■ Kommentar
: Der Senat währt ewig

Manchmal denkt Henning Voscherau sehnsüchtig an eine ferne Frau. Anders als sein geknechteter Amtsvorgänger Klaus von Dohnanyi, dem die Polit-Power der absolutistischen Eisen-Lady Magret Thatcher unerfüllter Wunschtraum blieb, schweifen seine Gedanken nach Norden: Norwegens Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland zeigt, wie frau an der Regierung bleibt, wenn sie Wahlen verliert und kaum noch über den 30-Prozent-Rand der Wählerstimmen gucken kann.

Bloße Fantasie? Machtstrategen, vorausgesetzt, sie sitzen im Senat, schnalzen da dank der eigenartigen und verfassungsrechtlich höchst anstößigen Paragraphen 34, 35, 36 und 37 der Hamburger Verfassung genußvoll mit der Zunge. Es ist bundesweit einzigartig: Die Bürgerschaft kann den Senat nur kippen, indem sie ihn per absoluter Mehrheit durch einen neuen Senat ersetzt. Verfassungsrechtler haben für diese vordemokratische Anomalie den Satz geprägt: „Der Senat währt ewig“.

Hamburgs SPD hat diese Rechtslage in fragwürdiger Weise zweimal zum Erhalt ihrer Macht mißbraucht. 1981 hatte Dohnanyi klar gegen CDU und Grüne verloren. Nach monatelangem Verhandlungstheater jammerte er über die Unregierbarkeit der Stadt. Dabei gab es nur ein einziges Problem: Dem Senat gefiel die Bürgerschaft nicht. Die WählerInnen mußten nachsitzen. Ergebnis: Absolute Mehrheit für die SPD.

Mach's noch einmal, Klaus, sagte sich Dohnanyi im Winter 1986, als die Wähler ihm wieder GAL und CDU vor die Nase gesetzt hatten. Der ewige Senat verhandelte ewig, holte die Jammerplatte von 1981 aus der Schublade und molk das Stimmvieh im Mai 1987 erneut erfolgreich: Die FDP schaffte den Sprung ins Parlament, Rot-Grün war verhindert.

Das juristische Pattex der Senatssessel wird Voscherau dieses Mal für eine Nachwahl dennoch nicht einsetzen: Sein Versprechen, dies nicht zu tun, und die aktuelle Politikverdrossenheit stehen dagegen. Nachwahlen wären ein unkalkulierbares Risiko. Bleibt Pattex-Variante zwei: Solange die Bürgerschaft keine neue Regierung zusammenbekommt, bleiben Vosche-rau & Co im Amt und nennen das eine nordische Minderheitsregierung, die mit wechselnden Mehrheiten regiert.

Sollte Voscherau dieses Spielchen wirklich spielen wollen, könnten GAL, CDU und Statt-Partei ihn nur gemeinsam stoppen. taz-Vorschlag: Die vereinte Opposition wählt einen Interims-Senat aus völlig parteiunabhängigen Menschen, der solange regiert, bis die Bürgerschaftsparteien in echten, gleichen und freien Koalitionsverhandlungen eine neue Landesregierung zusammenbekommen haben. Florian Marten