Mit Finanzspritzen den Frieden untermauern

Zur Verwirklichung ihrer Teilautonomie brauchen die Palästinenser nicht nur wohlfeile Reden, sondern harte Dollar. Auf der Washingtoner Sonderkonferenz soll über die materielle Absicherung des Gaza-Jericho-Abkommens beraten werden.

Sofort nach der Unterzeichnung des „Gaza-Jericho- Zuerst“-Abkommens zwischen der PLO und Israel am 13. September in Washington lud die Regierung Clinton für Anfang Oktober zu einer internationalen Konferenz in die US-Hauptstadt ein. Heute ist es soweit, Politiker und Wirtschaftsexperten aus aller Welt sollen Gelder eintreiben für den raschen Ausbau einer Infrastruktur im Gaza-Streifen und in der Westbank.

US-Außenminister Warren Christopher und die Regierung Rußlands erwarten, daß vor allem Japan, die EG und die Golf-Staaten die Mittel für die verschiedenen Entwicklungsprojekte aufbringen. Die Weltbank hat ebenfalls ein Auge auf die Entwicklung in den besetzten Gebieten geworfen. Eingeladen sind für den heutigen 1. Oktober die Außen- und Finanzminister zahlreicher potentieller Geldgeberstaaten, darunter auch Kanada und die skandinavischen Länder, aber auch Israel und Vertreter der PLO. Israel und die USA beabsichtigen die Gelegenheit auch dafür zu nutzen, Außenminister Peres mit seinen arabischen Kollegen zusammenzubringen, um so die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und der islamischen Welt zu fördern und den arabischen Wirtschaftsboykott gegen Israel möglichst rasch aufheben zu lassen.

Die Clinton-Administration will den US-Kongreß bitten, ein auf zwei Jahre angelegtes Hilfspaket in Höhe von 300 Millionen Dollar für den Gaza-Streifen und die Westbank zu bewilligen. Die US-Hilfe für Israel indes beträgt jährlich zwischen drei und vier Milliarden Dollar – neben den von der US-Regierung garantierten Krediten in Höhe von zwei Mrd. Dollar sowie steuerabzugsfähigen, privaten Schenkungen oder der Unterstützung israelischer Institutionen. Aufgrund eines kürzlich gefaßten Senatsbeschlusses soll im Finanzjahr 1994 der Gaza-Streifen und die Westbank 25 Millionen Dollar Hilfe erhalten, während für Israel über drei Milliarden Dollar Unterstützung bewilligt wurden.

Milliarden für „Singapur des Nahen Ostens“

Trotz dieser offensichtlichen Diskrepanz fürchtet man in Jerusalem bereits, daß die für die Zukunft geplante 300-Millionen-Dollar-Unterstützung der US-Regierung für den Gaza-Streifen und die Westbank „auf Kosten“ der Hilfe für Israel gehen könnte. Dagegen versucht man sich schon jetzt zur Wehr zu setzen. Der israelische Finanzminister Abraham Schochat erklärte, es sei ja gar nicht erwünscht, daß die Amerikaner die ganze Last der Unterstützung des Gaza-Streifens trügen; dies sei ja Sache der übrigen Welt, die sich zu zahlen verpflichtet habe, sobald ein Autonomie-Abkommen zustande gekommen sei.

Die Durchführung eines von PLO-Experten erstellten Entwicklungsplans für den Gaza-Streifen allein kostet nicht weniger als 12 Milliarden Dollar, die in den nächsten sechs Jahren benötigt werden. Ungefähr die Hälfte der Summe (5,7 Milliarden) soll für Häuserbau verwendet werden, 2 Milliarden für landwirtschaftliche Entwicklung, mehr als eine Milliarde für Industrialisierung und Energiezwecke, und 3 Milliarden für den Aufbau der Infrastruktur im Gaza- Streifen. Sowohl in Israel als auch in Gaza selbst spricht man immer wieder von der Verwandlung des Gaza-Streifens in ein „Singapur des Nahen Ostens“. Dafür dürfte die von der PLO veranschlagte Entwicklungssumme aber bei weitem nicht ausreichen.

Die Weltbank spricht von einem 3 Milliarden Dollar umfassenden Investitionsplan für die nächsten 10 Jahre, hat jedoch einstweilen nur 15 Millionen Dollar Kredite zu günstigen Bedingungen für die Entwicklung von Infrastruktur im Gaza-Streifen in Aussicht gestellt. Dabei ist noch nicht klar, wem solche Kredite eigentlich gewährt werden sollen, weil die Weltbank derlei Geschäfte nur mit Staaten, nicht aber mit Organisationen wie etwa der PLO abschließt. Unklar bleibt auch, wie das viele, aufgrund verschiedener Pläne benötigte Entwicklungsgeld tatsächlich aufgebracht werden soll. Es gibt zwar zahlreiche großzügige Versprechen aus allen Erdteilen, aber keine Garantie dafür, daß man sich auf langfristige Unterstützungserklärungen wirklich verlassen kann. Die skandinavischen Länder haben sich verpflichtet, in den kommenden vier Jahren 150 Millionen Dollar Jahren beizusteuern. Japan will für die Dauer von einem Jahrzehnt jährlich 100 Millionen Dollar zu spenden. Die EG beabsichtigt, rund 600 Millionen Dollar zur wirtschaftlichen Untermauerung des Abkommens anzulegen. Frankreich möchte diese Summe auf nahezu 1,2 Milliarden Dollar verdoppelt sehen, verlangt jedoch, daß die EG als Hauptspender die Aufsicht über das gesamte wirtschaftliche Hilfsprogramm für die Palästinenser bekommt.

