Aspirin um Mitternacht Sepultura sind nett, konsensfähig und in der Stadt

■ Sepultura sind nette Menschen, konsensfähig und höchst effektvoll / Eine gar nicht mal so böse Band besucht uns jetzt

Irgendwie ist Sepultura scheiße. Nicht nur, daß es eine fürchterliche Konsensband ist, auf die sich stramme Hardcore-Agitatoren, heimkonsumierende Metal-Intellektuelle, dosenbiertrinkende Fetthaar-Kutten und dunkeläugige Todesgrunzer einigen können, sie haben zudem auch noch ihren blöden Dritte-Welt-Exotenbonus, den sie zwar eigentlich aufgrund ihrer wirklich höchst internationalen Musik nicht bräuchten, aber sie haben ihn nun mal. Dann machen sie auch noch so'ne neue Platte, auf der im Prinzip alles stimmt, viel souveräne Trash-Bodenhaftung, ein paar dezente Noise-Spitzen, unangreifbares Hardcore-Gebelle und das alles eingetunkt in unaufdringliche, aber trotzdem höchst effektvolle Melodik.

Sind natürlich auch noch nette Menschen, die, durch die doppelte Sprachbarriere mit eingbautem Englisch-Filter nette, unverfängliche Sachen sagen, wie zum Beispiel, daß sie lange keine Liebe mehr gesehen haben, Liebe zwischen den Menschen und den Hautfarben dieser Welt (ja ja, auch Metaller sagen sowas). Zudem sind sie ein Musterbeispiel an Toleranz für alle die da trashen und grinden, egal, ob die Gedärme bluten oder die Kirche brennt. Die Melodie, die sie bis zum Anschlag in ihr neues Material injizieren, ist nichts weiter als der Ausdruck ihrer gewachsenen musikalischen Reife, daß zu dem ganzen der Bandname (zu deutsch: „Grab“) vielleicht doch nicht mehr paßt, kann schon sein, aber man kann ja auch nicht ständig seinen Namen ändern.

Melodisch sind Paradise Lost, die marktstrategisch eingebuchte Vorgruppe, auch. Ansonsten kann man sich über die bleichen Engländer, die auf dem Sprung zum großen Geld stehen, aber weitaus besser ereifern, als über ihre zu Tode harmonisierten Mitstreiter. Die fünf, die das Paradies, wie auf der neuen Platte unschwer zu erkennen, in der Zeit Michelangelos verloren, trauern seitdem dunkel, männlich und pathetisch.

Da wird nach dem wahren Glauben gesucht, der weite Raum umgriffen und wenn der Tod kommt, blicken ihm tiefliegende Augen durch Nebelschwaden mystisch verklärt entgegen. Unschwer zu erkennen, daß die Briten damit intensiv unpolitisch, wenn nicht sogar stockreaktionär daherkommen. Als Hilfestellung beim wohlverdienten abendlichen Eskapismus sind sie allerdings große Klasse und wer die Augen schließt und den Schwung der Organe uneingeschränkt die Seele steuern läßt, kriegt für den fast geschenkten Eintrittspreis von 42 DM auch noch 'nen Eßlöffel erhabenes Gefühl.

Holger in't Veld

31.10, Docks, 21 Uhr