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„Das Amt prägt den Inhaber“

Hans Tietmeyer löst Helmut Schlesinger an der Spitze der Bundesbank ab / Ehrgeiz oder preußische Korrektheit, an der Politik ändert das wenig  ■ Von Donata Riedel

Nach außen hin hat Hans Tietmeyer bereits in den vergangenen zwei Jahren die Bundesbank häufiger vertreten als sein Chef Helmut Schlesinger. Denn Kanzlerfreund Tietmeyer wirkt selbst dann noch freundlich-verbindlich, wenn er „Lohndisziplin“ von den Gewerkschaften verlangt. Auch auf internationalem Parkett tritt der frühere Staatssekretär sehr viel lockerer auf als der amtierende Bundesbankpräsident, der fast sein ganzes Berufsleben in der Frankfurter Geldzentrale verbracht hat. Heute nun löst der 62jährige Vizepräsident offiziell den 69jährigen Schlesinger an der Spitze der deutschen Notenbank ab.

Als Schlesinger auf dem Chefsessel Platz nahm, galt er als „stabilitätspolitisches Gewissen“ und als „Anwalt der Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank“. Während seiner von vorneherein auf zwei Jahre begrenzten Amtszeit mutierte in der Wirtschaftspresse die „Kompromißlosigkeit“ des Mannes im Rentenalter zum „Starrsinn“, schmähte ihn der Spiegel als „Veteran der geldpolitischen Betonköpfe“, zirkulierte das Urteil seiner bundesbankinternen Gegner, er sei ein „engstirniger Geld-Nationalist“.

Der Grund: Er tat genau das weiter, wofür er nach 40 Jahren Karriere als Notenbanker bekannt und geschätzt war, nämlich gegen die Inflation zu kämpfen. Daß Schlesinger diesem Ziel notfalls auch rücksichtslos alles andere unterordnet, kritisierte schon 1987 der damalige Außenminister James Baker als Charakterschwäche: Schlesinger sei ein „starrer Monetarist“, der „Inflation unter jedem Kieselstein findet“.

Nun versteckte sich das Gespenst der Inflation nach der deutschen Vereinigung nicht gerade unter Kieselsteinen, sondern wuchs zur realen Gefahr, je mehr die Bundesregierung Schulden machte. Das Dilemma, vor dem sich die Währungshüter dadurch sahen, war und ist mit den Mitteln der Geldpolitik allein nicht lösbar. Nach dem Bundesbankgesetz müssen die Bundesbanker auf die Stabilität der Währung achten. Die Schuldenpolitik der Regierung zwang sie also geradezu zur Hochzinspolitik. Andererseits sollen die Währungshüter nicht gegen die Regierung Wirtschaftspolitik betreiben. Danach hätten sie zur Rezessionsbekämpfung die Zinsen senken müssen. Auf Zinssenkungen wegen der Rezession bestanden auch die Regierungen der EG-Partnerländer, deren Währungen damals noch im Europäischen Währungssystem (EWS) an den Anker D-Mark gekettet waren.

Schlesinger, und mit ihm der Zentralbankrat (in dem neben dem siebenköpfigen Bundesbankdirektorium die Präsidenten der Landeszentralbanken sitzen), beharrten in dieser Lage auf hohen Zinsen. Fortan galten er und die Bundesbank als die Schuldigen:

– an den Turbulenzen und am Scheitern des Systems fester Wechselkurse im EWS, weil die starke Mark den Abwertungsdruck auf die schwächeren Währungen erhöhte;

– und an der Arbeitslosigkeit, weil während der Rezession hohe Zinsen die Unternehmen von Investitionen abschrecken.

Diese Argumente allerdings sind bestenfalls halbrichtig; denn das EWS litt schon länger verdeckt daran, daß die EG-Länder sich wirtschaftlich nicht gleichmäßig entwickelt haben, was eine Voraussetzung für feste Wechselkurse wäre. Und daß die Unternehmer hierzulande nicht weiter Kapazitäten abbauen, sondern im Gegenteil neue aufbauen würden, sobald die Zinsen sinken, ist wenig wahrscheinlich.

Tietmeyer jedenfalls kann sich zum Amtsantritt freuen, daß die Inflationsgefahr inzwischen nicht mehr gar so akut ist wie noch vor einem Jahr. Für jede Zinssenkung der nächsten Wochen kann er persönlich das Lob seines Freundes Helmut Kohl einkassieren – obwohl darüber allein der Zentralbankrat entscheidet, in dem Tietmeyer schon als Schlesingers Stellvertreter Sitz und Stimme hatte. Sein Machtzuwachs in diesem Gremium besteht lediglich darin, daß seine Stimme bei Stimmengleichheit nun den Ausschlag gibt.

Der Mann, dem zu seinen Zeiten als Staatssekretär im Finanz- und im Wirtschaftsministerium in Bonn nachgesagt wurde, er vertrete immer fundiert die Linie, die von oben vorgegeben sei, wechselte 1989 ins Bundesbankdirektorium. Zur Vorbereitung der Wirtschafts- und Währungsunion mit der DDR wurde er 1990 aber wieder an die Regierung ausgeliehen.

Mit dem „Paket“ Tietmeyer und Schlesinger scheint Kohls langfristige Personalstrategie an der Bundesbankspitze aufgegangen zu sein. (Der Bundesbankpräsident wird von der Bundesregierung vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten ernannt.) Für die schwierigste Zeit nach der Währungsunion ehrt man einen verdienten Beamten mit einem Spitzenamt, bezeichnet ihn aber gleich als Übergangspräsidenten. Er wird preußisch-korrekt die Aufgabe wahrnehmen. Wenn das Gröbste ausgestanden ist, rückt der eigene Kandidat unbelastet nach.

Tietmeyers große Nähe zu Kohl gilt nämlich als eigentlicher Grund dafür, daß man es in jenem Netzwerk zwischen Bundesregierung, höheren Bundesbankern und der Frankfurter Bankenszene nicht für opportun hielt, ihn sofort zum obersten Währungshüter zu küren. Die zwei Schlesinger-Jahre sollten ihm ermöglichen, sich von der Kohlschen Tagespolitik zu lösen.

In Frankfurts Banktürmen dominiert heute die Meinung, daß der Ablösungsprozeß stärker gelungen ist, als der Regierung vermutlich lieb ist: „Das Amt prägt den Inhaber“, heißt es dort. Vermutlich um so mehr, je wichtiger es dem Inhaber ist. Und Tietmeyer gilt sogar im eigenen Umfeld als extrem ehrgeizig. In den Archiven findet sich nicht einmal ein Hobby, das die meisten Manager und Politiker angeben. Bei Tietmeyer heißt es lediglich, er sei Workoholic.

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