornehmlich aus Spielerinnen, die ihr Schmetterhandwerk im erloschenen Staat der Arbeiter und Bauern gelernt haben. Was zweifellos berechtigt ist bei Susanne Lahme, Ines Pianka, Christina Schulz. Doch womit sich Constance Radfan, Brit Wiedemann oder Ute Kellner die Berufung verdient haben, Spielerinnen, die nur zum Bundesligamittelmaß gehören, weiß allein der Coach.

Er schätze Volleyballerinnen, die zu allem Ja und Amen sagen, sagt Karin Steyaert, „wie er es eben gewohnt war in all den Jahren“. Nichts könne er weniger vertragen als Kritik. Was Köhler abstreitet, wie er überhaupt alles abstreitet: Eine notorische Querulantin sei Karin Steyaert, hat er vor Beginn der EM gesagt; ihr Abgang habe für den Zustand gesorgt, den er am meisten schätzt: „Es ist endlich Ruhe in der Mannschaft.“ Nun hat es ein böses Erwachen gegeben. Holger Gertz