Bürgermeisterliche Goldwaage blieb im Schrank

■ Sozialdemokraten schließen die Schultern und vertagen Koalitionsentscheidung / Hamburgs Gewerkschaften schieben Voscherau Richtung Rot-Grün

Ein lernwilliger Innensenator, ein Senatschef, der vorläufig auf den Griff zur „bürgermeisterlichen Goldwaage verzichtet“, ein gewerkschaftsgestärkter linker Parteiflügel: Szenen aus der Hamburger SPD am Tag nach der Entscheidung, die keine war.

Das ganze noch mal von vorn, „vertiefende Gespräche“ mit GAL und Statt-Partei – mit dieser Kompromißformel hatten die Sozialdemokraten am späten Donnerstagabend eine Kampfabstimmung über den künftigen Koalitionsverhandlungspartner vermieden und den innerparteilichen Riß zwischen Rot-Grün- und Rot-Statt-Befürwortern notdürftig gekittet. Machterhaltender Schulterschluß, wie seit Jahrzehnten trainiert. Vielleicht zum letzten Mal, wie es manche Beobachter gesehen haben wollten, die für die (immer noch wahrscheinlichere) Entscheidung für eine Koalition mit der GAL den geschlossenen Rückzug der rechten Garde Voscherau, Elste, Hackmann samt Anhängerschar prophezeien. „Nein,“ sagt Hackmann, „da hören manche das Gras wachsen“.

Der Innensenator macht aus seiner Vorliebe für ein Bündnis mit der Statt-Partei zwar keinen Hehl. Wegen „der Erfahrungen, die ich als Innensenator mit der GAL gemacht habe“. Aber: „Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.“ Dazu wird er Gelegenheit haben. Hackmann gehört neben den RotGrün-Fans Dorothee Stapelfeldt und Ortwin Runde sowie Ober-Schrebergärtner Ingo Kleist (wir dürfen eine gewisse Nähe zu Rot-Statt unterstellen) zu der auf acht Köpfe erweiterten Sondierungskomission des SPD-Vorstands.

Auch Henning Voscherau kokettierte am Donnerstagabend nicht mit dem Rückzug in den notariellen Schmollwinkel, sondern setzte auf sein neues Credo „Politik ist ein Mannschaftssport“ und versicherte, daß er sich nach der neuerlichen Gesprächsrunde dem Mehrheitswillen beugen werde: „Ich halte beide Präferenzen für vertretbar.“ Soll heißen: Der Bürgermeister wird entsprechend des Votums des Landesvorstands verhandeln. Erst am Ende der direkten Koalitionsverhandlungen kommt die „bürgermeisterliche Goldwaage“ mit der staatstragenden Aufschrift „Kann ich das verantworten?“ zum Einsatz, von deren Ausschlag Voscherau sein Verbleiben im Amt abhängig machen will.

Zur für ein „Ja zu Rotgrün“ nötigen Stärkung des linken SPD-Flügels setzten gestern als erste Hamburgs Gewerkschaften an. Heute morgen entscheidet die Kreisdelegierten-Versammlung des DGB über einen Initiativantrag „Bürgerschaftswahlen – was nun?“. Ziel des Antrags ist es, dem DGB-Kreisvorstand ein Votum für „unverzügliche“ Gespräche mit der GAL zu geben. Anschließend will der DGB das Gesprächsergebnis per Pressekonferenz verbreiten, damit, so eine der InitatorInnen, „das Kurt-Schumacher-Haus auch versteht, was wir meinen“. Ein – vorsichtiges – Votum im Namen von 250.000 Gewerkschaftsmitgliedern, so die Einschätzung, werde nicht ganz ohne Einfluß bleiben.

Mit öffentlichen Erklärungen oder internen Bekenntnissen ihrer Spitzenfunktionäre sind inzwischen fast alle DGB-Einzel-Gewerkschaften auf Rot-Grün eingeschwenkt. Zwar gibt es Bedenken hinsichtlich einer Reihe von GAL-Forderungen – die Statt-Partei wird jedoch als rechts, unkalkulierbar und arbeitnehmerfeindlich bezeichnet. Ein Lufthansa-Betriebsrat zur taz: „Ich bin seit 14 Jahren in der SPD. Voscherau irrt, wenn er glaubt, die Sozialdemokraten in den Betrieben stünden rechts.“

Am nächsten Freitag darf der Mann prüfen, ob seine Botschaft übergekommen ist. Dann tritt der SPD-Vorstand erneut zusammen. Bis dahin heißt es wieder mal: sondieren und dinieren. Die Speisepläne waren gestern noch nicht zusammengestellt. U. Exner/F.Marten