Diese neue und scharf formulierte französische Forderung hat einstweilen dazu beigetragen, den bereits bestehenden Konflikt zwischen den USA und der EG darüber, wer die Nahosthilfe koordinieren und überwachen soll, noch zu verschärfen. In Brüssel beschuldigt man Washington, am wenigsten für das Hilfsprogramm beizusteuern, aber den meisten Einfluß bei der praktischen Durchführung der internationalen Projekte im Nahen Osten für sich zu beanspruchen. Sowohl die Amerikaner als auch die Europäer gehen bei dem Streit von der Überlegung aus, daß die Staaten oder wirtschaftlichen Organisationen, die die Investition der Hilfsgelder vor Ort kontrollieren, dann auch entsprechende wirtschaftliche Kontakte entwickeln und schließlich die zukünftigen lukrativen Geschäfte mit den Ländern des Nahen Ostens machen werden.

Washington neigt jetzt dazu, der Weltbank die Auswahl der Projekte, die Weiterleitung der Hilfsgelder und die Kontrolle über deren Verwendung zu überlassen. Das würde auch darauf hinweisen, daß die Weltbank die Kontrolle über andere geplante Nahostprojekte, die von multilateralen Arbeitsgruppen für die Region empfohlen oder beschlossen werden, übernehmen soll. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, festzustellen, daß die heute beginnende Konferenz in Washington im Rahmen der „multilateralen Ausschüsse“, die nach der Madrider Konferenz gebildet wurden, stattfindet. Bisher haben Syrien und Libanon die Arbeit dieser Ausschüsse boykottiert. Und bis gestern war unklar, ob sich diese beiden Staaten an der Washingtoner Sonderkonferenz beteiligen werden.

Israel nimmt gegenwärtig an der Mobilisierung von internationalen Entwicklungsgeldern für die Region einen besonders aktiven Anteil, weil man in Jerusalem der Meinung ist, daß die Realisierung des Autonomieprojekts, des Friedensprozesses überhaupt, weitgehend von der raschen wirtschaftlichen und soziopolitischen Entwicklung bei den Palästinensern im Gaza-Streifen und in der Westbank abhängt. Israels Finanzminister Schochat betonte in diesem Zusammenhang: „Wir haben das Abkommen mit der PLO unterzeichnet, und die PLO muß die Dinge jetzt selbst in die Hand nehmen. Es ist sonderbar, wie sich die Verhältnisse ändern. Jedenfalls sind wir jetzt daran interessiert, daß die PLO stark genug ist, um die Bedingungen unseres Abkommens zu erfüllen.“ Die Finanzen dazu müsse die PLO aus dem Ausland erhalten, denn Israel selbst werde den von der PLO selbstverwalteten Gebieten keine finanzielle Unterstützung gewähren.

Daß ein Vierteljahrhundert der Besatzung den totalen Ruin der Wirtschaft im Gaza-Streifen und in der Westbank verursacht hat, will man in Israel nicht wahrhaben. Hingegen denkt man in Jerusalem heute in erster Linie an eine intensive Beteiligung Israels an den Entwicklungsprogrammen, die vom Ausland finanziert werden, und rechnet gleichzeitig mit einer Einbeziehung der israelischen Wirtschaft in die anderen internationalen Hilfs- und Investitionsprojekte für den Nahen Osten. In diesem Sinne beabsichtigt der israelische Finanzminister, bei der internationalen Finanzierungskonferenz in Washington regionale Entwicklungsprojekte mit Hilfe ausländischer Investitionen auf dem Gebiet der Energie und Wasserversorgung, des Transports und Tourismus sowie im landwirtschaftlichen Bereich vorzuschlagen.

Die Chefs der drei Wirtschaftsverbände in Israel haben inzwischen die Initiative für eine Konferenz von Geschäftsleuten aus allen Teilen des Nahen Ostens ergriffen, die im Dezember im französischen Nizza stattfinden soll – Motto: „Unternehmer bereiten sich auf das Zeitalter des Friedens vor“. Eingeladen sind unter anderem größere Handelsgesellschaften in Europa und Beobachter aus Übersee. Auf der Tagesordnung stehen Fragen der zukünftigen Zusammenarbeit der Geschäftsleute in der Region, die Vorbereitung von Handelsabkommen zwischen Israel und den arabischen Staaten, bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit bei Investitionen im Bauwesen und bei der landwirtschaftlichen Entwicklung.

Kein Neuland, das auf Israels Wirtschaft wartet

Israels Finanzministerium hat dem Kabinett einen Plan für das zukünftige wirtschaftliche Zusammenleben mit Gaza und der Westbank vorgelegt. Der Plan sieht einen freien Warenaustausch zwischen den gegenwärtig besetzten Gebieten und Israel vor, eine Zollunion und die weitere Verwendung der gegenwärtigen Währung. Die obere Grenze für in Israel arbeitende Palästinenser könnte gegenwärtig bei 100.000 festgelegt werden. Die Zahl der in Israel zugelassenen palästinensischen Arbeiter soll jedoch den jeweiligen Bedürfnissen der israelischen Wirtschaft angepaßt werden. Professor Schlomo Ben Ami von der Universität Tel Aviv warnte kürzlich vor einer Überschätzung der israelischen Rolle bei der neuen Entwicklung im Nahen Osten: „Vor allem sollten wir es vermeiden, die Palästinenser zu bevormunden. Der Nahe Osten ist kein unkultiviertes Neuland, das nur auf Israels Superwirtschaft wartet, um von ihr erobert zu werden.“ Amos Wollin, Tel Aviv