Zwischen den Rillen
: Ironie nie

■ Kritik der ironischen Vernunft mit Nirvana und den Melvins

Was sie jetzt tun werden, wo sie neuneinhalb Millionen Einheiten „Nevermind“ verkauft haben? Das schwimmende Baby auf dem Cover in den Geldschein am Haken beißen lassen? Oder den Angler mit der Schnur ins Wasser ziehen? Nirvana haben weder, wie dereinst Lou Reed, eine „Metal Machine Music“ gemacht, die unhörbar und unvermarktbar ist, noch haben sie skrupellos den Punkrock weiter in Richtung Radiotauglichkeit getrieben. Sie liegen irgendwo dazwischen, im Mutterkuchen called Mainstream: Baby „In Utero“ (LP-Titel).

Einige Stücke hat die Band dabei an die äußerste Grenze dessen getrieben, was der Mainstream- Bauch sich von einem Millionen- Seller zumuten läßt („Scentless Apprentice“ beispielsweise), andere für ihn noch einmal ein wenig von REM-Mixern bearbeiten lassen (die Single „Heart-Shaped Box“). Ansonsten haben sie sich an das erinnert, was sie von den Melvins einmal in Aberdeen, Washington, USA, gelernt haben. Rückzug vor der Feigheit?

Die Melvins sind die Band, die jeder braucht, der den Einbruch des sogenannten Alternative Rock in den Mainstream (wofür Nirvana bloß das bekannteste Beispiel sind) von Anfang an in einer Mischung aus Entsetzen und Begeisterung mitverfolgt hat. Die Melvins braucht man, weil sie den Grundsound des „Grunge“ als unvermittelte und zerdehnte Negation des „Handgemachten“, „Handwerklichen“, „Ehrlichen“ unerschütterlich seit 1984 zelebrieren – mal in Songform, mal endgültig darüber hinausgezerrt.

Dabei muß diese Negation nicht einmal bewußt herbeigeführt sein, es reicht, wenn sie so wirkt. Wir können dann nämlich das Autorenprinzip verlassen und nur das befragen, was bei uns ankommt: Musik, Text und Artwork. Es ist zweitrangig geworden, wieviel davon Melvins-Konzept ist und wieviel Melvins-Situation – letztere begriffen als eine biographisch-historische Konstellation, die glücklich genug ist, jemanden diejenigen Mittel gebrauchen zu lassen, die sich in gewinnbringender Weise mit der Umgebung in Spannung werfen. Die Melvins tun das unter anderem, indem sie KISS-Songs covern (hier: das 74er „Going Blind“) und Ozzy Ozborne, beziehungsweise Black Sabbath, in ihren Abstrakt-Doom einwirken. Die Melvins erzeugen die (schöne) Illusion, daß sie Dekonstruktion eines „Authentischen“ sind – und dekonstruieren damit selbst noch diese nüchterne Idee einer Dekonstruktion.

Denn dieses „Authentische“ hat selbst schon mit seiner Konstruiertheit gespielt. Wer je Ozzy Osbourne wie einen hospitalistischen Pantomimen über eine Bühne hat hoppeln sehen, weiß, daß da etwas bereits mit sich selbst gerungen hat. So läßt sich die massive Erdung der Melvins erklären: Sie finden über die Abstraktion in sich gebrochener Gefühle wieder zu einer Spur, die sich nachverfolgen läßt – und so neu Gefühle „erlaubt“; Gefühle, deren Widersprüchlichkeit klar und scharf erkennbar ist: eine Identitätsstiftung in Härte, die sich selbst in Distanz überprüfen läßt und damit vor falscher Eindeutigkeit rettet.

Die Melvins sind nie camp oder ironisch, ihre Verehrung für Ozzy oder KISS ist immer aufrichtig und voller Respekt. Aber wohlgemerkt: Dies ist keine strategisch herbeigeführte hybride Schöpfung, sondern die Konsequenz einer fan-mäßigen Verehrung, die sich plötzlich problematisch findet, an ihrer Verlorenheit leidet und eine Distanz mühsam erzwingt – und gerade dieses Erzwingen genießbar macht. Aber als Kern bleibt der Fan – nicht die ironische Distanzierung durchs Konzept –, der erst zentrale Widersprüche freilegt.

Die Lust, den Melvins zuzuhören, bezahlt man natürlich damit, Stone Temple Pilots, Alice In Chains und andere Edel-Grunge- Jungmänner als unerträgliche Kitsch-Expressionisten zu empfinden (was sie wohl auch sind). Die Melvins negieren die Lust an der romantischen Pathetik und bezahlen dafür am Markt mit einer entsprechenden Position. Aber okay, Melvins-Sänger King Buzzo ist auch kein schöner langhaariger Surfer, sondern wirkt wie ein kleiner dicklicher Fiesling.

Nirvanas Curt Cobain muß da schon mehr mit seiner jugendlichen Schönheit kämpfen. Auf dem Innencover von „In Utero“ ist er im Rollstuhl mit Zigarre und weißer Perücke abgebildet, neben dem Text von Pennyroyal Tea: „Sit and drink Pennyroyal Tea... Give me a Leonard Cohen afterworld / So I can sigh eternally.“ Pennyroyal Tea kann man natürlich auch als Penny Royalties lesen, als „Tantiemen“: Und wenn man sich alle Texte anguckt, stellt man fest, daß kaum einer dabei ist, der nicht allegorisch von der Beziehung Nirvana- Markt spricht, bis hin zum „Rape me, my friend“. Kein Zynismus wird ausgelassen, der Distanz schaffen könnte, die die Musik nicht endgültig herstellt, auch wenn sie von Produzent Steve Albini auf fieseste, schlierende Kraft hin produziert worden ist – ohne jede abfedernde Harmonisierung.

Cobain hat an der Melvins- Platte mitproduziert und dort vielleicht bei Freunden beobachten können, wie man einfach so macht, ohne ständig auf den Markt zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Am Ende haben Nirvana die beste mögliche Platte gemacht, ohne daß es ihre beste sein könnte. Und es ist gut, einem so kraftvollen, zerstörerisch zynischen, nicht selbstgefällig ironischen Bewußtsein um diese Problematik auf LP-Länge zuzuhören. Jörg Heiser

Nirvana – In Utero

(Geffen/ MCA/ BMG)

Melvins – Houdine

(Atlantik/ East West)